Medical Tribune
9. Dez. 2016Körperliche Aktivität und milde Kälte

Ein wenig frösteln ist metabolisch gesund

Gewichtsabnahme und körperliche Aktivität können bekanntlich der Insulinresistenz und dem Typ-2-Diabetes vorbeugen und in ihrem Ausmass reduzieren. Aber – und das ist weniger verbreitet – auch Kälteexposition steigert den Energieumsatz und verbessert die Insulinsensitivität.

Körperliche Aktivität und milde Kälte wirkten augenscheinlich über den gleichen biochemischen Mechanismus protektiv, so die Hypothese der Stoffwechselexperten Professor Dr. Patrick Schrauwen und Professor Dr. Wouter D. van Marken Lichtenbelt vom Maastricht University Medical Center: über die Stimulation von Energiesensoren wie der 5-Adenosin-Monophosphat-aktivierten Proteinkinase (AMPK) in Muskel- und Leberzellen. Melden solche Senoren einen akuten Energiemangel aufgrund von Bewegung oder Kälte, verbrennen die Mitochondrien vermehrt freie Fettsäuren und Glukose und stellen der Zelle die benötigte Energie in Form von ATP zur Verfügung.

Effekt unabhängig von Gewichtsreduktion

Dieser unter dem Namen Atmungskettenphosphorylierung bekannte Ablauf erklärt, zusätzlich zu weiteren Wirkungen wie Muskelremodelling und hormonellen Veränderungen, den positiven Einfluss von körperlichem Training auf die metabolische Gesundheit. Der Effekt ist unabhängig von einer Gewichtsreduktion, die ebenfalls einer Insulinresistenz vorbeugt.

Mitochondrien fangen an zu schuften

Dadurch erklärt sich nach Aussage der Autoren auch die Tatsache, dass körperliche Bewegung auch ohne nennenswerten Verlust von subkutanem Fettgewebe die Stoffwechselgesundheit fördert. Schon wenn eine langdauernde sitzenden Tätigkeit durch körperliche Aktivität unterbrochen wird, hat das positive metabolische Wirkungen und einen präventiven Effekt gegenüber einer Insulinresistenz, zitieren die niederländischen Forscher mehrere Studien. Ausdauertraining steigert den mitochondrialen Energieverbrauch der Muskelzellen, zum einen entsteht dadurch Wärme, zum anderen erhöht sich die Insulinsensitivität der Zellen. Ausserdem sinken im Leberparenchym die Lipid- bzw. Cholesterolwerte, was, etwa bei Übergewichtigen und/oder Typ-2-Diabetikern, wohl ebenfalls zur metabolischen Gesundung beiträgt.

Ähnliche Effekte hat eine Kälteexposition. Der auskühlende Organismus kompensiert den Wärmeverlust durch vermehrte mitochondriale Oxidation von Lipiden und Glukose und die damit verbundene Bereitstellung von Wärmeäquivalenten in Form von ATP. Das gilt nicht nur für extreme Kältereize, bei denen Wärme vor allem durch Mikrovibrationen erzeugt wird, sondern es gibt bei moderaten Kältereizen auch eine Thermogenese ohne dieses "Kältezittern".

Übergewichtige, Ältere und auch Diabetiker verfügen nach Angaben der Wissenschaftler allerdings nur über eine eingeschränkte Fähigkeit, kälteadaptiert auf biochemischem Weg Wärme zu generieren. Inwieweit das zur Diabetes­ätiologie beitrage, sei aber noch nicht untersucht.

Die kälteinduzierte Thermogenese findet bei Säugetieren ver­stärkt in dem braunen Fettgewebe statt. Moderate Kälteexposition bei 14 bis 17 oC stimuliert das Wachstum von braunem Fettgewebe und liefert bei kühlen und kalten Temperaturen mitochrondriale Wärme. In retrospektiven Studien ergab sich eine negative Korrelation zwischen der Aktivität von braunem Fettgewebe und der Diabetesrate. Umgekehrt fanden prospektive Studien eine positive Korrelation von vermehrtem Fettgewebe mit einem gesteigerten Glukosemetabolismus.

Es sind auch bereits Substanzen bekannt, die die Atmungskettenphosphorylierung anregen. Ein Beispiel ist das früher zur Gewichtsreduktion eingesetzte 2,4-Dinitrophenol.

Inhaltsstoff von Rotwein wird klinisch erforscht

Da es bei Einsatz des "Schlankmachers" wiederholt zu letalen Hyperthermien kam, wurde dieser Gebrauch in den 1930er-Jahren verboten. Vermutlich aktiviere auch das Antidiabetikum Metformin zelluläre Energiesensoren, schreiben die niederländischen Metabolismus-Experten.

Klinisch erforscht wird in dieser Hinsicht auch das in Rotwein vorkommende Resveratrol. Es steigert ebenfalls den Energieverbrauch in Muskel und Leber und hatte in einigen, wenngleich nicht in allen präklinischen Studien positive Einflüsse auf Metabolismusfaktoren. Ergebnisse von aussagefähigen klinischen Studien werden für die nächsten Jahre erwartet.

Quelle: Schrauwen P, van Marken Lichtenbelt WD. Diabetologia 2016; 59: 2269–2279