Medical Tribune
26. Sept. 2023KHK-Patienten strukturiert betreuen

Hat mein Patient eine koronare Herzkrankheit?

Das Herz kann Patienten mit und ohne Symptome einige Sorge bereiten. Prof. Dr. Michael Zellweger, Universitätsspital Basel, fasst zusammen, bei wem man genauer auf die Koronarien schauen sollte, wie ein gutes KHK-Risikomanagement gelingt, und wie der Hausarzt bei einem akuten Myokardinfarkt unterstützen kann.

Das Herz-CT kann einen Überblick darüber geben, ob eine KHK vorliegt.
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Kommt ein Patient mit stabiler Brustschmerz-Symptomatik in die Praxis, gibt es schon vor Durchführung einer Diagnostik einen guten Anhaltspunkt, ob es sich dabei tatsächlich um eine koronare Herzkrankheit (KHK) handeln könnte, erklärt Prof. Dr. Michael Zellweger, Universitäres Herzzentrum, Universitätsspital Basel (1).

KHK-Abklärung nur bei intermediärer/hoher Vortestwahrscheinlichkeit sinnvoll

Ein guter Anfang ist es, die Tabelle zur Vortestwahrscheinlichkeit der aktuellen ESC-Empfehlungen zu konsultieren, so der Experte (2, siehe Tabelle). Diese berücksichtigt die Wahrscheinlichkeiten einer stenosierenden KHK bezogen auf Alter, Geschlecht und Art der Symptome.

Abseits der drei Faktoren erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines positiven Tests zusätzlich, wenn der Patient kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweist, wie etwa Rauchen, eine Hypertonie, Dyslipidämie oder eine positive Familienanamnese. Patientenbezogene Risikofaktoren spielen dabei vor allem im Bereich einer niedrigen bis intermediären Vortestwahrscheinlichkeit (5-15%) eine wesentliche Rolle.

 typische Angina pectorisatypische Angina pectorisnicht-anginöse BrustschmerzenDyspnoe
Alter [Jahre]MännerFrauenMännerFrauenMännerFrauenMännerFrauen
30-393%5%4%3%1%1%0%3%
40-4922%10%10%6%3%2%12%3%
50-5932%13%17%6%11%3%20%9%
60-6944%16%26%11%22%6%27%14%
70+52%27%34%19%24%10%32%12%
Tabelle: Vortestwahrscheinlichkeit für eine stenosierende koronare Herzkrankheit bei Patienten mit stabiler Brustschmerz-Symptomatik (2)

«Erst wenn Patienten sich im intermediären bis hohen Risikobereich (15-85%, und>85%) befinden, sind diagnostische Massnahmen sinnvoll», so der Experte. Im sehr niedrigen (<5%) und niedrigen (5-15%) Bereich sollte hingegen, wenn möglich, keine weitere Abklärung hinsichtlich koronarer Herzkrankheit stattfinden. Selbstverständlich muss in dieser Situation nach anderen Schmerzursachen gesucht werden.

Im niedrig intermediären Risikobereich Koronar-CT vorziehen

Je nach Vortestwahrscheinlichkeit unterscheidet sich auch die Art der durchzuführenden diagnostischen Tests. Im intermediären Bereich verzichtet man üblicherweise initial auf eine invasive Methode, und führt im niedrigeren intermediären Bereich eine kardiale Bildgebung durch – allen voran das Koronar-CT. Die Ergometrie hat hingegen massiv an Bedeutung verloren, so Prof. Zellweger. Im höheren intermediären Bereich stehen dann – aufgrund der limitierten Spezifizität des Koronar-CTs bei weitläufigen Verkalkungen – bereits Ischämie-Suchtests im Vordergrund. Und im Hochrisikobereich kann auch gleich eine invasive Koronarangiografie erwogen werden.

Ein Koronar-CT zum Ausschluss einer KHK kann und sollte dabei auch vom Hausarzt angeordnet werden. «Da braucht es keine weitere kardiologische Abklärung», so der Experte.

Calcium-Score hat diagnostischen und prognostischen Wert

Eine zuverlässige Möglichkeit, die Koronarien in einem ersten Schritt zu beurteilen, könne bereits ein Nativ-CT bieten, so Prof. Zellweger. Darauf lassen sich die Grösse und die Dichte kalzifizierter Bereiche bestimmen. Auf ihrer Basis lässt sich dann der Calcium-Scores (Agatston-Score) berechnen, der zwischen 0 und mehreren tausend Einheiten liegen kann.

Ein Calcium-Score von 0 bedeutet dabei praktisch den Ausschluss einer KHK. «Der Calcium-Score ist ein Surrogatmarker aller bekannter und unbekannter Risikofaktoren im jeweiligen Individuum, die im Laufe des Lebens auf die Koronarien eingewirkt haben . Damit unterliegt der Calcium-Score den Limitationen der gängigen Risikoscores (AGLA/Framingham) nicht.» Da der Calcium-Score sowohl diagnostische als auch prognostische Aussagekraft habe, werde bereits überlegt, den Calcium-Score als «Gatekeeper» für weitere aufwändigere und teurere Untersuchungen zu verwenden.

Als weiteren Vorteil des Nativ-CT sieht der Experte die niedrige Strahlenbelastung und, dass kein Kontrastmittel nötig ist. «Das Imaging ist mit einmal Atem anhalten erledigt.»

Geht man einen Schritt weiter, kann man auch mittels Kontrastmittel im CT die Koronarien darstellen, was eine 3D-Rekonstruktion erlaubt. Im Zuge dessen können eventuelle Stenosen in Koronargefässen beurteilt werden.

Ab welchem Calcium-Score wird behandelt?

Auch wenn Patienten einen Calcium-Score von 0 haben, sollte man bei entsprechendem Risiko vorhandene Risikofaktoren nach Möglichkeit adressieren, so der Experte. Behandelt wird heute ausserdem früher, nicht erst, wenn Stenosen vorliegen.

So besteht z.B. bei einer jungen Patientin auch bei einer absolut gesehen mässigen Koronarkalzifizierung (100-300) im CT ohne Stenosen >50% ein Statinbedarf. Ab einem Calcium-Score von 100 kann bei jungen Patienten oder wenn relevante Begleiterkrankungen vorliegen (z.B. ein Diabetes), auch bereits die Gabe von ASS erwogen werden.

Wann das Koronar-CT keinen Erfolg verspricht

Beim Vorliegen einer schweren Kalzifizierung (Agatston-Score >400-1000) empfiehlt sich das Koronar-CT hingegen nicht – Patienten mit solchen Werten erhalten im Normalfall bereits einen Ischämie-Suchtest (z.B. Rubidium-PET, Stress-CMR, Stress-Echo, Myokardszintigraphie).

Das gilt auch für Patienten mit bekannter koronarer Herzkrankheit , die bereits revaskularisiert sind (Stent, Bypass) die eine Abklärung, z.B. aufgrund von erneuten Thoraxbeschwerden, benötigen. «Denn im Zuge eines PETs lässt sich etwa der Status quo nicht nur anhand von Bildern evaluieren, sondern auch mit Flussraten im Myokard» so Prof. Zellweger.

Was tun bei einem akuten Myokardinfarkt?

Stellen sich Patienten mit Symptomen eines akuten Myokardinfarktes vor, sollte zuerst ein EKG durchgeführt werden. Erhärtet sich der Verdacht, gilt laut Prof. Zellweger das folgende Vorgehen:

  1. 144 verständigen («Zeit ist Muskel»)
  2. Monitorisierung auf Rhythmusstörungen
  3. Aspirin 250mg iv oder per os
  4. Heparin 5000 IE iv
  5. Analgesie (Morphin, mg-weise)
  6. allenfalls Sauerstoff

Nicht mehr durchgeführt wird – auch beim STEMI – nach den neuen ESC-Guidelines ein Preloading mit Ticagrelor, aufgrund der Blutungsgefahr bei Bedarf einer notfallmässigen Bypassoperatoin.

Nach der Operation zählt die Nachsorge

Haben Patienten eine Revaskularisierung erhalten, sollten sie in ihrer Hausarztpraxis eine adäquate Nachsorge erhalten, betont Prof. Zellweger: «Nach einer Intervention sind Sie wieder gefragt.»

So sollte die routinemässige, antithrombotische Therapie etabliert werden. Dabei gilt:

  • Nach einer elektiven Intervention: ASS langfristig, Clopidogrel 75mg über meist 6 Monate
  • Nach einem akuten Koronarsyndrom: ASS langfristig, Ticagrelor 2x90mg über 1 Jahr

Auch die Modifikation der Risikofaktoren sollte nicht vergessen werden. Dazu gehört etwa der

  • Rauchstopp
  • LDL-Senkung (< 1,4 mmol/L oder >50%)
  • Blutdruckkontrolle (mindestens <140/90 mmHg)
  • Kontrolle und gegebenenfalls Therapie eines Diabetes (HbA1c <7%)
  • Ausschluss einer Herzinsuffizienz (Pumpfunktion?)

Die Teilnahme an einem Rehabilitations/Trainingsprogramm kann Patienten ebenfalls helfen: «Sie gibt Gewissheit darüber, dass der Patient mit seinem Herzen wieder leistungsfähig ist.»