Medical Tribune
2. Juni 2023Nicht bis zum Knoten warten!

Gicht-Patienten profitieren von früher Behandlung

Gicht-Patienten erscheinen oft erst in der Praxis, wenn sie einige Attacken in Eigenregie behandelt haben. Manche warten sogar, bis Tophi auftreten. Dabei lässt sich die Stoffwechselerkrankung gut behandeln.

Typisch für den akuten Gichtanfall ist die plötzlich aufgetretene hochschmerzhafte Entzündung im Grosszehengrundgelenk. Begleitet wird diese oft von einer lokalen Rötung und Schwellung. Einen sicheren Nachweis ermöglicht die Detektion von Uratkristallen in Synovialflüssigkeit oder Tophi.

Wenn diese Diagnostik nicht zur Verfügung steht, genügt oft schon die charakteristische Klinik (s. Kasten). Im Zweifel kann die Bildgebung weiterhelfen, ist in einer aktuellen Übersichtsarbeit von Dr. Ted Mikuls von der Universitätsklinik Nebraska in Omaha im New England Journal of Medicine zu lesen. In der Sonografie fällt das charakteristische Doppelkonturzeichen auf und das Röntgenbild zeigt nach längerem Bestehen Erosionen mit sklerotischen Rändern und überstehenden Knochenkanten.

Typisch für die Gicht

  • monoartikuläre Manifestation (besonders 1. Metatarsophalangeal­gelenk)
  • rascher Beginn und Verstärkung der Symptome (Maximum oft ≤ 24 h)
  • Erythem über dem Gelenk
  • Druck und Palpation nicht tolerierbar, Bewegung im Gelenk und Gewichttragen nicht möglich
  • ähnliche selbstlimitierende Episoden in der Anamnese
  • Hyperurikämie oder auslösende Medikamente (Diuretika, ASS etc.)
  • subkutane Tophi

Patienten Medikamente für den Notfall abgeben

Primäres Therapieziel ist die rasche Schmerzlinderung: Zur Erstlinienbehandlung werden je nach Komorbidität Colchicin, NSAR und Glukokortikoide empfohlen. Letztere lassen sich oral, parenteral oder intraartikulär verabreichen. Ein geeignetes Medikament sollte der Patient auch als Pille für die Hosentasche mitführen, damit er sich bei den ersten Symptomen selbst behandeln kann.

Um die Gicht dauerhaft in den Griff zu bekommen, muss der erhöhte Harnsäurespiegel gesenkt werden. Wirkstoff der ersten Wahl ist nach Einschätzung des Verfassers weiterhin Allopurinol, als Alternative eignet sich primär Febuxostat. Beide Substanzen erzielen eine vergleichbare Wirksamkeit.

Bei mangelndem Ansprechen sollte ein Urikosurikum allein oder in Kombination mit einem Xanthinoxidasehemmer eingesetzt werden. Studiendaten sprechen für eine Überlegenheit von Benzbromaron gegenüber Probenecid.

Empfohlen wird eine Reduktion der Harnsäurewerte unter 6 mg/dl (entspricht ca. 360 µmol/l). Diese Behandlung sollte nach dem Votum der europäischen Fachgesellschaft für Rheumatologie EULAR bereits nach dem ersten Gichtanfall begonnen werden. Die Treat-to-target-Strategie verhindert Attacken besser als eine symptomvermeidende Therapie.

Anfälle mit Harnsäurereduktion um zwei Drittel seltener

Nach zwei Jahren hatten mit Harnsäurereduktion acht Prozent der Patienten noch mehr als zwei Anfälle pro Jahr, mit symptomorientierter Behandlung waren es 24 Prozent. Ausserdem fällt die langfristige Exposition gegenüber Colchicin, NSAR und Steroiden erschwerend ins Gewicht.

Unter einer raschen Harnsäuresenkung kann es allerdings zu vermehrten Gichtanfällen kommen. Deshalb sollte zu Beginn der Therapie und in Phasen der Dosissteigerung eine antientzündliche Prophylaxe erfolgen. Alternativ kommt eine niedrige Anfangsdosis mit langsamer Steigerung in Betracht. In einer Studie mit Febuxostat verhinderte diese Strategie akute Exazerbationen ebenso zuverlässig wie eine höhere Dosis unter Colchizin-Schutz.

Diverse Begleiterkrankungen können die Therapie der Gicht erschweren. So leiden 75 Prozent der Patienten zusätzlich an einer Hypertonie, die sich durch eine Behandlung mit NSAR und Steroiden noch verstärken kann. Unter einer Niereninsuffizienz tritt das Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom vermehrt auf. Diese seltene, aber lebensgefährliche Komplikation macht sich mit schweren Hautmanifestationen, Eosinophilie sowie akuten Leber- und Nierenschäden bemerkbar.

Es gibt auch Wirkstoffe mit protektiven Effekten

Auch die medikamentöse Therapie von Begleiterkrankungen bleibt nicht ohne Einfluss. Di­uretika zum Beispiel können den Harnsäurespiegel erhöhen. Patienten, die Betablocker, ACE-Hemmer und AT1-Antagonisten (ausser Lo­sartan) einnehmen, tragen ein erhöhtes Gicht-Risiko.

Es gibt aber auch protektive Effekte. So fördern Lo­sartan, Kalziumantagonisten, Feno­fibrat und SGLT2-Hemmer die Uratausscheidung. Das Anti­diabetikum Metformin verringert die durch Harnsäurekristalle bedingte Inflammation, was sich eventuell in einer niedrigeren Anfallsrate niederschlägt.

Die Modifikation des Lebensstils kann ebenfalls das Exazerbationsrisiko senken. Dazu zählt, weniger Alkohol (vor allem Bier) zu konsumieren und bei Adipositas das Gewicht zu reduzieren. Zudem sollten purinreiche Lebensmittel wie Fleisch und Schellfisch gemieden werden.

Die dadurch erzielbaren Effekte sind allerdings eher moderat. In Studien zur kalorien- und purinarmen Diät ging der Harnsäurewert um weniger als 1 mg/dl (entspricht ca. 60 µmol/l) zurück. Wichtig ist in jedem Fall, dass der Patient in puncto Tabletteneinnahme dabei bleibt. Ohne gezielte Motivation setzt mehr als die Hälfte der Behandelten die harnsäuresenkende Medikation schon im ersten Jahr wieder ab.