Medical Tribune
28. Juli 2015Diagnose eines erhöhten Blutdrucks

Fallstricke in der Hypertoniediagnostik

Die Diagnose einer Hypertonie zu stellen, ist gar nicht so trivial. Den Blutdruck einmalig oder mehrere Male zu messen, reicht nicht aus. Über welche Fallstricke man in der Praxis stolpern kann, fasste PD Dr. Thomas Dieterle, Kantonsspital Liestal, am Jahreskongress der SGIM zusammen.

Der Blutdruck ist eine sehr variable Angelegenheit, und die Höhe ist von der jeweiligen Situation abhängig (s. Tabelle). «Dementsprechend haben wir ein Problem bei der Diagnose eines erhöhten Blutdrucks», so Dr. Dieterle. Diese Variabilität bedingt, dass der Blutdruck innerhalb weniger Sekunden stark schwanken kann. Letztendlich muss eine Hypertonie anhand von zwei Blutdruckmessungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bewiesen oder widerlegt werden. Das funktioniert nur, wenn bestimmte Rahmenbedingungen für die Blutdruckmessung eingehalten werden. Für die Praxisblutdruckmessung heisst das: Der Patient sitzt seit mindestens fünf Minuten in Ruhe, er hat 30 Minuten vor der Messung weder geraucht noch Kaffee getrunken und 24 Stunden vorher keinen Alkohol getrunken. «Sie müssen an mindestens zwei Visiten den Blutdruck messen, so lange bis die Differenz zwischen den beiden Messungen weniger als 5 mmHg beträgt. Bei der ersten Visite sollte auch im Stehen und auf beiden Seiten gemessen werden», so der Experte. «Wenn Sie das bei drei oder vier neuen Patienten pro Tag machen, haben Sie wahrscheinlich für nichts anderes mehr Zeit», räumte der Referent ein.

Goldstandard 24-Stunden-Blutdruckmessung

Um der Blutdruck-Variabilität beizukommen, stehen verschiedene Methoden zur Verfügung: die Heim- , die 24-Stunden- und die zentrale Blutdruckmessung, die allerdings von der Praxisroutine noch weit entfernt ist, erklärte Dr. Dieterle. Der Experte wies darauf hin, dass Quecksilbermanometer in Spitälern und Arztpraxen nichts mehr zu suchen haben. Stattdessen sollten Oberarm-, Handgelenk- oder 24-Stunden-Messgeräte verwendt werden, die heute fast alle nach dem oszillometrischen Prinzip funktionieren. Die Schweizerische Gesellschaft für Hypertonie hat auf ihrer Homepage alle validierten Geräte zusammengestellt.

Die Heimblutdruckmessung kann einen guten Überblick über den situativen Blutdruck geben. Allerdings braucht es eine gute Instruktion durch den Hausarzt. Der Patient sollte in einer entspannten sitzenden Position den Blutdruck messen, nach einer Pause von mindestens fünf Minuten, in denen die Blutdruckmanschette am besten schon angelegt ist – und immer an dem Arm mit dem höheren Blutdruck. Dr. Dieterle betonte, dass es gute Daten gibt, die zeigen, dass eine zweimalige Messung jeweils morgens und abends über sieben Tage ausreicht, um eine Hypertonie auszuschliessen. Die Patienten sollten die Werte dokumentieren, entweder im Büchlein oder über das electronic memory im Blutdruckmessgerät.
Den Goldstandard zum Nachweis bzw. Ausschluss einer arteriellen Hypertonie stellt jedoch die 24-Stunden-Blutdruckmessung dar, für die es verschiedene Indikationen gibt (s. Kasten). Die Normwerte sind nicht identisch mit denen der Praxisblutdruckmessung und betragen im Mittel < 130/80 mm/Hg (im Wachzustand < 135/85 mmHg und im Schlaf < 120/70 mmHg). Ein Dipping > 10 % ist als normal anzusehen. Patienten, die kein oder ein reverses Dipping aufweisen, haben ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Die antihypertensive Therapie muss daran angepasst werden.


Wie Aktivität die Blutdruckwerte verändert

Meeting

+20,2/+15 mm/Hg

Gehen

+12/+5,5 mm/Hg

Anziehen

+11,5/+9,7 mm/Hg
Telefonieren+9,5/+7,2 mm/Hg
Essen+8,8/+9,6 mm/Hg
Reden+6,7/+6,7 mm/Hg
Schreibtischarbeit+5,9/+5,3 mm/Hg
Lesen+1,9/+2,2 mm/Hg
Fernsehen+0,3/+1,1 mm/Hg
Schlafen–10/–7,6 mm/Hg

Indikationen zur 24-Stunden-Blutdruckmessung

  • Verdacht auf White-coat-Hypertonie (Grad-1-Hypertonie; Praxisblutdruck hoch, keine Endorganschäden und niedriges kardiovaskuläres Risiko)
  • Verdacht auf maskierte Hypertonie (hochnormaler Praxisblutdruck; Praxisblutdruck normal, aber Endorganschaden und hohes kardiovaskuläres Risiko)
  • hohe Variabilität zwischen den Messungen
  • White-coat-Effekt bei behandelten Hypertonikern
  • autonome, posturale, postprandiale, Ruhe- oder medikamenteninduzierte Hypotonie
  • hoher Blutdruck, Verdacht auf Präeklampsie bei Schwangeren
  • Verdacht auf therapieresistente Hypertonie