Medical Tribune
23. Juli 2023Schlafmittel oder Suchtmittel?

Benzodiazepine und Z-Substanzen ausschleichen

Benzodiazepine und Z-Substanzen sind aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils keine optimalen Wirkstoffe bei Schlafstörungen, besonders nicht im dauerhaften Einsatz. Trotz möglicher Alternativen ist das Reduzieren oder Stoppen dieser Medikamente herausfordernd. Ein Experte fasst zusammen, wie dies dennoch gelingen kann.

Drei bis fünf Prozent der Schweizer nehmen täglich Benzodiazepine ein.
Filmstax/gettyimages

Schlafstörungen sind weit verbreitet und verlaufen in bis zu 50 Prozent der Fälle chronisch – Frauen, Senioren und Menschen mit Komorbiditäten sind häufiger betroffen. Die Folgen können gravierend sein: Es kommt zur chronischen Müdigkeit, Verkehrsunfällen und Depressionen. Eine scheinbar einfache und häufig praktizierte Lösung gegen Schlafstörungen sind Schlafmittel. Die Benzodiazepine sind dabei die am weitesten verbreitete Medikamentengruppe und werden von drei bis fünf Prozent der Schweizer täglich konsumiert.

Die Verschreibungsrate steigt mit dem Alter und beträgt bei Senioren 25 Prozent und bei über 80-jährigen 30 Prozent. Eine Suchtentwicklung, ausgeprägte Tagesmüdigkeit, Verwirrtheit oder Stürze sind bei Konsumenten von Benzodiazepinen und Z-Substanzen höher als bei Nicht-Konsumenten, besonders im höheren Alter.

«Tapering»: strukturiert und extrem langsam

Beim De-Prescribing identifiziert man Arzneimittel, bei denen potenzielle und manifeste Risiken und Schäden den tatsächlichen oder zu erwartenden Nutzen übersteigen, und setzt sie schlussendlich ab. Ein erster Schritt ist es, den Patienten zuerst zu einem kritischen Nachdenken über Nutzen und Risiko von Schlafmitteln wie Benzodiazepinen und Z-Substanzen hinzuführen.

«Das geschieht am besten ohne Druck, und auch mit der Möglichkeit, den Vorschlag im wahrsten Sinne des Wortes zu überschlafen oder sich mit Angehörigen oder Freunden darüber auszutauschen», sagt Professor Dr. Stefan Neuner-Jehle, Leiter Chronic Care, Allgemeine Innere Medizin, Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich (1).

Nebst solchen psychologischen Finessen sind das langsame Ausschleichen, engmaschige Nachkontrollen und nichtmedikamentöse Alternativen für ein erfolgreiches Reduzieren oder Stoppen von Benzodiazepinen und Z-Substanzen wichtig.

Nach 16 Wochen Benzodiazepin-frei

Am besten gelingt das sogenannte «Tapering» erstens strukturiert, das heisst nach einem klaren Plan, und zweitens extrem langsam. Die aktuelle Evidenz geht von einer Reduktion der Ausgangsdosis der Benzodiazepine um einen Viertel alle ein bis zwei Wochen aus, mit noch vorsichtigerer Reduktion am Ende der Ausschleichphase. «Dieses Vorgehen hat zum Ziel, Entzugserscheinungen zu vermeiden. Wie unschwer zu erkennen ist, benötigt das Ausschleichen des Schlafmittels bei einem solchen Vorgehen bis zu 16 Wochen», betonte Prof. Neuner-Jehle.

Die engmaschige Nachkontrolle mit Thematisieren des Befindens, vor allem hinsichtlich Schlafqualität und potenzieller Entzugserscheinungen wie Nervosität, Ängstlichkeit, Angespanntheit, Stimmungsschwankungen, Schweissausbrüche und Tremor, ist wichtig. Man soll die Patienten informieren, dass solche Entzugssymptome passager sind und meist nicht länger als etwa zwei Wochen dauern.

Neuer Orexin-Rezeptor-Antagonist Daridorexant

Die kognitive Verhaltenstherapie bei Insomnie ist eine der etablierten Methoden, ausserdem bieten sich Phytotherapeutika an. Bei Patienten mit Schlafstörung und Depression sind niedrigdosierte, schlafanstossende Antidepressiva wie Trazodon oder Mirtazapin eine bessere Möglichkeit als Benzodiazepine. Weitere Optionen sind niedrigdosierte Neuroleptika der neueren Generation oder – mit einer Limitation bezüglich der Einsatzdauer – Melatonin.

Seit Kurzem ist auch der duale Orexin-Antagonist Daridorexant zur Behandlung chronischer Schlafstörungen in der Schweiz zugelassen. Das Orexin-System stimuliert den Wachzustand – Ant­agonisten bremsen dieses System und somit die nächtliche Überaktivität. «Ob die Nebenwirkungsrate bei all diesen Substanzen allerdings wirklich geringer ist als bei Benzodia­zepinen und Z-Substanzen, ist eine offene Frage», so Prof. Neuner-Jehle.

Hilfreiche Tipps zu Schlafhygiene

So können Patienten ohne Medikamente ihren Schlaf verbessern:

  • Aufs Mittags- oder Nachmittags-Schläfchen verzichten (oder auf eine halbe Stunde begrenzen).
  • Jeden Tag (auch am Wochenende) etwa zur selben Zeit ins Bett gehen und aufstehen.
  • Den Fernseher, Laptop oder das Smartphone ausschalten, wenn man vor dem Bildschirm schläfrig wird.
  • Den Schlafbereich nur fürs Schlafen nutzen und dort eine beruhigende Atmosphäre schaffen.
  • Abend- und Einschlafrituale anwenden, z.B. Lesen, entspannende Musik hören.
  • Sich nicht unter Druck setzen, wenn die Schlafdauer weniger als 6 Stunden beträgt, solange sich keine Müdigkeit oder Erschöpfung tagsüber einstellt.
  • Die schlaflose Zeit im Bett als Ruhezeit für den Körper ansehen.
  • Entspannungstechniken trainieren (Yoga, Atemübungen, autogenes Training).
  • Körperlich aktiv sein, ausser abends.
  • Auf Koffein, Alkohol oder Nikotin am Abend verzichten.
  • Dinge, die einen beschäftigen, auf eine Liste schreiben – sie können bis zum nächsten Tag warten.
  • 1–2 Stunden vor dem Zubettgehen keine grösseren Mengen trinken oder essen.