Medical Tribune
18. Nov. 2022Arzneimittelintoxikationen in der Hausarztpraxis

Was tun bei falschen oder überdosierten Medikamenten?

Am häufigsten wird Tox Info Suisse bezüglich einer Überdosierung von Schmerzmitteln, falschen Verabreichungen und Verwechslungen von Medikamenten kontaktiert. Wann Arzneimittelintoxikationen gefährlich werden, und wann zumeist Entwarnung gegeben werden kann, fasst Dr. med. Cornelia Reichert, Leitende Ärztin bei Tox Info, zusammen.

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Ralf Geithe/gettyimages

Tox Info Suisse erteilt rund um die Uhr kostenlos medizinische Auskunft bei Vergiftungen oder Verdacht auf Vergiftung. Hotline: Telefon 145

«Die häufigsten Anfragen in Bezug auf eine mögliche Arzneimittelintoxikation betreffen Paracetamol (Acetaminophen)», berichtet Dr. Reichert im Zuge einer Fortbildungsveranstaltung (1).

Paracetamol: Erst nach vier Stunden kennt man den wahren Spiegel

Bei Vergiftungen mit dem hepatotoxischen Nichtopioid-Analgetikum stellt sich die Frage, ab wann eine Therapie mit einem Antidot notwendig wird. Das ist von der Dosis abhängig: Haben Kinder über sechs Jahren oder Erwachsene einmalig zehn Gramm des aktiven Inhaltsstoffes bzw. 200 mg/kg Körpergewicht (es gilt jeweils die niedrigere Dosis) aufgenommen, ist das der Fall. Bei Kindern, die jünger als sechs Jahre alt sind, liegt die Grenzdosis bei 150 mg/kg. Diese Grenzwerte gelten bei einmaliger akuter Einnahme, auch für Patienten mit Risikofaktoren. Patienten, die toxische Grenzdosen überschritten haben, sollten hospitalisiert werden – daraufhin erfolgt eine Spiegelbestimmung. «Das sollte nicht weniger als vier Stunden nach der Einnahme passieren, denn Paracetamol ist erst nach vier Stunden vollständig im Körper verteilt», erklärt Dr. Reichert.

Das weitere Vorgehen wird mittels «Rumack-Matthew-Normogramm» (2) bestimmt, dieses sollte nur verwendet werden bei einmaliger, akuter Einnahme mit bekanntem Einnahmezeitpunkt. Wichtigste Massnahme zur Verhinderung der Hepatotoxizität ist die gastrointestinale Dekontamination mit Aktivkohle (innert zwei Stunden) und die antidotale Therapie mit N-Acetylcystein (NAC) (innert acht Stunden). Eine Spiegelbestimmung ist in den meisten Fällen sinnvoll und entscheidet mit über eine Weiterführung oder Beendigung der Therapie.

Schmerzmittel: Hausapotheke als Problem

Aber nicht nur Paracetamol wird häufig überdosiert: Auch übermässige Einnahmen von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) werden oft eingemeldet. Meist zeigt sich in solchen Fällen ein leichter Verlauf mit Magen-Darm-Symtomen, selten folgen aber auch Nierenfunktionsstörungen, die meist reversibel sind. Gelegentlich können auch Schwindel oder ein Tremor, sowie Somnolenz auftreten. Hier sind in seltenen Fällen Antidote nötig – auch im höheren Grammbereich. Bei Ibuprofen ist eine Dekontamination erst bei einer Einnahme über 20 Gramm empfohlen.

Eine Ausnahme ist die Mefenaminsäure (Handelsname Ponstan), diese kann bereits bei relativ geringen Dosen (ab 3,5g) zu Krampfanfällen führen – vor allem bei Kindern und Jugendlichen.

Falsche Verabreichung und Verwechslungen – Methotrexat und Clozapin

«Medikationsfehler passieren häufig, wenn sich eine eingespielte Situation verändert – etwa beim Wechsel der Betreuungsperson oder beim Austritt aus dem Spital nach Hause», berichtet die Expertin. Verwechslungen und Fehler können im schlimmsten Fall bereits innert wenigen Tagen zu tödlichen Verläufen führen. Ein typisches Beispiel ist hier Methotrexat, da dies wöchentlich angewandt werden muss, Patienten es aber gewohnt sind, Medikamente täglich einzunehmen.

Als erstes Symptom einer Überdosierung treten hier dann Mukositis oder eine Stomatitis mit anschliessender Knochenmarksdepression auf. Auch bei einer Überdosierung des Wirkstoffs Clozapin sind oft Hospitalisationen nötig, hier kann es bereits bei relativ geringen Dosen (ab ca. 100 mg) zu einem rasch auftretenden Koma kommen.

Referenzen
  1. WebUp «Updates für Hausärztinnen und Hausärzte - 6 Highlights in 60 Minuten» des Forums Medizin Fortbildung (FoMF) vom 31.10.2022.
  2. Tox Info Suisse. Dokumente. Akute Paracetamolvergiftung (Stand Februar 2022). https://www.toxinfo.ch/customer/files/32/MB-Paracetamol_202202_d.pdf (abgerufen am 06.11.2022).