Medical Tribune
17. Juli 2014

Allergien: Ist die SLIT zu Recht im Aufwind?

Insgesamt nimmt die Häufigkeit der spezifischen Immuntherapie (SIT) in Deutschland eher ab – wohl auch, weil die subkutane Methode (SCIT) nicht adäquat vergütet wird. Mittlerweile gilt aber die sublinguale Immuntherapie (SLIT) als wirksame Alternative. Sogar die strenge FDA befürwortet sie, wie Professor Dr. Adrian Gillissen, Direktor der Klinik für Lungen- und Bronchialmedizin am Klinikum Kassel darlegte.

Laut WHO-Statement* ist die SLIT in der Lage, Symptome und Medikamentenbedarf zu reduzieren, die Lebensqualität bei Erwachsenen und Kindern mit allergischer Rhinitis zu steigern sowie – im Gegensatz zu üblichen Antiallergika – den Krankheitsverlauf zu beeinflussen. Das WHO-Statement fusst auf einer Auswertung placebokontrollierter Studien – überwiegend an Patienten mit Allergien gegen Graspollen.

Wie eine andere Metaanalyse zeigt, drohen offenbar keine schweren Nebenwirkungen wie Anaphylaxie. Die Therapie ist hochwirksam und sehr sicher, resümierte Prof. Gillissen.

Keine neue Sensibilisierung innerhalb von 7 Jahren

Eine Studie an Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis mit und ohne Asthma wies nach, dass die SLIT neue Sensibilisierungen verhindert (nach sieben Jahren 25 % Neusensibilisierungen unter SLIT vs. 100 % unter Placebo). “Und nicht nur die Klinik stimmt, sondern auch die Immunologie”, so der Experte. Unter der Behandlung nimmt das spezifische IgE ab und das spezifische IgG4 zu – wie bei der SCIT.

Wie gefährlich ist die SLIT?

Für die SCIT ergibt die Risikoeinschätzung aus Daten seit 1945 einen Todesfall pro zwei Millionen Therapieanwendungen. Für die SLIT sind keine Todesfälle berichtet.

Kleinere Studien bei Kindern mit Asthma zeigten Heilungen von dem Atemwegsleiden unter oraler Hyposensibilisierung nach zehn Jahren (32/35 unter SLIT vs. 1/25 unter Placebo). Und ein Cochrane-Review von 76 placebokontrollierten Doppelblindstudien an über 3100 Asthmapatienten sprach für eine signifikante Reduktion von Asthmasymptomen und allergenspezifischer bronchialer Hyperreaktivität.

Zusammenfassend urteilte Prof. Gillissen positiv: Die spezifische Immuntherapie ergänzt Allergievermeidung und Pharmakotherapie schon seit über 20 Jahren. Frühzeitig eingesetzt mindert sie effektiv Symptome und Medikamentenbedarf und verhindert weitere Sensibilisierungen. Vor allem die SLIT ist sicher und wird von anerkannten Gesundheitsorganisationen empfohlen.

Immuntherapie erst nach Ausschöpfung konservativer Massnahmen

Kritischer urteilte Professor Dr. Christian Taube vom Medical Center Department of Pulmonology der Universität Leiden. Er setzt bei Allergikern zunächst auf herkömmliche Therapiemethoden wie Allergenkarenz, Sanierung des häuslichen Umfelds und die symptomatische Therapie: “Dafür haben wir bewährte Medikamente wie Antihistaminika, topische Steroide und Leukotrienrezeptorantagonisten”.

Erst wenn ein Patient trotz dieser Massnahmen noch Symptome hat, stellt in seinen Augen die spezifische Immuntherapie eine Möglichkeit dar: “Nicht jeder der mit Heuschnupfen in Ihre Praxis kommt, braucht gleich die Spritze oder eine orale Immuntherapie.”

SCIT und SLIT vermutlich gleich wirksam

Die Datenlage zur “Hyposensibilisierung” ist ihm nicht verlässlich genug. Durch herstellerspezifische Prozessierung entstehen Extrakte, die sich in Zusammensetzung und Allergenaktivität voneinander unterscheiden, warnte Prof. Taube. Eine Studie gilt nur für das jeweils getestete Präparat.

Die Studien der Cochrane Datenbasis böten darüber hinaus auch bezüglich der Indikation einen “bunten Blumenstrauss”: Von Hausstaubmilbe, Pollen- und Tierallergenen bis hin zu Latexextrakten oder “multiplen Allergenen” sei alles dabei.

Head-to-Head-Vergleiche von SCIT und SLIT gibt es kaum und nur an sehr kleinen Patientenzahlen, kritisierte der Leidener Kollege. Immerhin scheine nach bisherigen Erkenntnissen die Applikationsroute (s.c. oder s.l.) im Hinblick auf die Wirksamkeit unerheblich zu sein.

Ein aktueller Vergleich ergab Äquieffektivität von subkutaner Immuntherapie und der Gabe lokaler Steroide. Leukotrienrezeptorantagonisten und Antihistaminika war die SCIT leicht überlegen: “Für SCIT haben wir diese Daten, für SLIT nicht.”

Bei schwerem Asthma Hände weg von der Immuntherapie

Als weiteres Argument gegen die SLIT führte Prof. Taube die Compliance an. Aktuelle Apothekendaten aus den Niederlanden, in denen man die Abholung verschriebener Präparate prüfte, zeigten, dass von den 2796 SCIT-Patienten nach drei Jahren noch 23 % mitmachten. Von den 3690 SLIT-Patienten waren es dagegen nur 7 %. Dabei lasse sich die Compliance für die orale Therapie wesentlich schlechter kontrollieren als die bei Spritzen-Behandlung.

Last, but not least sei die spezifische Immuntherapie nicht universell einsetzbar. Bei Katzen-Allergikern hat man z.B. Todesfälle unter SCIT dokumentiert, weshalb man bei ihnen Allergenkarenz favorisiert. Die Nebenwirkung der SLIT sind zwar nicht gefährlich, aber keineswegs unerheblich, räumte Prof. Gillissen ein. Sowohl Schwellungen im Mund als auch gastrointestinale Effekte treten mitunter auf.

Bei Asthmatikern kann es sogar zu Atemnotanfällen kommen. Überhaupt sollte die Immuntherapie nicht beim puren Asthma (allenfalls in Verbindung mit Heuschnupfen) und auch nicht beim schweren Asthma angewandt werden – darin waren sich die Experten einig.

Als SLIT-Domäne nannte Prof. Taube die Graspollenallergie, für die es die besten Studien gebe. Zwar mehren sich auch SLIT-Studien zur Hausstaubmilbenallergie, doch derzeit würde der Experte bei dieser Indikation den Allgemeinmassnahmen (Teppichboden raus, Staubsaugen, Matratzen einhüllen) klar den Vorzug geben.

So urteilt die WHO

  • SLIT kommt als Initialbehandlung in Betracht (alternativ zur s.c. Therapie)
  • früher Beginn bei respiratorischer Allergie empfehlenswert
  • wirkt bei Kindern und Erwachsenen
  • Einzelallergengabe ist effektiv auch bei polysensibilisierten Patienten
  • SLIT ist besonders in Betracht zu ziehen bei Patienten, die 
n unter optimaler Pharmakotherapie noch starke Atemwegssymptome oder starke Nebenwirkungen haben
  • Injektionen oder eine dauerhafte Pharmakotherapie ablehnen

*Canonica et al., WHO Journal 2014; 7: 6
Quelle: 120. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin