Medical Tribune
12. Juni 2022Schwelende Schwindsucht

Den Übergang von einer latenten in eine aktive Tuberkulose verhindern

In fünf bis 15 Prozent der Fälle geht eine latente Tuberkulose irgendwann in ein aktives Stadium über. Dies zu verhindern, ist sowohl für den Einzelnen als auch im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung ein wichtiges medizinisches Ziel.

Nach Aufenthalten in Risikogebieten zahlt sich ein Test auf Tuberkulose aus.
wikimedia/Centers for disease control

Um das Fortschreiten einer unerkannten latenten Tuberkulose zur manifesten Infektion zu verhindern, sollten sich generell alle Erwachsenen und Kinder einmalig einem Screening unterziehen, empfiehlt ein amerikanisches Autorenteam in einem kürzlich veröffentlichten Bericht im New England Journal of Medicine (1). Dabei müssen das Expositionsrisiko abgeklärt und biologische Risikofaktoren erfasst werden, die eine Progression fördern könnten.

Bei positivem Screening auch auf HIV testen

Ein Expositionsrisiko besteht für Menschen mit längerem Aufenthalt in Hochinzidenzgebieten oder entsprechender Herkunft sowie bei engem Kontakt mit einer infizierten Person. Akut ist die Gefahr vor allem dann, wenn dieser Kontakt weniger als zwei Jahre zurückliegt. Das Progressionsrisiko hängt in der Hauptsache von der Immunkompetenz ab, weshalb immunschwache Personen besonders gefährdet sind.

Je nach Ergebnis des Screenings raten die Autoren zu folgender Vorgehensweise: Asymptomatische Personen ohne epidemiologische oder biologische Risikofaktoren benötigen keine weitere Betreuung. Deckt das Screening ein erhöhtes Risiko auf, sollte ein Test gemacht werden, der den Erreger allerdings zwangsläufig nur indirekt nachweisen kann.

Die zwei zur Verfügung stehenden Verfahren beruhen auf einer zellvermittelten Immunantwort nach Stimulation mit dem Mycobacterium-tuberculosis-Antigen. Eine höhere Spezifität als der klassische Tuberkulin-Hauttest hat der in-vitro Gamma-Interferon-Test. Da er zudem unabhängig von einer früheren BCG-Impfung zuverlässige Ergebnisse liefert, gilt er als die bessere Wahl. Bei positiv getes­teten Personen ist nach Anzeichen für eine Tuberkulose zu suchen. Neben der körperlichen Untersuchung und einem Röntgen-Thorax empfehlen die Autoren auch, einen HIV-Test durchzuführen.

Die tuberkulostatische Therapie

Patienten mit latenter Tuberkulose-Infektion und einem erhöhten Risiko für eine Progression zur manifesten Erkrankung sollte eine tuberkulostatische Therapie angeboten werden. State of the Art sind heute Rifamycin-haltige Kombinationen. Diese haben sich gegenüber der Isoniazid-Monotherapie als wirksamer und weniger hepatotoxisch erwiesen. Ausserdem ist aufgrund der kürzeren Einnahmedauer eine grössere Therapietreue zu erwarten.

Zur Wahl stehen insbesondere drei Regimes­:

  • 1 x pro Woche Rifapentin (900 mg bei ≥ 50 kg, 750 mg bei < 50 kg) plus Isoniazid (15 mg/kg, max. 900 mg) für drei Monate
  • 1 x pro Tag Rifampin (10 mg/kg, max. 600 mg) für vier Monate
  • 1 x pro Tag Isoniazid (5 mg/kg, max. 300 mg) plus Rifampin (10 mg/kg, max. 600 mg) für drei Monate

Als Alternative kommt nach wie vor die deutlich längere Monotherapie mit Isoniazid in Betracht (1 x pro Tag 5 mg/kg, max. 300 mg, über sechs bis neun Monate). Bei der Wahl der Medikation muss neben Komorbiditäten v.a. das Risiko für hepatotoxische Effekte abgeschätzt werden. Während der Therapie sollten monatliche Kontrollen erfolgen, um Nebenwirkungen, klinische Symptome und Adhärenz zu erfassen. Bei Anzeichen für Hepatotoxizität, Hypersensitivität oder ein erhöhtes Blutungsrisiko empfehlen sich Blutuntersuchungen.

Wünschenswert wäre ein deutlich kürzeres Therapieregime. Erste Studien sprechen dafür, dass zum Beispiel die tägliche Einnahme von Rifapentin plus Isoniazid über nur einen Monat von der Wirksamkeit her mit den Standardschemata konkurrieren kann. Für eine Empfehlung reichen die Daten bislang aber noch nicht aus, betonen die Autoren.

Referenz
  1. Shah M, Dorman SE. Latent Tuberculosis Infection. N Engl J Med. 2021 Dec 9;385(24):2271-2280. doi: 10.1056/NEJMcp2108501.