Medical Tribune
28. Nov. 2022Aus Patienten werden Follower

Influencer im Gesundheitswesen: nahtlos zwischen Information und unerlaubter Werbung

Soziale Medien sind im Gesundheitswesen zu einer für viele Menschen unverzichtbaren Informationsquelle geworden. Vor allem jüngere Leute orientieren sich mit Vorliebe an Empfehlungen von Influencern, die oft über gar keine medizinischen Berufskenntnisse verfügen, wohl aber über Tausende von Followern. Von der neuen Berufsgruppe machen Gesundheitsinstitutionen manchmal sogar selber Gebrauch. Die Grenze zwischen erlaubter Information und unerlaubter Werbung ist allerdings ziemlich unscharf.

Smiling woman sitting in front of a camera and making a video blog
demaerre/gettyimages

Influencer nehmen das Gesundheitswesen vermehrt in Beschlag.

Influencer versuchen über Social-Media-Kanäle wie YouTube, Instagram oder TikTok Leute in ihren Kaufentscheiden oder Meinungen zu beeinflussen, indem sie Produkte vorstellen, Stellung zu unterschiedlichsten Themen beziehen oder Tipps abgeben – zunehmend auch im Gesundheitswesen: Was tut der Haut gut? Wie bekommt man sein Bauchfett weg? Was stärkt die Selbstheilungskräfte des Körpers? Wie lässt sich Krankheiten vorbeugen oder lassen sich Alltagsleiden selber kurieren? Die Zahl der Follower gilt als Gradmesser des Erfolgs für einen Influencer.

Influencern wird mehr geglaubt als Spezialisten

Obwohl sie nur selten Fachleute auf ihrem Gebiet sind, geniessen die neuen Stars im Social-Media-Zeitalter eine recht hohe Glaubwürdigkeit, wie aus einer neuen Studie (1) hervorgeht. Jeder fünfte Benutzer soll demnach Influencern mehr Glauben schenken als Spezialisten aus der Medizinbranche, lautet die Quintessenz einer Befragung von 1.000 Personen in mehreren Ländern.

Gerade während der Pandemiezeit zeigte sich, was Influencer im Vergleich zu anderen bieten: Ärzten fehlt oft die Zeit für ausführliche Gespräche über Krankheiten und Therapien. Influencer dagegen stehen rund um die Uhr als virtuelle Ansprechpartner zur Verfügung. Wenn sie es zudem noch schaffen, komplexe gesundheitliche Zusammenhänge anschaulich und wissenschaftlich korrekt zu erklären, finden sie schnell ein grosses Publikum.

Überbewerten sollte man die Bedeutung von Influencern dennoch nicht, lautet ein Fazit der Studie. Denn obwohl viele Menschen Tipps und Inspiration inzwischen übernehmen, vertrauen sie Ärzten bei gesundheitlichen Beschwerden immer noch weit mehr.

Impfberatung auf TikTok

Influencer vermögen jedoch eine Marktlücke zu schliessen, die sie selbst für Gesundheitsinstitutionen attraktiv machen: Die vornehmlich jungen Leute können Zielgruppen, die sich lieber an Gleichaltrigen orientieren, besonders gut ansprechen. In Basel beispielsweise verpflichtete das Gesundheitsdepartement (GD) deshalb im vergangenen Corona-Jahr einen Influencer.

Sinn und Zweck der Aktion: Aditotoro, wie der anonyme Mann genannt wurde, sollte auf seinem Social-Media-Kanal TikTok insbesondere Jugendliche über den Nutzen einer Impfung aufklären. Wie viele von ihnen letztlich überzeugt werden konnten, weiss die Kommunikationsverantwortliche des GD, Anne Tschudin, zwar nicht. Aber die Strategie des GD war klar: «Mit dem Engagement eines Influencers wollten wir bewusst auf junge Menschen zugehen mit einem Kanal und einer Person, die bei dieser Zielgruppe ankommt. Wir wollten die herkömmlichen Kommunikationskanäle, die wir sonst nutzen, ergänzen mit dem Einsatz eines Influencers», sagte sie auf Anfrage.

Das Departement habe Aditotoro bei der «humoristischen Umsetzung der Impfbotschaft» ziemlich freie Hand gelassen, ergänzte sie. Zudem sei er selbst vom Sinn und Zweck der Impfung überzeugt gewesen.

Erlaubte Information oder unerlaubte Werbung?

Gegen eine Aufklärung respektive Information durch einen Influencer dürfte rechtlich kaum etwas einzuwenden sein. Aufklärung ist nicht gleich Werbung, die im medizinischen Bereich untersagt ist. Doch was ist noch (erlaubte) Information, was bereits (unerlaubte) Werbung?

Rechtliche Anhaltspunkte liefern das Medizinalberufegesetz, kantonale Gesundheitsgesetze sowie Standesregeln der FMH, welche die Werbemöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte stark eingrenzen. Zulässig sind etwa Informationen über die fachlichen Qualifikationen sowie Dienstleistungsangebote. Als unzulässig dagegen wird eine Information bezeichnet, «welche die gebotene medizinische Objektivität und Erfahrung nicht wahrt» Ebenso «beeinträchtigt» die Information das Ansehen des Arztberufes insbesondere,

  • wenn sie Empfehlungen von Patientinnen und Patienten einbezieht
  • wenn sie der Selbstanpreisung der eigenen Person dient oder die eigene ärztliche Tätigkeit darstellt durch reklamehaftes Herausstellen in aufdringlicher oder marktschreierischer Weise oder
  • wenn sie primär auf einen Werbeeffekt abzielt.

Bei Verstössen gegen die gesetzlich vorgeschriebenen ärztlichen Berufspflichten müssen Fehlbare mit Sanktionen rechnen, die im Extremfall bis zu einem Verbot der Tätigkeit reichen können.

Es komme ab und zu vor, dass die kantonalen Standeskommissionen, die Standeskommissionen der Mitgliederorganisationen und die Standeskommission der FMH sich mit dem Thema (Werbung) auseinandersetzen müssten, räumt die FMH auf Anfrage ein.

Gleichzeitig betont die Organisation, dass sie allfällige Standesrechtsverletzungen nur zweit­instanzlich behandle. Die Prüfung eines möglichen Verstosses gegen die Werbevorschriften liege bei Verstössen gegen die Standesregeln in der Zuständigkeit der Standeskommissionen, beziehungsweise der kantonalen Aufsichtsbehörden bei Gesetzesverstössen.

Werbung mit Brustvergrösserungen

Ein Paradebeispiel für Werbung mit den neuen Möglichkeiten von Social Media stellt die Schönheitsklinik Lucerne Clinic dar. Influencerinnen und prominente Personen, die von ihrer Brustvergrösserungs-OP auf der Homepage der Firma schwärmen, stehen bei dieser Institution als Werbeträgerinnen hoch im Kurs. Doch ist diese Form von Werbung erlaubt?

Von der gesundheitspolizeilichen Aufsichtsbehörde im Kanton Luzern, der Dienststelle Gesundheit und Sport (DIGE), liegt der MT folgendes Statement vor: «Im Fall der Lucerne Clinic hat der Kanton keine Anhaltspunkte dafür, wonach die Werbung der Lucerne Clinic nicht objektiv oder gar irreführend, d.h. inhaltlich falsch, sein soll oder als aufdringlich zu qualifizieren wäre.

Letzteres wäre praxisgemäss etwa dann der Fall, wenn Personen zwecks Kundenakquise unaufgefordert telefonisch oder mit Standaktionen angegangen würden.» Da gemäss Einschätzung der DIGE kein Verstoss gegen die massgebenden Rechtsnormen vorliegt, sieht diese Behörde auch keinen weiteren aufsichtsrechtlichen Handlungsbedarf.

Referenz
  1. Sortlist Data hub. 1 Out of 5 Users Trusts Influencers More Than Health Specialists. 22. August 2022, abgerufen am 28. November 2022