Medical Tribune
5. Jan. 2023Viele Patienten sind mit ihrer Behandlung nicht zufrieden

Migräne: Wann dürfen Biologika zum Einsatz kommen?

Mit den CGRP-Antikörpern steht seit einigen Jahren erstmals eine spezifische Therapie gegen die Migräne zur Verfügung. In welchen Situationen die Substanzen verschrieben werden können und was dabei zu beachten ist, erklärt ein Experte in einem Vortrag an den Medidays.

Kopf mit Schmerzen
puszaya/gettyimages

Die CGRP(Calcitonin Gene Related Peptide)-Antikörper wurden extra für Kopfschmerzen und Migräne entwickelt. «Sie sind somit sozusagen ‹Designerdrugs›», sagte Professor Dr. Peter Sandor, Chefarzt und Ärztlicher Direktor Neurologie bei ZURZACH Care. Bislang habe man sich für die Behandlung von Kopfschmerzen vorwiegend aus «Werkzeugkisten» für andere Krankheiten bedienen müssen.

IHS-Kriterien müssen erfüllt sein

Um die CGRP-Antikörper verschreiben zu können, müssen unter anderem die Migräne-Diagnosekriterien der Internationalen Kopfschmerz-Gesellschaft (IHS) (1) erfüllt sein. «In der Allgemeinpraxis betrifft dies vor allem die Kriterien für eine Migräne ohne Aura», so der Referent.

Für die Diagnose dieser Entität müssen die Patienten mindestens fünf unbehandelte oder erfolglos behandelte Kopfschmerzattacken über vier bis 72 Stunden erlitten haben. Zudem müssen die Beschwerden mindestens zwei der vier Charakteristika – einseitige Lokalisation, pulsierender Schmerzcharakter, mittlere oder starke Schmerzintensität, Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten – aufweisen. «Sie müssen von Übelkeit (mit oder ohne Erbrechen) oder von Photo- und Phonophobie begleitet sein, und der Schmerz darf sich auch nicht durch eine andere Diagnose besser erklären lassen», so Prof. Sandor.

Indiziert sind die neuen Substanzen zudem bei chronischer Migräne. «Diese kann vorliegen, wenn die IHS-Kriterien für eine Migräne ohne Aura an mehr als 15 Tagen pro Monat über 12 Wochen auftreten», erklärt Prof. Sandor. Eingesetzt werden können die neuen Biologika schliesslich auch bei einer Migräne mit Aura.

Vier CGRP-Antikörper zugelassen

Der Botenstoff CGRP wurde erst vor wenigen Jahren als ein mögliches Target für Kopfschmerzen identifiziert. Exprimiert werden die Rezeptoren im Gehirn in den Meningen und auch im Gastrointestinaltrakt. «Sie haben jedoch nichts mit dem Mikro­biom zu tun, erklärte Prof. Sandor.

In der Schweiz sind aktuell vier dieser neuen Substanzen zugelassen: Sie stoppen entweder den Liganden, also das zirkulierende CGRP, oder blockieren die CGRP-Rezeptoren. Die Verschreibung darf ausschliesslich durch einen Neurologen erfolgen.

«Die neuen Biologika wirken sehr gut und helfen selbst den Patienten, die schwer unter Migräne leiden», erläutert der Spezialist. Sie würden exzellent vertragen und linderten selbst die Kopfschmerzen, die durch einen Medikamentenübergebrauch verursacht sind. «Auch müssen mit den neuen Substanzen weniger Entzüge akutwirksamer Kopfschmerzmittel durchgeführt werden, so Prof. Sandor.

Zu beachten ist jedoch die Limitatio: Um die CGRP-Antikörper verschreiben zu können, müssen nicht nur die IHS-Diagnosekriterien für eine schwere episodische oder eine chronische Migräne erfüllt sein, sondern es müssen auch Vortherapien mit drei oder vier Substanzklassen akribisch dokumentiert sein. Für eine Kostengutsprache ist ausserdem ein minutiös geführter Migränekalender notwendig, und nach zwölf Monaten muss die Therapie zwingend unterbrochen werden.

«Bei einigen wenigen Patienten zeigt sich nach dem Absetzen der Therapie tatsächlich, dass die Kopfschmerzen besser geworden sind», sagt der Experte. Leiden Patienten indes nach Therapiestopp weiter oder erneut an Kopfschmerzen, was häufig vorkommt, darf die Behandlung wieder aufgenommen werden – wenn der Patient mindestens an acht Tagen innerhalb von 30 Tagen Migränebeschwerden hat.

Bald auch Gepante und Ditane?

Laut Prof. Sandor werden möglicherweise mit den Gepanten und Ditanen noch weitere neue Migräne­therapien zugelassen. In den USA sind die ersten Medikamente dieser beiden neuen Substanzklassen bereits auf dem Markt. «Die Erfahrungen zeigen: Die Gepante wirken sowohl akut als auch prophylaktisch gut und sie verursachen praktisch keinen Medikamentenübergebrauchskopfschmerz. Die Ditane sind, wie die Gepante auch, besonders für Migränepatienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren geeignet, da sie keine vasokonstriktiven Effekte haben», so der Experte.

Migränepropyhlaxe findet wenig Anklang

Bei der Migräneprophylaxe hapert es weiterhin. Das zeigen Daten der OVERCOME-EU-Studie (1,2). Die Beobachtungsstudie schloss 6.997 Patienten ein. Es zeigte sich, dass nur die Hälfte der Teilnehmenden überhaupt korrekt diagnostiziert war. Zudem hatten fast zwei Drittel der Personen mit chronischer Migräne ( ≥ 15 monatliche Migränetage) niemals eine präventive Behandlung erhalten, erklärte PD Dr. Athina Papadopoulou, Oberärztin Neurologie, Universitätsspital Basel, am Headache-Symposium 2022. Viele Patienten fanden die zur Prophylaxe verschriebenen Medikamente wenig hilfreich und nur die wenigsten führten die Therapie über einen längeren Zeitraum (> 12 Monate) fort.

  1. Lipton RB et al. Headache 2022; 62(2): 122–140.
  2. Evers S et al. International Headache Congress (IHC) 2021.
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