Medical Tribune
18. Juli 2022Isolation ist ein unabhängiger primärer Risikofaktor für erhöhte Mortalität

Einsamkeit im Alter kostet Lebensjahre

Bereits relativ kurze Phasen sozialer Isolation können den Gesundheitszustand verschlechtern - insbesondere dann, wenn ältere Menschen bereits multimorbide sind und nicht über ausreichende soziale Netzwerke verfügen. Besonders in der Corona-Pandemie sind die negativen Auswirkungen mangelnder sozialer Kontakte deutlich geworden. Dr. med. Marion Baumann, Chefärztin Geriatrie im Spital Uster weiss, dass soziale und körperliche Aktivität äusserst wichtigste Faktoren für eine langfristige gute Gesundheit darstellt. Kontakte über kirchliche Gemeinden, Vereine und Seniorenzentren können helfen, die Einsamkeit zu überwinden.

Deprimierter alter Mann versteckt sein Gesicht hinter seinen auf einem Stock aufgestützten Händen
iStock/KatarzynaBialasiewicz

Eine neue Studie zeigt: Während der Corona-Pandemie hat der Anteil der Menschen ab 46 Jahren, die sich einsam fühlen, deutlich zugenommen (1).

Einsamkeit kann, wie andere Emotionen auch, ansteckend sein: Viele Betroffene vermeiden daher den Kontakt zu einsamen Menschen – dies wiederum verstärkt die soziale Isolation der Betroffenen: Ein Teufelskreis. Einsame Menschen neigen zum sozialen Rückzug, und sind in sozialen Interaktionen oft kritischer und vorsichtiger, was Einsamkeit zusätzlich verschärft (2). Aber auch altersassoziierte Multimorbidität, Behinderung und Pflegebedürftigkeit begünstigen soziale Isolation, die ihrerseits den Teufelskreis noch verschlimmern.

Einsamkeit verschlechtert die Gesundheit

Soziale Beziehungen stärken dagegen die Gesundheit. Dagegen weisen zahlreiche Langzeitstudien soziale Isolation als unabhängigen primären Risikofaktor für eine erhöhte Morbidität und Mortalität im Alter aus (3). Instrumente zur Erfassung des emotionalen und sozialen Status sind zum Beispiel die Skala zur sozialen Situation nach Nikolaus und die Geriatrische Depressionsskala (4).

Die physischen Auswirkungen der Einsamkeit sind beispielsweise eine erhöhte Anfälligkeit für kardiovaskuläre Ereignisse: Soziale Isolation ist ein unabhängiger Risikofaktor für Schlaganfälle und Herzinfarkte (5). Eine Metaanalyse, die 148 Studien beinhaltete, kam zum Ergebnis, dass die Sterblichkeit sozial isolierter Personen über einen prospektiven Beobachtungszeitraum von 7,5 Jahren um 50 Prozent erhöht ist - damit ist die durch soziale Isolation verursachte Übersterblichkeit vergleichbar mit der Mortalität, die auf das Rauchen oder die Adipositas zurückgehen.

Das Allein-Sein hat aber nicht nur Auswirkungen auf den Körper. Frau Dr. Baumann betont, dass die WHO-Definition der Gesundheit auch die psychosoziale Gesundheit beinhaltet. «Man weiss, dass die Psyche den Körper beeinflusst und vice versa. Auch der Körper leidet, wenn es einem psychisch nicht gut geht. Wir beobachten, dass es oft Witwer sind, welche besonders einsam sind und eine erhöhte Morbidität und Mortalität aufweisen.»

Covid-Pandemie hat die Geriatrie verändert - aktiv bleiben als beste Möglichkeit

«Für Patienten, die abgeschottet zu Hause bleiben mussten, war die Pandemie besonders schlimm. Bewegung ist gut für alles - für den Geist und für den Körper. Wir wissen, dass Bewegung gut für die Kognition ist. Bei den älteren Patienten beobachten wir bei Immobilität eine rasch einsetzende Dekonditionierung, es kommt zur Sarkopenie,» erklärt Frau Dr. Baumann.

Auch in Langzeitinstitutionen waren während der Covid-Pandemie viele ältere Menschen sozial isoliert, denn es galten restriktive Besuchsregeln. «Die älteren Menschen mussten alleine essen, hatten weniger Sozialkontakte, auch innerhalb der Pflegeheime. Danach hatten viele Pflegezentren Mühe, die Bettenauslastung hoch zu halten, da die Pandemie auch dem Ruf der Pflegezentren geschadet hat. Das gegenseitige Misstrauen hat zugenommen, in den Pflegezentren hat die Belegung seither tendenziell abgenommen. Dies kann Einsamkeit und Dekonditionierung zusätzlich verschlimmern: In den Pflegezentren gibt es ein Tagesprogramm und sogenannte Aktivierungstherapeuten – zu Hause hingegen oft nicht.»

Diverse Angebote können helfen, Einsamkeit zu überwinden

Wer keiner körperlichen Bewegungseinschränkung unterworfen ist, hat den grossen Vorteil, dass er an gemeinschaftlichen Angeboten wie Wanderungen oder Ausflügen teilnehmen kann. Zum Beispiel in Seniorentagesstätten: Hier können Senioren den ganzen Tag verbringen, gemeinsam Essen und an Aktivitäten teilnehmen (7). Aber auch kirchliche Gemeinden und Vereine fördern die Aktivität älterer Menschen.

Referenzen

  1. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) dza aktuell: deutscher Alterssurvey, Stand April 2021 (abgerufen am 01.07.2022).
  2. Mayer M. Pflegephänomen Einsamkeit. Pflege Z. 2020;73(9):22-24. doi:10.1007/s41906-020-0783-y.
  3. Pantel J. Gesundheitliche Risiken von Einsamkeit und sozialer Isolation im Alter. Geriatrie-Bericht. 2021;16(1):6-8. doi:10.1007/s42090-020-1225-0.
  4. Geriatrie Bochum: Geriatrische Depressions-Skala (abgerufen am 01.07.2022).
  5. Donovan NJ, Blazer D. Social Isolation and Loneliness in Older Adults: Review and Commentary of a National Academies Report. Am J Geriatr Psychiatry. 2020 Dec;28(12):1233-1244. doi: 10.1016/j.jagp.2020.08.005. Epub 2020 Aug 19. PMID: 32919873; PMCID: PMC7437541.
  6. Proc Natl Acad Sci U S A 2013; 110(15): 5797-5801 12. Holt-Lunstad J, Smith TB, Layton JB. Social relationships and mortality risk: a metaanalytic review. PLoS Med 2010; 7 (7): e1000316.
  7. Pro Senectute Schweiz, Ratgeber Einsamkeit (abgerufen am 28.06.2022).