Medical Tribune
18. Aug. 2022Stoffkreislauf mit besorgniserregender Chemikalie

Polyfluorierte Verbindungen weltweit im Regenwasser nachgewiesen

Eine alarmierende Studie zeigt, dass Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) nicht wie früher gedacht hochverdünnt in den Ozeanen enden, sondern stattdessen weltweit ins Regenwasser gelangt sind. Die Chemikalien stehen im Verdacht, lebertoxische, krebserregende und fortpflanzungsgefährdende Eigenschaften zu haben - ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit könnte daher beträchtlich sein.

PFAS aus beständigen Stoffen wie Outdoortextilien kommen nun weltweit im Regenwasser vor.
billyhoiler/gettyimages

Die Gruppe der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen umfassen rund 4.700 Verbindungen. Die bekanntesten Stoffgruppen der PFAS sind Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroktansäure (PFOA). Aufgrund ihrer wasser-, öl- und schmutzabweisenden Eigenschaften bei gleichzeitiger thermischer und chemischer Stabilität, etwa gegen UV-Licht und Verwitterung, werden sie in vielen Verbraucher- und Industrieprodukten verwendet. So kommen sie etwa in Outdoor-Kleidung, Papierprodukten, Kaffeebechern, beschichteten Pfannen oder Verpackungen zum Einsatz.

PFAS werden ausschliesslich industriell (anthropogen) hergestellt, und werden nicht natürlich abgebaut – dadurch sind sie auch extrem langlebig. Gelangen sie auf direktem oder indirektem Wege in die Umwelt, reichern sie sich über die Nahrungskette an und gelangen somit auch in den menschlichen Körper. PFAS werden vom Menschen hauptsächlich über Lebensmittel oder kontaminiertes Trinkwasser aufgenommen.

Regenwasser nicht mehr trinkbar

Lange Zeit wurde angenommen, dass PFAS im Meer landen, und dort so stark verdünnt werden, dass sie ungefährlich werden. Kürzlich wiesen Wissenschaftler jedoch nach, dass Perfluoralkylsubstanzen über die Aerosole der Gischt wieder in die Atmosphäre gelangen können – das würde bedeuten, dass sich ein Kreislauf dieser biologisch nicht abbaubaren Verbindungen etabliert hätte.

Nun haben Forscher der Universität Stockholm und der ETH Zürich eine weitere Arbeit veröffentlicht, die beschreibt, dass in allen Proben von weltweit untersuchtem Regenwasser PFAS-Kontaminationen nachweisbar waren (1). In allen Proben wurden die empfohlenen Höchstwerte zumindest um das 14-fache überschritten. Die tiefste gemessene Konzentration befand sich in einer Regenwasserprobe im kaum besiedelten Hochland von Tibet. Überall sonst – inklusive der Antarktis – waren die Werte sogar noch höher. «Auf Basis der jüngsten US-Trinkwasser-Richtlinien für PFOA würde das Trinken von Regenwasser überall als unsicher eingestuft», wird Studienleiter Ian Cousins in einer Mitteilung zur Studie zitiert.

Besonders Kinder und Jugendliche sind gefährdet

Schon zuvor war bekannt, dass PFAS-Verschmutzungen mittlerweile ubiquitär sein dürften: Selbst in unbesiedelten Gebieten wie Polarregionen und in der Tiefsee waren PFAS nachweisbar. «PFOS findet sich weltweit in Fischen, Meerestieren, Wildtieren, Milch und zahlreichen anderen Lebensmitteln und lässt sich - wie einige andere PFAS - auch in menschlichem Blut und Muttermilch nachweisen. In der Leber von Eisbären ist PFOS bis zu 4.000-fach (bezogen auf die Konzentration in der Umwelt) angereichert», schreibt etwa das Österreichische Umweltbundesamt auf seiner Website (2).

Werden PFAS einmal vom Körper aufgenommen, sind sie dort noch lange zu finden. In einer europäischen Studie wurden bei fast einem Viertel der 6- bis 19-Jährigen eine so grosse Menge PFAS im Blut gefunden, dass laut Deutschem Umweltbundesamt «gesundheitliche Wirkungen nicht mehr mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können» (3). Diese Tatsache beunruhigt umso mehr, da 2017 eine Studie zeigte, dass PFAS sehr wahrscheinlich die Wirkung von Impfungen bei Kleinkindern verringern können (4).

Potenzielles Schadpotenzial reicht von Krebs bis Unfruchtbarkeit

Im Tierversuch besitzen PFAS lebertoxische, krebserregende und fortpflanzungsgefährdende Eigenschaften. Eine kürzlich veröffentlichte Studie untersuchte die Einwohner einer US-amerikanischen Gemeinde, welche aufgrund einer industriellen Quelle für Kunststoffbeschichtungen einer Trinkwasserverunreinigung ausgesetzt war. Die Population wies signifikant höhere Anteile an Schilddrüsenkrebs, Blasenkrebs, Speiseröhrenkrebs und Mesotheliom auf als der nationale Durchschnitt (5). Aber auch für Hoden-, Nieren-, und Blutkrebs gibt es Daten, die einen Zusammenhang mit der PFAS-Exposition nahelegen (6-10).

Studien an Nagetieren deuten auf eine Verbindung zwischen einer erhöhten PFAS-Exposition und Veränderungen in den Spiegeln einiger wichtiger steroidogener Enzyme hin (11). In Australien wurden PFAS in der Follikelflüssigkeit australischer Frauen nachgewiesen, die in einer IVF-Klinik behandelt worden waren. Die in den Follikelflüssigkeiten gefundene PFAS-Exposition waren mit einem erhöhten Risiko für einige Unfruchtbarkeitsfaktoren verbunden - es wurde allerdings kein Zusammenhang zwischen PFAS und der Befruchtungsrate nachgewiesen (12).

Eine Begrenzung von PFAS ist dringend nötig

Weitere gross angelegte Untersuchungen zur Gesundheitswirkung von PFAS sind laut Schweizerischem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) mehr als gerechtfertigt. Das BLV erklärt, dass aktuelle Daten zum Thema PFAS für die Schweiz derzeit nicht verfügbar seien. Mit einem Biomonitoring will das BLV deshalb die Hintergrundbelastung der Schweizer Bevölkerung mit PFAS bestimmen (13).

Der Präsident des Deutschen Umweltbundesamts Dr. Dirk Messner gab bereits in einer Pressemitteilung im Jahr 2020 an, dass die Besorgnis um PFAS nicht neu sei. Die beiden bekanntesten PFAS-Verbindungen PFOS und PFOA seien gut erforscht und international reguliert, dies sei für die meisten anderen der rund 5.000 PFAS nicht der Fall. Das Umweltbundesamt beteiligt sich massgeblich an den Bestrebungen, die Herstellung und Verwendung von PFAS als gesamte Stoffgruppe europaweit zu beschränken (14). Aufgrund ihrer Stabilität ist eine Begrenzung ihres Ausstosses die einzige Möglichkeit, die weltweit steigende Kontamination mit PFAS zu stoppen.

Referenzen
  1. Cousins IT et al. Outside the Safe Operating Space of a New Planetary Boundary for Per- and Polyfluoroalkyl Substances (PFAS). Environmental Science & Technology Article ASAP. DOI: 10.1021/acs.est.2c02765.
  2. Österreichisches Umweltbundesamt GmbH, PFAS. https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/stoffradar/pfas (abgerufen am 14.08.2022).
  3. Umweltbundesamt Deutschland. Pressemitteilung: Menschen in Europa teilweise bedenklich hoch mit Schadstoffen belastet. https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/menschen-in-europa-teilweise-bedenklich-hoch (abgerufen am 16.08.2022).
  4. Grandjean P et al. Estimated exposures to perfluorinated compounds in infancy predict attenuated vaccine antibody concentrations at age 5-years. J Immunotoxicol. 2017 Dec;14(1):188-195. doi: 10.1080/1547691X.2017.1360968.
  5. Mindi FM et al. Risk of Cancer in a Community Exposed to Per- and Poly-Fluoroalkyl Substances. Environmental Health Insights 2022, Volume 16: 1-16. 2022 Feb 11;16:11786302221076707. doi: 10.1177/11786302221076707.
  6. Steenland K et al. PFAS and cancer, a scoping review of the epidemiologic evidence. Environ Res. 2021 Mar;194:110690. doi: 10.1016/j.envres.2020.110690.
  7. Hirokai I et al. Serum perfluoroalkyl substances and breast cancer risk in Japanese women: A case-control study. Sci Total Environ. 2021. 2021 Dec 15;800:149316. doi: 10.1016/j.scitotenv.2021.149316.
  8. Alexis MT et al. Application of the Key Characteristics of Carcinogens to Per and Polyfluoroalkyl Substances. Int J Environ Res Public Health. 2020 Mar 4;17(5):1668.doi: 10.3390/ijerph17051668.
  9. Scott M Bartell et al. Critical review on PFOA, kidney cancer, and testicular cancer. J Air Waste Manag Assoc. 2021 Jun;71(6):663-679. doi: 10.1080/10962247.2021.1909668.
  10. Joseph J Shearer et al. Serum Concentrations of Per- and Polyfluoroalkyl Substances and Risk of Renal Cell Carcinoma. J Natl Cancer Inst. 2021. doi: 10.1093/jnci/djaa143.
  11. Eggert A et al. The effects of perfluorooctanoic acid (PFOA) on fetal and adult rat testis. Reprod. Toxicol. 2019; 90 :68–76. doi: 10.1016/j.reprotox.2019.08.005.
  12. Aobo H et al. Per- and polyfluoroalkyl substances (PFAS) exposure in women seeking in vitro fertilization-embryo transfer treatment (IVF-ET) in China: Blood-follicular transfer and associations with IVF-ET outcomes. Science of The Total Environment, Volume 838, Part 3, 2022, 156323, ISSN 0048-9697, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2022.156323.
  13. Schweizerisches Bundesamt für Lebensmittel und Veterinärwesen. Biomonitoring von per- und polyfluorierten Alkylverbindungen. (abgerufen am 15.08.2022).
  14. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Internationale Fachkonferenz zu per- und polyfluorierten Stoffen. 30.11.2020 (abgerufen am 14.08.2022).