Medical Tribune
17. Aug. 2016Medikation im Alter auf den Punkt

Medikamente bei Älteren gründlicher hinterfragen!

"Wenn wir ältere Patienten nach Leitlinien behandeln, bringen wir sie um!" Mit dieser provokanten Aussage brachte Dr. Oliver Emrich, Allgemeinmediziner aus Ludwigshafen, seine Einschätzung zur Medikation im Alter auf den Punkt. Natürlich gibt es physiologische Alterungsprozesse der Organe, die Pharmakodynamik und -kinetik von Medikamenten verändern.

Beispielsweise sinkt das Nierenvolumen und die Exkretionsleistung geht zurück. Die Leber schrumpft um etwa 40 %, ihre Durchblutung nimmt ab. Aber diese Veränderungen haben offenbar gar nicht so viel Einfluss auf die Stoffwechselfunktion. Eine kürzlich erstellte Dissertation fand z.B. keinen relevanten Rückgang hepatischer CYP-Aktivitäten.

Laut Dr. Emrich hat das "normale" Altern nur geringe Relevanz für unerwünschte Medikamentenwirkungen. Von grosser Bedeutung ist vielmehr die Multimorbidität, verbunden mit einer entsprechenden Polypharmazie. Dann lässt sich die Fülle möglicher Wechselwirkungen oft kaum noch überblicken. Zudem können auch nebenbei konsumierte Phytopharmaka (z.B. Johanniskraut) oder Grapefruitsaft erhebliches Interaktionspotenzial besitzen.

NSAR sind Spitzenreiter bei den Nebeneffekten

Aber einige Substanzklassen bergen schon allein viele Risiken, als "Spitzenreiter" bei der Häufigkeit von Nebeneffekten nannte Dr. Emrich die NSAR – was sich auch in der Statistik der arzneimittelbedingten Todesfälle widerspiegelt. Zudem ist bei einer Reihe von Präparaten ein erhöhtes Sturzrisiko zu bedenken:

  • Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva
  • Antihypertensiva, Antiarrhythmika, Nitrate und andere Vasodilatatoren, Digoxin
  • Opioidanalgetika
  • Anticholinergika
  • Antihistaminika
  • Antivertiginosa

Generell plädierte der Schmerztherapeut dafür, jede Medikamentenverordnung bei Älteren gründlich zu überprüfen. "Braucht der bettlägerige 90-Jährige im Heim wirklich noch ein Statin, um sein Herz auf lange Sicht zu schützen?", lautete ein Beispiel. Dr. Emrich bespricht in solchen Fällen das Für und Wider ausführlich mit den Patienten und/oder ihren Angehörigen. Dem Auditorium gab er den einfachen Rat mit: "Im Zweifel immer lieber ein Medikament streichen."

Quelle: Deutscher Schmerz- und Palliativtag