Medical Tribune
10. Dez. 2022Palliative Care und terminale Betreuung

Vorbereitung auf das Sterben

Der letzte Dienst an einem sterbenden Menschen ist nicht immer einfach, aber umso wichtiger – für Patienten und Angehörige. Auf welche Zeichen man bei terminal erkrankten Patienten achten muss, und wie man bei Schmerzen bestmöglich Abhilfe schaffen kann, beschreibt Prof. David Blum, ärztlicher Leiter des Kompetenzzentrums Palliative Care am Universitätsspital Zürich, im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung.

Nurising Assistant,A Helping Hand
in-future/gettyimages

«Bei Patienten mit terminalen Erkrankungen besteht ein grosser Teil der ärztlichen Betreuung aus der korrekten Behandlung von Schmerzen und Dyspnoe am Lebensende», betont Prof. Blum (1).
«Dabei ist es wichtig, Schmerz gut abzuklären, um zu entscheiden, ob man ihn kausal oder symptomatisch behandeln soll.»

Hausärzten empfiehlt er, sich dabei an den Stufenplan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (2) halten, der international anerkannte Empfehlungen zur medikamentösen Schmerztherapie enthält.

Darin vorgesehen ist auch eine schrittweise gezielten Eskalation unterschiedlicher Analgetika. Ferner sollte man für jeden Patienten eine Grunddosis und eine Bedarfsdosis bestimmen, und auch den Applikationsweg individuell wählen. Ratsam ist es zudem, Patienten und Angehörige frühzeitig in die Schmerztherapie miteinzubeziehen.

Schmerzbehandlung mittels Opioide: Langsames Titrieren ins therapeutische Fenster

Als Ceiling-Effekt bezeichnet man in der Pharmakologie, wenn es bei der Gabe eines Arzneistoffs trotz Dosissteigerung zu keiner weiteren Zunahme der Wirkung kommt, beschreibt Prof. Blum. Dieser kann bei schwachen Opioiden eintreten; bei ihnen soll daher die Maximaldosis nicht überschritten werden. «Schwach wirksame Opioide sind bei Tumorschmerzen nicht mehr empfohlen, denn ihre Nebenwirkungen sind ausgeprägter als bei modernen starken Opioiden» erklärt der Referent.

Stark wirksame Opioide zeigen hingegen keinen Ceiling-Effekt, hier ist eine Steigerung bis zur Schmerzlosigkeit möglich. Angst vor einer psychischen Abhängigkeit braucht man nicht zu haben: «Bei Schmerzpatienten mit malignen Erkrankungen Patienten besteht kein Bedürfnis nach einem Kontrollverlust», erklärt Prof. Blum.

Sehr wohl achtgeben sollte man aber auf die Entwicklung einer physischen Abhängigkeit: Aufgrund dieser ist es wichtig, das Medikament nicht abrupt abzusetzen. Tritt eine Toleranzentwicklung gegenüber der Wirkung eines Präparates ein, kann man ihr mittels einer Dosissteigerung, dem Wechsel auf ein anderes Opioid oder einem anderen Applikationsweg entgegenwirken.

Fentanyl-Pflaster bei Sterbenden: Dosis nicht unter- und nicht überschätzen!

Nebenwirkungen der Opioidtherapie wie Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen sowie Harnverhalt kommen bereits bei niedriger Dosis der Opiate vor, die sedierende Wirkung und Schläfrigkeit sowie Atemdepression sind erst bei sehr hohen Dosen zu erwarten. «Wichtig ist ein langsames Titrieren ins therapeutische Fenster. Das vermeidet die gefürchtete Atemdepression» betont Prof. Blum.

Der Experte erinnert ausserdem, dass Morphin als billigstes Opioid bei einer Niereninsuffizienz akkumulieren kann. «Hydromorphon ist diesbezüglich besser, jedoch teurer und in der intravenösen Applikation ambulant primär nicht zugelassen – dieser Schritt muss offiziell beantragt werden. Auch Oxycodon wird aufgrund seiner guten galenischen Form (kleine Tabletten) häufig eingesetzt.»

Bei transdermalen Gaben von Fentanyl (Pflaster) ist die Gefahr, dass man die Dosis erst unterschätzt – Prof. Blum empfiehlt daher deutlich, eine langsame Steigerung der Dosis durchzuführen. Auch sollte der Patient vor Anwendung auf bereits klebende Pflaster untersucht werden. Als Faustregel gilt, dass die Bedarfsdosis ein Sechstel bis ein Zehntel der Grunddosis betragen darf – danach muss die Grunddosis erhöht werden.

Co-Analgetika als wichtige Ergänzung

Antidepressiva sind empfohlen bei neuropathischen Schmerzen mit primär zentraler Genese, die Wirkung tritt frühestens nach sieben bis zehn Tagen ein. Antikonvulsiva hingegen werden bei neuropathischen Schmerzen peripherer Genese eingesetzt, gegebenenfalls in Kombination mit einem Antidepressivum. Hier sollte unbedingt eine Spiegelkontrolle stattfinden, erinnert Prof. Blum.

Ferner können Kortikosteroide zur antiphlogistischen und antiödematösen Wirkung eingesetzt werden, beispielsweise bei Leberkapselschmerz, erhöhtem Hirndruck oder Nervenkompression. Benzodiazepine wirken anxiolytisch und sedierend, sie entspannen bei Überlagerung durch Angst, helfen aber auch bei chronifizierten Schmerzen und muskulären Verspannungen.

Eine gute Antiemese sowie Laxantien sind aber ebenfalls wichtig. «Die Patienten müssen aktiv abgeführt und monitorisiert werden, oft landen Patienten mit schwerer Obstipation oder einem Subileus im Spital», so der Experte. An die Antiemese muss beim Start und bei der Steigerung der Schmerzmittel gedacht werden.

Dyspnoe ist subjektiv und macht Angst

Dyspnoe beschreibt den Zustand subjektiv erlebter Atemnot. Das Ausmass ist nur durch den Patienten beurteilbar und kann nicht zwangsläufig durch eine Messung der Sauerstoffsättigung im Blut diagnostiziert werden.

Bei Sterbenskranken korreliert die Dyspnoe auch nicht unbedingt mit der Atemfrequenz oder den Blutgaswerten. Verstärkt werden kann eine Dyspnoe noch durch zusätzliche psychosoziale Komponenten wie die Erstickungsangst.

Auch bei einer Dyspnoe sind Opioide Mittel der Wahl: Die Atemmechanik verbessert sich durch die Erhöhung der Toleranz gegenüber höheren zerebralen CO2- Werten. Ferner senken sie die Atemfrequenz, erhöhen das Atemzugvolumen und dämpfen die emotionale Reaktion im limbischen System. Weil Dyspnoe immer mit Angst verbunden ist, lohnt es sich, Sedativa wie Benzodiazepine einzusetzen. Eine Alternative sind die niedrig potenten Neuroleptika. Bei Lymphangiosis oder Obstruktion helfen Steroide zusätzlich, das Leiden zu lindern.

Patient isst nicht, weil er sterbend ist und stirbt nicht, weil er nicht isst

«Anorexie ist bei sterbenskranken Patienten häufig, und absolut normal», weiss Prof. Blum zu berichten. Ein fehlendes Hungergefühl gilt in den letzten Lebenstagen und wochen als physiologisch. «Die Patienten verhungern dabei nicht. Das ist für Angehörige sehr wichtig zu wissen.»

Ferner sollten Patienten und Angehörige über den fehlenden Nutzen von zu grosser Nahrungszufuhr und die Belastung durch künstliche oder erzwungen zugeführte Nahrung aufgeklärt werden. Der Experte warnt zudem davor, sterbende Menschen zu füttern: «Das kann schlimmstenfalls zu einer Aspiration führen». Ein Gespräch mit den Angehörigen über die Nahrungsaufnahme des Sterbenden ist hier wichtig und angezeigt.

Gutes Sterben heisst vorbereitet zu sein

Sterben ist bei uns, im Vergleich zum Tod, sehr schlecht definiert, kritisiert Prof. Blum. «Sterben ist die letzte Lebensphase, ein Prozess des graduellen Funktionsverlustes, der im Tod endet.» Eine philosophische Frage ist, wann dieser Prozess beginnt. Für den Experten bedeutet ein gutes Sterben, vorbereitet zu sein, gut behandelt und gepflegt zu werden, sowie, ein Gefühl von Erfüllung in Bezug auf Familie, Gesellschaft und Transzendenz zu erlangen. Er betont, dass dies ein natürlicher Vorgang ist, welcher von alleine eintritt. Wichtig dabei ist, den Sterbevorgang nicht aktiv zu verhindern, beispielsweise mit einer Überweisung auf die Intensivstation.

Vorbereitet sein heisst für viele, eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten im Voraus zu verfassen sowie den Ort des Sterbens zu definieren. Viele Sterbende bereiten sich auch auf das Sterben vor, indem sie bereits ihr Begräbnis oder ihre Abdankung planen.

Einbezug der Angehörigen in das Sterben

Typische Zeichen der Sterbephasen sind Bettlägerigkeit, nicht mehr aufstehen zu wollen, sowie, Essen und Trinken oder die Medikamenteneinnahme zu verweigern. Wichtig ist in dieser Phase, die Medikation anzupassen: Medikamente zur Symptombehandlung haben klar Vorrang, nicht notwendige Medikamente wie Statine sollen gestoppt werden. Auch Krebstherapien und künstliche Ernährung sowie die Flüssigkeitsgabe sind in dieser Phase nicht mehr notwendig, so Prof. Blum.

Auch, die Angehörigen miteinzubeziehen ist in dieser Zeit sinnvoll. Wie leicht ihnen die Sterbebegleitung fällt, hängt davon ab, welche Vorerfahrungen sie mit Sterbenden gemacht haben; das sollte im Vorfeld abgeklärt werden. Nach dem natürlichen, erwarteten Tod eines Patienten muss Zeit für ein Gespräch mit den Angehörigen sein, und Raum für das Richten des Leichnams sowie allfällige religiöse Riten geschaffen werden. Im Gespräch mit den Angehörigen müssen der Entscheid über eine Autopsie und weitere Formalitäten geklärt werden. Im Verlauf kann man ihnen ein Trauergespräch anbieten.

Trauer als Anpassungsprozess

Trauer ist keine Krankheit, sondern ein Zustand des Verlustes, ein Anpassungsprozess mit kulturellen und sozialen Ritualen. Der Trauerprozess wird zwar oft mit Morbidität und Mortalität assoziiert, ist aber keine psychische Krankheit. Dennoch kann eine Trauer pathologisch werden. Diese äussert sich ähnlich wie bei der posttraumatischen Belastungsstörung, bei der die Erfahrung des Todes des Angehörigen unverarbeitet bleibt. Dann lohnt es sich, zusätzliche Hilfe zuzuziehen.

Referenzen
  1. WebUp «Updates für Hausärztinnen und Hausärzte - 6 Highlights in 60 Minuten» des Forums Medizin Fortbildung (FoMF) vom 31.10.2022.
  2. Gelbe Liste. WHO-Stufenplan. Stand 22.02.2018. (abgerufen am 16.11.2022).