Medical Tribune
22. März 2019Kurzes Kratzen genügt

Rezepte gegen den Juckreiz

Hinter chronischem Pruritus stecken meist nichtdermatologische Ursachen

Wenn die Haut zwickt und juckt, kann das ein Zeichen für die verschiedensten Erkrankungen sein. Neben Dermatitiden kommen unter anderem Schäden an Nieren, Leber und Nerven infrage.

Meist dauert eine Episode nur wenige Sekunden. Kurzes Kratzen genügt und der Reiz ist vorbei. Hält die Empfindung länger als sechs Wochen an, ist der Pruritus chronisch. Dieser kann sich auf einzelne Körperstellen beschränken oder generalisiert auftreten. Ein akuter Juckanfall hat oft harmlose Ursachen wie z.B. einen Mückenstich. Anhaltender Juckreiz hingegen kann in manchen Fällen das Symptom einer ernsten Erkrankung sein.

6 g Aktivkohle pro Tag können den Juckreiz lindern

So klagen Patienten mit fortgeschrittener oder terminaler Niereninsuffizienz beispielsweise häufig über quälenden Pruritus, berichtet Professor Dr. Thomas Mettang vom Nierenzentrum Wiesbaden. Schätzungen zufolge betrifft dies bis zu 40 Prozent der Dialyse-Patienten. Wie genau es zum sogenannten urämischen Pruritus kommt, ist nicht bekannt. Daher sind die Therapieansätze weitestgehend empirisch. Topisch werden u.a. Capsaicin und Tacrolimus-Salben eingesetzt. Systemisch kann Aktivkohle in höheren Dosen von 6 g/d für Linderung sorgen.

Ebenfalls infrage kommen Gabapentin (50–100 mg/d), Pregabalin (2 × 75 mg/Woche), Naltrexon (50 mg/d) und Ondansetron, wobei man unbedingt auf den jeweiligen Evidenzgrad achten sollte. In mehreren Studien besserten 2,5–5 mg Nalfurafin die Beschwerden, allerdings ist dieser Wirkstoff in Europa nicht zugelassen. Teilweise konnten Forscher mit einer UVB-Fototherapie Erfolge erzielen. Für die Akupunktur gibt es ebenfalls positive Berichte. Nach einer Nierentransplantation normalisieren sich meist die ur­ämischen Hautveränderungen.

Fast alle hepatischen Krankheiten können von Pruritus begleitet werden. Vor allem cholestatische Erkrankungen, aber auch virale Hepatitiden und Zirrhosen gehen damit einher. Für die intrahepatische Schwangerschafts­cholestase gilt das Leiden sogar als Leitsymptom. Zwar gibt es einige Erklärungsansätze, wie die lästigen Beschwerden entstehen – doch die genaue Ursache kennt man nicht. Fest steht, dass eine Therapie der Cholestase meist auch das Jucken schnell verschwinden lässt.

Bei Obstruktion des Gallengangsystems ausserhalb der Leber kann die endoskopische Dilatation helfen. Systemisch ist Colestyramin das Mittel der Wahl (4–16 g/d). Ursodeoxycholsäure wirkt nachgewiesenermassen nur bei der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase. Als zweite Wahl empfiehlt Prof. Mettang Rifampicin in Dosen zwischen 300 und 600 mg/d. Dabei müssen Kollegen allerdings die lebertoxischen Eigenschaften der Substanz bedenken und Patienten regelmässig untersuchen.

Pruritus z.T. Jahre vor dem Ausbruch eines Krebsleidens

Lindert Rifampicin die Symptome nicht ausreichend, rät der Autor zu µ-Opioidrezeptor-Antagonisten. Bei Naltrexon etwa sollte man zunächst niedrig dosiert mit 12,5 mg pro Tag beginnen und später auf eine orale Erhaltungsdosis von 50 mg umsteigen. Die vierte Wahl bilden Serotonin-­Wiederaufnahmehemmer wie Sertralin (100 mg/d). Neben den Genannten wird mit diversen Therapieoptionen experimentiert, darunter Fototherapie und invasiven Methoden. Die Durchführung sollte man allerdings spezialisierten Zentren überlassen, meint Prof. Mettang.

Krebserkrankungen können ebenfalls zu Juckreiz führen. Der genaue Zusammenhang ist ungeklärt. Bis zur Hälfte aller Patienten mit Polycythaemia vera, essenzieller Thrombozythämie oder primärer Myelofibrose klagen über Pruritus. Für sie könnte Ruxolitinib eine Lösung sein – hierauf weisen die Ergebnisse einer Phase-II-Studie hin. Auch bei Morbus Hodgkin, seltener bei Non-Hodgkin-Lymphomen sowie im Rahmen eines Karzinoid-Syndroms ist juckende Haut in generalisierter Form ein ständiger Begleiter. Wie bei der Polycythaemia vera können die Hautbeschwerden dem Ausbruch der Erkrankung (oder einem Rezidiv) um Jahre vorausgehen.

Juckreiz tritt zudem im Rahmen von metabolischen und endokrinen Störungen auf. Bei Diabetes mellitus, Hyperthyreose und Hyperparathyreoidismus eher selten, bei Anorexia nervosa mit knapp 20 Prozent häufiger. Oft ist es die mit den Störungen einhergehende Xerodermie, die die Beschwerden bedingt. In diesen Fällen helfen rückfettende Massnahmen, schreibt Prof. Mettang. Bei Malabsorptionssyndromen wie glutensensitiver Enteropathie oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen kann ein Eisenmangel dazu führen, dass die Haut juckt.

Diagnose somatoformer Pruritus wiederholt prüfen

Sind Nerven oder ZNS geschädigt, kommt es neben neurologischen Symptomen mitunter zu Juckreiz. Beispiele hierfür sind die Post-Zos­ter-Neuralgie, die Small-Fiber-Neuropathie, die Notalgia paraesthetica sowie der brachioradiale Pruritus.

Juckt die Haut, ohne dass es einen organischen Befund gibt, lautet die Arbeitshypothese vorerst somatoformer Pruritus. Diese sollte allerdings immer wieder überprüft werden. Denn manchmal treten die ursächlichen Grunderkrankungen erst nach einiger Zeit zutage, so Prof. Mettang. Oft folgt Pruritus auf kritische Lebensereignisse, er kann aber auch Symptom einer manifesten psychiatrischen Erkrankung sein. In diesen Fällen ist eine psychosomatische Therapie sinnvoll. Bei vermehrtem Kratzen bietet sich eine Verhaltenstherapie an.

Quelle

Mettang T. Hessisches Ärzteblatt 2018; 79: 473–478.