Medical Tribune
1. Dez. 2015Akutes Koronarsyndrom

Muskelsymptome unter Statintherapie

Die 69-jährige Patientin hatte vor vier Jahren ein akutes Koronarsyndrom erlitten. Als vaskuläre Risikofaktoren fielen Rauchen und eine Hypercholesterinämie ins Gewicht. Eine Therapie mit 80 mg Atorvastatin pro Tag war eingeleitet worden bei folgendem Lipidstatus: LDL-Cholesterin 187 mg/dl, HDL-Cholesterin 34 mg/dl, Triglyzeride 130 mg/dl.

Ausserdem erhielt die Patientin im Rahmen der koronaren Sekundärprävention 75 mg Acetylsalicylsäure (ASS), 75 mg Clopidogrel und 10 mg Ramipril pro Tag. Auffällig war der sehr geringe BMI von 19 kg/m2, wie Professor Dr. Eric Bruckert vom Pitié-Salpêtrière Hospital Paris berichtete.

Vitamin-D mildert die Statin-Nebenwirkung 

Zwei Jahre lang gab es keinerlei Probleme mit der Statintherapie, doch dann begann die Patientin über Muskelkrämpfe zu klagen, die sie insbesondere während der Nacht als unerträglich empfand. Die Atorvastatin-Dosis wurde halbiert und 10 mg Ezetimib hinzugegeben. Nach vier Wochen waren die Muskelsymptome verschwunden. Ein Jahr danach kehrten die Muskelschmerzen zurück, sie betrafen symmetrisch beide Waden. Höchst beunruhigt durch negative Presseberichte, setzte die Frau nun Atorvastatin eigenmächtig ab.

Tatsächlich sistierten danach die Beschwerden innerhalb von zwei Wochen. Ihr Arzt überzeugte seine Herz-Patientin jedoch von der Notwendigkeit, die lipidsenkende Therapie fortzusetzen. Darunter kehrten aber auch die Beschwerden innerhalb von zwei Wochen wieder zurück.

Makrolide und Cyclosporin interagieren mit Atorvastatin

Die Laborkontrolle ergab, dass die Kreatinkinase (CK) auf mehr als das Dreifache des oberen Normwerts erhöht war. Der LDL-Cholesterin-Wert hatte sich im Vergleich zu dem Befund vor der Therapie mit 99 mg/dl deutlich gebessert, befand sich aber nicht im Zielbereich (< 70 mg/dl).

Dass die Symptome mehrmals nach Absetzen der Statintherapie aufhörten und bei Reexposition zurückkehrten, sei ein starkes Indiz dafür, dass es sich bei dieser Patientin tatsächlich um einen Statin-Nebeneffekt handelt, kommentierte Prof. Bruckert den Fall.

Grapefruitsaft interagiert mit CYP3A4 und beeinflusst Medikamenten-Spiegel

In diesem Kontext sei es sehr wichtig, auf mögliche Interaktionen zu achten. Nur wenige Medikamente besitzen in dieser Hinsicht grosse Relevanz, erklärte der Kollege, z.B. Gemfibrozil, Azol-Antimykotika, Cyclosporin oder Makrolide. Auch nach dem Konsum von Grapefruit-Saft muss man betroffene Patienten fragen, was in der Praxis häufig vergessen werde. Denn Grapefruit-Saft führt selektiv zu einer Hemmung von Cyp3A4 im Duodenalepithel. Wie sich dies auswirkt, hängt unter anderem von der konsumierten Menge ab sowie vom Zeitpunkt des Konsums in Relation zur Medikamenteneinnahme.

Diese Interaktion betrifft insbesondere Atorvastatin und Simvastatin, während Pravastatin, Fluvastatin und Rosuvastatin nicht durch Cyp3A4 metabolisiert werden. Der Serumspiegel von Atorvastatin steigt bei gleichzeitigem Trinken von 300 ml Grapefruitsaft um 20–25 %, der von Simvastatin um das Zwei- bis Neunfache, wenn der Patient die Tabletten mit 200 ml Grapefruitsaft herunterspült. Minimal ist die Interaktion, wenn zwölf Stunden zwischen Saftkonsum und Tabletteneinnahme liegen.

Weibliches Geschlecht und niedriger BMI erhöhen das Rhabdomyolyse-Risiko

Zu den Risikofaktoren für Statin-induzierte Muskelsymptome gehören das weibliche Geschlecht und ein niedriger BMI – beide Faktoren trafen in der geschilderten Kasuistik zu. Als weiteren möglichen Risikofaktor nannte Prof. Bruckert eine Vit­amin-D-Defizienz. Es gebe mittlerweile auch Hinweise darauf, dass sich Muskelsymptome durch Vitamin-D-Substitution vermindern lassen.

Ist die CK bei Patienten mit Muskelsymptomen erhöht, sollten Lebensstilmassnahmen forciert werden, damit sich vielleicht die Statindosis senken lässt. Eventuell sollte das Statin in niedrigerer Dosis mit einem anderen Lipidsenker wie Ezetimib kombiniert werden. Auch ein Statinwechsel kann die Muskelprobleme zum Verschwinden bringen.

Quelle: Kongress der European Society of Cardiology, London, September 2015