Medical Tribune
17. Okt. 2022Impfung, Infekte, psychische Gesundheit

Kinder und Covid-19: Wie geht es weiter?

Auch wenn Kinder und Jugendliche nur selten schwer an Covid-19 erkranken, hatte die Pandemie dennoch deutliche Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Gleichzeitig wurden sie von der Politik immer wieder vergessen. Nun sollte daher besonders das Wohl dieser Bevölkerungsgruppe im Zentrum stehen, sagt Kinderarzt Prof. Dr. Ulrich Heininger, stellvertretender Chefarzt Pädiatrie am Universitäts-Kinderspital beider Basel.*

Covid-19 hat Kinder und Jugendliche in den letzten zwei Jahren auf viele Weisen beeinträchtigt
damircudic/gettyimages

Prof. Heininger war mit einer der ersten Ärzte weltweit, die sich wissenschaftlich damit auseinandersetzten, wie sich eine Infektion mit dem – damals noch neuartigen – SARS-Coronavirus-2 auf Kinder auswirkt.

Gemeinsam mit einem europaweiten Forschernetzwerk veröffentlichte er seine Beobachtungen erstmals im Juni 2020 (1). Fast 1.100-mal wurde diese Arbeit bisher zitiert. «Das ist mittlerweile die am meisten zitierte Publikation meiner Karriere», berichtet er. «Das zeigt, wie sehr das Thema immer noch interessiert.»

Intensivpflichtigkeit vor allem bei Unter-Zweijährigen

Prof. Heiningers persönliches Fazit der Erhebungen? «Covid-19 ist in aller Regel keine schwer verlaufende Krankheit für Kinder und Jugendliche – aber Ausnahmen bestätigen die Regel.»

Bereits in diesen Erhebungen sah man, dass besonders junge Kinder zwischen 0 und zwei Jahren anfällig für einen schweren Verlauf von Covid-19 sind, mit der sie auch gelegentlich im Spital – oder schlimmstenfalls auf der Intensivstation – landen können. Die meisten Kinder, die nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 hospitalisiert werden mussten, hatten andere Grundkrankheiten vorzuweisen, etwa der Atemwege, des Herzens oder der Nieren. Immunsupprimierte Patienten, die sonst bei Infektionskrankheiten oft anfälliger sind für lebensbedrohliche Verläufe, blieben bei Covid-19 hingegen zum Glück recht unauffällig.

Eine etwas neuere Arbeit aus Deutschland zeigte, dass sich während der Zirkulation der Alpha-Variante von SARS-CoV-2 der Anteil der Kinder, die hospitalisiert werden mussten, auf rund 7 von 10.000 Infizierten belief (2). 2,2 von 10.000 mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Todesfälle gab es zu diesem Zeitpunkt, als rund 1,5 Millionen Infektionen bei Kindern und Jugendlichen angenommen wurden, insgesamt 14 – davon hatten drei keine andere Grundkrankheit. «Das sind Werte, die sich mit den Beobachtungen aus anderen Ländern decken», so Prof. Heininger.

PIMS tritt nicht bei allen Virusvarianten gleich häufig auf

Rund ein Viertel der Hospitalisationen von Kindern mit Covid-19 während der Alpha-Welle ging auf das Konto des Kawasaki-ähnlichen «Pediatric Inflammatory Multisystemic Syndrome, Temporally related to SARS-CoV-2» (PIMS-TS) (2). Das PIMS-TS tritt nach heutigem Wissen bei Kindern ohne Grundkrankheiten ähnlich häufig auf wie bei vorerkrankten Kindern. «Heute wissen wir: Mit Steroiden und Immunglobulinen lässt sich das PIMS-TS gut behandeln – die allermeisten Kinder erfahren danach eine Restitutio ad integrum.»

Darüber hinaus zeigt ein Blick auf die auftretenden PIMS-TS-Fälle während der unterschiedlichen Wellen, dass das Problem derzeit nicht mehr sehr akut ist: Im Gegensatz zur Alpha- und zur Deltawelle tritt das Syndrom mit der aktuell zirkulierenden Omikron-Variante und ihren Sublinien kaum mehr auf.

Die Pandemie hat das Zirkulationsverhalten anderer Infektionskrankheiten verändert

«Wie effektiv Lockdown, Abstandhalten und die Hygienemassnahmen waren, sieht man daran, wie sich die üblichen Atemwegserkrankungen seit 2020 verhielten», erklärt Prof. Heininger. «Die Influenzasaison brach etwa im Jahr 2020 mit dem Lockdown abrupt ab.» Erst im Dezember 2021 kehrte die Grippe zurück – gemeinsam mit der aufkeimenden ersten Omikron-Welle.

Ähnliches konnte für Infektionen mit dem Respiratory Syncytial Virus (RSV) beobachtet werden. Daten aus Australien zeigten, dass es während der dort lange eingehaltenen Kontaktbeschränkungen kaum Fälle gab. Mit Aufhebung des Lockdowns stiegen jedoch die Infektionszahlen an – und zwar sogar überproportional stark, berichtet Prof. Heininger. «Das liegt daran, dass viele Kinder, insbesondere Säuglinge, einer RSV-Infektion lang entgangen sind – sie ‚holten‘ diese dann später nach.» Das mediane Alter von Kindern mit einer RSV-Infektion belief sich in dieser Saison dadurch auch nicht wie üblich auf 7-12 Monate, sondern auf rund 18 Monate.

Auch in der Schweiz sah man das deutlich: Im Jahr 2020 fiel die RSV-Epidemie praktisch aus, ab dem März 2021 stiegen – für das «Wintervirus» RSV völlig untypisch – die Infektionszahlen und bescherten den Kinderspitälern eine ausgeprägte Sommerwelle. Das gleiche wiederholte sich auch im Jahr 2022. «Wir kamen teilweise permanent an die Grenzen unserer Aufnahmekapazitäten», erinnert sich der Pädiater.

Auch zu einem annähernden Totalausfall einiger bakterieller Erkrankungen kam es durch das Abstandhalten in den Jahren 2020 und 2021. Dazu gehörten etwa invasive Infektionen mit Pneumokokken, sowie Infektionen mit unbekapselten Haemophilus influenzae, oder den Meningokokken. Aber auch dieses Glück ist nicht von Dauer: Seit Sommer 2021 sind die invasiven Pneumokokken auch in Schweizer Spitälern zurück; wann die invasiven Meningokokken-Infektionen wieder zunehmen werden ist nur eine Frage der Zeit, so Prof. Heininger.

Diabetes und Depressionen durch Covid-19

Sorgen machen Kinder- und Jugendmedizinern neben infektiologischen Gesichtspunkten aber auch erste Signale aus der Wissenschaft, die zeigen, welche anderen Spuren die Pandemie selbst und die wegen ihr getroffenen Massnahmen hinterlassen haben. Kürzlich beobachteten amerikanische Kinderärzte, dass spezifisch nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 das Diabetes-mellitus-Risiko von Kindern und Jugendlichen anstieg (3). Neue Untersuchungen aus Bayern und Oklahoma konnten dies glücklicherweise allerdings (noch) nicht bestätigen. «Dieses Kapitel ist also noch nicht geschlossen», so Prof. Heininger.

Auch die psychosoziale Situation von Kindern weltweit hat sich durch die Pandemie nicht gerade verbessert. Vor allem Schulschliessungen hinterliessen starke negative Auswirkungen, so der Referent. Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie wurde zuletzt über einen starken Anstieg bei psychischen Störungen im Kinder- und Jugendalter berichtet. Eine Metastudie aus dem Jahr 2021 zeigte etwa eine Verdopplung der depressiven Symptome und Angstzustände (anxiety symptoms) bei Unter-18jährigen in fast allen Ländern im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie (4).

Ist die Covid-19-Impfung für alle Kinder sinnvoll? Jein.

Prof. Heininger, der Mitglied der deutschen ständigen Impfkommission (STIKO) ist, betont: «Als Fachleute können wir hier sagen: Glück gehabt, dass es so schnell Impfstoffe gab, sonst hätte es noch viel mehr Todesfälle gegeben.»

Die anfängliche Euphorie über die Wirksamkeit der mRNA-Impfungen gegen Covid-19 bei Kindern ist hingegen mittlerweile bei den meisten verflogen. Hatten die Zulassungsstudien zu Beginn noch über sensationelle Wirksamkeit nicht nur bei Erwachsenen sondern auch bei Kindern und Jugendlichen berichtet, entspricht dies im klinischen Alltag lange nicht mehr den Beobachtungen. «Die Wirksamkeitsdaten wurden initial mit dem originalen Wuhan-Virus erhoben und die Beobachtungsdauer war kurz. Wir wissen mittlerweile, dass der Impfschutz schnell abnimmt, insbesondere gegen leichte Krankheitsverläufe.» Aus diesem Grund empfiehlt die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) in der Schweiz zumindest auch für Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 16 Jahren, die entweder selbst einer Risikogruppe angehören oder die Kontakt zu einer Risikoperson haben, Booster-Impfungen.

Prof. Heininger gibt aber auch zu bedenken: Kinder, die geimpft sind, sind besser vorbereitet, sollte wieder eine Virusvariante zirkulieren, die pathogener auch für Jüngere ist. Persönlich hält er es daher für sinnvoll, gesunden Kindern und Jugendlichen unter 12 Jahren auch zumindest dann eine Impfdosis zu verabreichen, wenn sie bereits eine Infektion durchgemacht haben. «Diese Hybridimmunität scheint besonders wirksam gegen symptomatische Re-Infektionen zu sein.» Nach einem immunologischen Ereignis wie einer Covid-19-Impfung oder einer SARS-CoV-2-Infektion wird in der Schweiz empfohlen, 4 Monate bis zur nächsten Impfdosis zu warten.

Den Anliegen von Kindern und Jugendlichen wieder mehr Gehör verschaffen

Generell kritisiert Prof. Heininger, dass Kinder und Jugendliche während der Pandemie von der Politik sträflich vernachlässigt wurden, obwohl sich Pädiater immer wieder für deren Anliegen einsetzten. Nun, sagt er, ist es an der Zeit, ihre gesundheitlichen und sozialen Rechte wieder mehr ins Zentrum zu rücken. Ein guter Anfang wäre, so Prof. Heininger, dafür zu sorgen, sie die Impfungen nachholen zu lassen, die sie während der letzten zwei, drei Jahre verpasst haben.

Informationen zum Thema Impfen

INFOVAC – Informationsplattform für Impffragen
(24-Stunden-Hotline zur Beantwortung aller Fragen ums Impfen)

Referenzen
  1. Götzinger F et al. COVID-19 in children and adolescents in Europe: a multinational, multicentre cohort study. Lancet Child Adolesc Health. 2020 Sep;4(9):653-661. doi: 10.1016/S2352-4642(20)30177-2.
  2. Sorg AL et al. Risk for severe outcomes of COVID-19 and PIMS-TS in children with SARS-CoV-2 infection in Germany. Eur J Pediatr. 2022 Oct;181(10):3635-3643. doi: 10.1007/s00431-022-04587-5.
  3. Barrett CE et al. Risk for Newly Diagnosed Diabetes >30 Days After SARS-CoV-2 Infection Among Persons Aged <18 Years - United States, March 1, 2020-June 28, 2021. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2022 Jan 14;71(2):59-65. doi: 10.15585/mmwr.mm7102e2.
  4. Racine N et al. Global Prevalence of Depressive and Anxiety Symptoms in Children and Adolescents During COVID-19: A Meta-analysis. JAMA Pediatr. 2021 Nov 1;175(11):1142-1150. doi: 10.1001/jamapediatrics.2021.2482.

*WebUp Experten-Forum «Update Pädiatrie», 6. Oktober 2022