Beikost: Keine Angst vor früher Einführung!
In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres sollten Babys beginnen, feste Nahrung kennenzulernen. Die Empfehlungen darüber, wie der Beikostbeginn vonstattengehen sollte, hat sich in den letzten Jahrzehnten auf Basis vieler neuer wissenschaftlicher Daten grundsätzlich gewandelt. Zwei Experten vom Universitäts-Kinderspital Zürich äussern sich über die neusten Erkenntnisse der Beikosteinführung, den Zusammenhang mit Allergien und das Stillen über das erste Lebensjahr hinaus.
Die Beikosteinführung hat sich über die Jahrzehnte immer wieder gewandelt. Die jeweils ausgegebenen Empfehlungen unterscheiden sich europa- und weltweit dabei nicht nur aufgrund von Traditionen, Ernährungsgewohnheiten und Verfügbarkeiten von Nahrungsmitteln. Denn nicht zuletzt sind sie von den Einschätzungen von Kinderärzten und Ernährungsexperten beeinflusst, die immer wieder aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden.
Generell bezeichnet man als «Bei-kost» alles, was Säuglinge zusätzlich zur Muttermilch oder Säuglingsmilchnahrung in fester oder flüssiger Form erhalten. Angefangen wird meist mit Gemüse und Früchten, schrittweise kommen Kartoffeln, Fleisch, Getreide, Fisch, Ei, Öle und andere Lebensmittel hinzu.
Reifung des Darms und immunologische Toleranzentwicklung als entscheidender Zeitpunkt
Prof. Dr. Carsten Posovszky, Leiter Gastroenterologie und Ernährung am Kinderspital Zürich, führt aus: «In den letzten Jahren haben Studien vor allem untersucht, wann der richtige Zeitpunkt für die Einführung von Beikost ist. Interessant war dabei insbesondere wie sich die Einführung von bestimmten Nahrungsmitteln auf das Risiko von Nahrungsmittelallergien oder Glutenintoleranz (Zöliakie) auswirken, oder welchen Einfluss die Beikost auf die Selbstregulation der Energiezufuhr und die Gewichtsentwicklung haben.»
Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Bei gesunden Kindern finden sich keine signifikanten Unterschiede bei Gewicht, Länge, Eisenstatus und Übergewicht in Bezug auf den genauen Zeitpunkt der Beikosteinführung. Meist beginnt man zwischen dem fünften und siebten Lebensmonat, erste feste Nahrung einzuführen. «Dieses Zeitfenster orientiert sich an der Reifung des Darms und der Nieren sowie der immunologischen Toleranz und individuellen neuromotorischen, der psychosozialen Entwicklung des Kindes. Das spiegelt sich auch in den aktuellen Empfehlungen des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) und Pädiatrie Schweiz (SGP) für die Schweiz wider», erklärt Prof. Posovszky.
Ausgenommen von dieser Empfehlung der Fachgesellschaften ist eine frühe Einführung von Kuhmilch als Getränk. Isabel Fischer, Ernährungsberaterin BSc SVDE am Kinderspital rät dazu, ab dem siebten Lebensmonat kleinere Mengen Vollmilch oder Joghurt zur Zubereitung von für das Baby bestimmten Speisen zufügen kann. «Als Getränk oder in grösseren Mengen ist Kuhmilch im ersten Lebensjahr aber nicht geeignet, da sie relativ proteinreich ist, und nur wenig Eisen enthält.»
Regelmässige frühe Gabe von klassischen Allergenen senkt Risiko für atopische Dermatitis
Lange galt die Empfehlung für Kinder mit hohem Atopierisiko, bestimmte Nahrungsmittel wie Erdnüsse oder Milch zu meiden. Dieser Punkt gilt mittlerweile mehr als überholt. «Nahrungsmittelallergene während der Schwangerschaft, Stillzeit oder in der Beikost zu meiden, hat keine Auswirkung auf die Allergieprävention. Im Gegenteil: Je früher Allergene eingeführt werden, umso besser», sagt die Ernährungsberaterin.
Konkret bedeutet das: Bei Kindern, bei denen zumindest ein Elternteil oder Geschwister eine atopische Erkrankung aufweist, oder Babys, bei denen bereits eine atopische Dermatitis aufgetreten ist, sollte man klassische Allergene wie Nüsse, Weizen, Ei, Hülsenfrüchte, Fisch, welche die Familie regelmässig isst, vor dem achten Lebensmonat in altersgerechter Zubereitung (z.B. gemahlen, püriert) einführen und weiterhin regelmässig geben (1).
Studien zeigen, dass so das Risiko von Säuglingen mit schwerer atopischer Dermatitis, beispielsweiseeine Erdnussallergie zu entwickeln, um bis zu 80 Prozent gesenkt werden kann (2). «Führt man die Erdnuss zum Beispiel erst bis zum zwölften Lebensmonat ein, sinkt das Risiko nur um ca. 30 Prozent», ergänzt Frau Fischer.
Ernährung schon in den ersten Lebenstagen nach Möglichkeit gut planen
Eine wichtige Erkenntnis betrifft auch die Einführung von Kuhmilch: «Möchte die Mutter stillen, sollten die Eltern möglichst wenig kuhmilchbasierte Formulanahrung in den ersten Lebenstagen verabreichen.» Ein früher Kontakt mit Kuhmilch in den ersten Lebenstagen ist, wenn man anschliessend die Kuhmilchexposition wieder unterbricht, ungünstig für die Toleranzentwicklung und könnte laut aktuellen Studien dazu führen, dass das Risiko für eine Kuhmilchallergie steigt.
«Bekommt der Säugling jedoch durchgehend oder immer mal wieder Säuglingsanfangsnahrung, würde der Körper gegenüber Kuhmilch eine Toleranz entwickeln», so die Expertin. Ebenfalls vorteilhaft für die Toleranzentwicklung ist das Einführen von Ei und Milch im Zuge der Zubereitung (Kochen oder Backen) der Beikost. «Generell ist bei Kindern mit Allergierisiko oder schwerer Neurodermitis eine Rücksprache mit einem allergologisch erfahrenen Arzt oder Ärztin bzw. Ernährungsfachperson sinnvoll», erinnert Prof. Posovszky.
«Baby led Weaning» zeigt keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich Energiezufuhr und dem Körpergewicht
Mittlerweile praktizieren viele Familien nicht mehr das klassische «Füttern» zur Beikosteinführung, sondern das «Baby led Weaning», also die vom Baby gesteuerte Entwöhnung von der Muttermilch oder Säuglingsnahrung. Bei dieser lässt man Brei und klassische Löffelfütterung zugunsten von Fingerfood, welches das Baby selbst zu sich nimmt, weg. Der Säugling kann damit selbst bestimmen, was und wieviel er isst und lernt dabei auf seine Bedürfnisse zu achten.
Frau Fischer führt aus: «Die Methode ist derzeit sehr beliebt vor allem bei Eltern, die ihre Kinder von Anfang an zu Selbstständigkeit ermutigen möchten und vermeiden wollen, dass ihre Kinder wählerisch werden beim Essen. Auch ist es bei dieser Methode unwahrscheinlicher, dass das Essen zu einem Kontroll- oder Machtinstrument in der Beziehung zwischen Kind und Eltern wird». Für die Umsetzung müssen die motorischen Fertigkeiten (z.B. Sitzen) und das Interesse des Kindes vorhanden sein, erinnert die Expertin.
Prof. Posovszky betont, dass erste Studien (3) keinen signifikanten Unterschied zur Energiezufuhr und dem Körpergewicht im Vergleich zu den mit Löffel gefütterten Kindern zeigen. Eine Beobachtungsstudie (4) zeigt auch, dass die meisten Eltern Beikostmodelle wie das Breifüttern und das Baby-led-Weaning gemischt zur Anwendung bringen. «Grundsätzlich sollte man die Eltern ermutigen, auf das Hunger- und Sättigungsgefühl ihres Kindes zu reagieren und das Füttern zum Trost oder als Belohnung zu vermeiden», empfiehlt auch Frau Fischer.
Stillen über das erste Lebensjahr hinaus: unproblematisch, solange Kinder die empfohlene Beikost erhalten
«Es gibt letztendlich keinen wissenschaftlich begründeten Zeitpunkt für das endgültige Abstillen» so Prof. Posovszky. «Ausschliessliches Stillen für mindestens vier Lebensmonate und überwiegendes Stillen für ungefähr sechs Monate während der Beikosteinführung wird als wünschenswertes Ziel von den nationalen und europäischen Fachgesellschaften ausgesprochen.»
Experten unterstützen und fördern das Stillen unter anderem deshalb, weil es beim Kind Infektionen reduziert, vor allem des Magen-Darms und der Luftwege. Längeres Stillen hat aber auch für die Mutter Vorteile und senkt zum Beispiel das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Typ-2 Diabetes, sowie Brust-, Gebärmutter- und Eierstockkrebs nachweislich. «Leider werden in der Schweiz aber nur knapp zwei Drittel in den ersten vier und ein Viertel in den ersten sechs Monaten ausschliesslich gestillt,» betont Prof. Posovszky.
Über das erste Lebensjahr hinaus stillt weniger als ein Fünftel der Mütter ihre Kinder, wie Daten aus Deutschland zum Langzeitstillen zeigen. Der Kinderarzt weiss, dass die längere Stilldauer überwiegend nicht geplant ist, sondern sich oft einfach so ergibt. Das endgültige Abstillen bestimmen viele mütterliche, kindliche, soziale und kulturelle Faktoren. «Aus kinderärztlicher Sicht ergeben sich aber keine Nachteile durch Langzeitstillen über das erste Lebensjahr hinaus, solange die Kinder wie empfohlen Beikost erhalten.»
Referenzen
- Castenmiller J et al. Appropriate age range for introduction of complementary feeding into an infant’s diet. EFSA Journal 2019;17(9):5780.
- Roberts G et al. Defining the window of opportunity and target populations to prevent peanut allergy. J Allergy Clin Immunol. 2022 Dec 12:S0091-6749(22)01656-6. doi: 10.1016/j.jaci.2022.09.042.
- Taylor RW et al. Effect of a Baby-Led Approach to Complementary Feeding on Infant Growth and Overweight: A Randomized Clinical Trial. JAMA Pediatr. 2017 Sep 1;171(9):838-846. doi: 10.1001/jamapediatrics.2017.1284
- Moreira PR et al. Adherence to different methods for introducing complementary food to 7-month-old babies: a randomized clinical trial. Rev Paul Pediatr. 2022 Sep 9;41:e2021235. doi: 10.1590/1984-0462/2023/41/2021235. PMID: 36102400; PMCID: PMC9462408.