Frühzeitiges Pacing kann Patienten Long Covid ersparen
Dr. Gregory Fretz hat täglich mit Patienten zu tun, die noch längere Zeit nach einer Corona-Diagnose unter Symptomen leiden. Seinen Beobachtungen zufolge lässt sich durch ein frühes Eingreifen – mitunter auch mit Pacing –- Schlimmeres verhindern.
«Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, an die Entwicklung einer Long-Covid-Diagnose zu denken, wenn Patienten drei bis vier Wochen nach dem akuten Infekt immer noch starke Symptome (siehe Kasten) haben,» sagt Internist und Pneumologe Dr. Gregory Fretz, der die Long-Covid-Sprechstunde am Kantonsspital Graubünden in Chur leitet. «Warnsymptom für Long Covid kann auch sein, dass Patienten auf eine körperliche oder geistige Belastung mit einer Verschlechterung ihrer Symptome direkt nach dem Ereignis oder am nächsten Tag reagieren. Wenn Patienten so etwas haben, ist man mit dieser Diagnose wahrscheinlich auf der richtigen Seite.»
Welche Symptome sind bei Long Covid typisch?
- Fatigue
- Erschöpfung nach Anstrengung
- Kraftlosigkeit
- Kopfschmerzen
- Schlafstörungen
Erst Pacing, dann Fitness langsam wieder aufbauen
Bemerken Hausärzte bei einem Patienten solche Symptome, sollte man sie so früh wie möglich mit einem Management ihrer Energie (Pacing) vertraut machen. «Solche Patienten sollen sich nicht überstrapazieren. Stattdessen ist es am besten, sie falls nötig weiter krank zu schreiben, und sie dazu anzuhalten, ihre sportlichen Aktivitäten vorerst zurückzufahren.» Besser ein Spaziergang als Fitness- oder Krafttraining, wenn Patienten sich immer noch schwach fühlen. «Damit, dass die Patienten am Anfang ein bisschen vorsichtig sind, konnten wir in den letzten zwei Jahren schon viel herausholen.»
«Auf der anderen Seite», sagt Dr. Fretz, «lernen wir jetzt langsam den Punkt kennen, an dem man Patienten mit einer gewissen Sicherheit wieder zu etwas Sport raten kann.» Denn ansonsten kommt irgendwann das Problem der Dekonditionierung dazu, die den Wiederaufbau von Muskeln und Kondition erschwert. «Wann dieser Punkt gekommen ist, ist individuell unterschiedlich; bei manchen Menschen ist er schon nach drei bis vier Wochen wieder erreicht. Bei anderen erst nach mehreren Monaten.» Am Anfang können Patienten jedenfalls auf ihren Puls achten, wenn sie sich bewegen. Sie sollten garantiert im aeroben Bereich bleiben und Pausen einlegen, wenn ihnen danach ist. «Die Patienten dürfen sich am nächsten Tag auf jeden Fall nicht schlechter fühlen.»
Die meisten Untersuchungen können in der hausärztlichen Praxis gemacht werden
Vermutet ein Hausarzt eine Long-Covid-Symptomatik bei seinem Patienten, sollte in erster Linie das Energiemanagement umgesetzt werden. Zudem sollte man eine Basisuntersuchung durchführen, um das Symptombild genauer abzuklären. Darüber hinaus können symptomspezifisch noch weitere Abklärungen sinnvoll sein, wie etwa eine apparative Untersuchung der Lunge (mittels Spirometrie und EKG) bei Atemnot. Extreme Kopfschmerzen bei Menschen, die diese Beschwerden vor Covid-19 noch nicht kannten, erfordern ausserdem eine neurologische Abklärung.
Dauern Symptome länger als vier Wochen an, sollte man ein Labor machen, um zu sehen, ob es Kofaktoren gibt, die den Verlauf begünstigen. «Eine Red Flag ist jedenfalls, wenn jemand nach zwei bis drei Monaten nach Infektion immer noch starke Kopfschmerzen oder Schlafprobleme hat, die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, oder kognitive Probleme vorhanden sind.» Dann lohnt es sich, weitere Abklärungen zu machen.
Neuerdings hilft auch ein Erfassungsbogen der Swiss Insurance Medicine, eine Post-Covid-Symptomatik zu beschreiben. «Da wird betont, dass man alert sein sollte, wenn die Symptome nach drei Monaten nicht verschwinden. Ich finde aber, man darf die Weichenstellung schon früher vornehmen, um eine mögliche Progression hin zu einem noch länger andauernden Verlauf abzufedern», so Dr. Fretz
Schwere Long-Covid-Symptome vor allem bei Durchtauchen der Erkrankung
Andererseits rät der Experte dazu, ohnehin vorhandene Ängste in Bezug auf Long Covid beim Patienten nicht noch zu verstärken: «Wenn Patienten das Energiemanagement umsetzen können, ist die Chance laut den vorhandenen Daten sehr gross, dass sie sich innerhalb von ein paar Wochen erholen werden.»
Neueste Daten aus Zürich legen nahe, dass nach einem halben Jahr noch etwa 20 von 100 an Covid-19 erkrankten Menschen von Symptomen betroffen sind. «Schwer betroffen sind davon aber nur drei oder vier. Menschen, die langfristig eingeschränkt bleiben, gibt es aber auch – nach heutigen Einschätzungen sind das rund zwei Prozent», so Dr. Fretz. Auch die Impfung scheint die Gefahr für Long Covid zu reduzieren (wir haben berichtet).
«Wir haben den Eindruck, dass man die Prognose einer vollständigen Abheilung umso besser beeinflussen kann, je früher man die Symptome angeht», so Dr. Fretz. «Menschen, die wir jetzt schon ein Jahr oder länger betreuen, waren häufig die, die am Anfang sofort versucht haben, die Symptome durchzutauchen. Dann folgt ein 'Crash' nach dem anderen – und die sind wahrscheinlich prognostisch nicht gut.»
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