Medical Tribune

Von wegen «Weisskittelhypertonie» – im Alltag ist der Blutdruck sogar höher

Schon beim Betreten der Arztpraxis schnellt der Blutdruck in die Höhe. Deshalb muss ein dort gemessener hoher Wert nicht gleich krankhaft sein – so die weit verbreitete Auffassung. Doch wie eine Studie nun ans Licht brachte, ist es offenbar genau umgekehrt, zumindest bei unter 65-Jährigen.

Im Schnitt 7 mmHg höher ist der systolische Blutdruck, wenn man ihn in der Praxis misst. Das ist das Ergebnis der Masked Hypertension Study mit 888 gesunden Angestellten. Bei den Teilnehmern wurde im einwöchigen Abstand dreimal (mit jeweils drei Wiederholungen) unter Praxisbedingungen der Blutdruck ermittelt. Einen Tag später erfolgte eine 24-stündige ambulante Langzeitmessung. Gleichzeitig wurde der Schlaf-wach-Rhythmus erfasst. Für den Vergleich wurden nur im Wachzustand gemessene Blutdruckwerte berücksichtigt.

Bei über einem Drittel der Probanden lag der ambulante Blutdruck mindestens 10 mmHg höher als der unter Praxisbedingungen gemessene. Am stärksten fiel diese Differenz bei jungen Erwachsenen mit einem BMI im Normbereich aus. Zwischen Männern und Frauen waren diese Unterschiede ähnlich gross.

Nur bei 2,5 % war der von den medizinischen Fachangestellten gemessene Wert mindestens 10 mmHg höher. In der relativ kleinen Gruppe der über 65-Jährigen wichen die Ergebnisse kaum noch voneinander ab. Bei den Angestellten mit einem BMI > 32,5 kg/m2 war der ambulante Blutdruck im Mittel etwas niedriger.

Ausgehend von den Praxis-Messwerten wurde jeder zwanzigste Teilnehmer als Hypertoniker eingestuft, laut ambulanter Langzeitkontrolle jeder Fünfte. Bei 15,7 % der Probanden war der in der Praxis gemessene Blutdruck normal, in der Langzeitmessung jedoch oberhalb des Schwellenwerts. Bei diesen lag also eine versteckte Hypertonie vor. Dagegen gab es nur bei 1 % Hinweise auf eine sog. Weisskittelhypertonie.

Die Teilnehmer der Studie waren Angestellte mit einem durchschnittlichen Alter von 45 Jahren. Zu den Ausschlusskriterien zählten ein Blutdruck > 160/105 mmHg, die Einnahme von Antihypertensiva sowie kardio­vaskuläre Vorerkrankungen.

Es ist ein Dilemma, dass Ärzte nur den Praxis-Blutdruckwert kennen, obwohl der ambulante prognostisch relevanter ist, schreiben Studienleiter Professor Dr. Joseph Schwartz und Kollegen. Hausärzte sollten daher bei jungen Patienten oder solchen mit normalem BMI eine ambulante Blutdruck-Langzeitmessung erwägen, vor allem bei hochnormalem Befund.

Schwartz JE et al. Circulation 2016; 134: 1794–1807.