Medical Tribune
12. Sept. 2022Therapeutische Säule Ernährung

Richtig essen – nicht nur bei chronischen Erkrankungen

In der aktuellen Versorgung chronisch kranker Patienten kommt die Ernährung noch zu kurz. Dabei würden vor allem, aber nicht nur, Menschen mit entzündlichen Erkrankungen von einer Ernährungsberatung profitieren. Gemüse, Sauerkraut und Hülsenfrüchte können sich positiv auf mehrere Aspekte des Körpers auswirken.

Eine von oben fotografierte Schüssel mit getrennt gefülltem Gemüse auf schwarzem Schiefer Hintergund
YelenaYemchuk/iStock

Die pro Tag notwendigen 2.500 kcal sollten zur Hälfte aus frischen Früchten und frischem Gemüse bestehen.

«Es reicht nicht aus, alles über Ernährung zu wissen, was man wissen kann, sondern es geht darum, sich aktiv gesund zu ernähren», sagt Philipp Busche, Chefarzt Innere Medizin, Klinik Arlesheim.* Dort ist man gerade dabei, die Ernährung als neue therapeutische Säule zu implementieren.

Mehr Über- als Untergewichtige

Derzeit gibt es in der Schweiz mehr Übergewichtige als Untergewichtige. Im Durchschnitt nehmen Menschen hierzulande pro Tag fast 3.500 kcal zu sich. Das sind nach WHO-Empfehlung 1.000 kcal am Tag zu viel – zumindest für den grossen Teil der Menschen mit sitzender Tätigkeit.

Relevant ist dabei nicht nur, wieviel gegessen wird, sondern auch was. Im Jahr 2021 starben in den USA 702.000 Personen an kardiometabolischen Ursachen. Eine Untersuchung (1) versuchte diese Zahlen in einen Kontext mit der Ernährung zu setzen und fand heraus, dass ca. 318.000 Todesfälle pro Jahr mit einer suboptimalen Ernährung assoziiert waren. Gesellschaftlich wäre es also sinnvoll, eine gesunde Ernährung zu etablieren, erklärte Busche. Dabei spielt nicht nur ein Zuviel an Salz oder Fleisch eine Rolle, sondern auch ein Zuwenig z.B. an Nüssen, Gemüse oder Früchten. So sollte man pro Woche etwa drei Handvoll Nüsse und Samen verzehren.

Gesunder Lebensstil kann das Diabetesrisiko um mehr als 90 Prozent senken

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2009 untersuchte, ob es einen Unterschied macht, ob man normalgewichtig ist, nicht raucht, sich gesund, überwiegend vegetarisch ernährt oder eben nicht (2). Es zeigte sich, dass sich mit dem gesunden Lebensstil das Risiko für einen Diabetes um 93 Prozent, und die Sterblichkeit um 78 Prozent reduzieren liess. Diese Faktoren können das Krebsrisiko auf das gesamte Leben betrachtet um 36 Prozent reduzieren. «Ein gesundes Leben hat aus medizinischer Sicht wirklich einen Nutzen», betont der Referent. «Wir sollten unseren Patienten helfen, daran zu arbeiten».

Er weist darauf hin, dass es auch eine Dosisabhängigkeit von Fleisch mit der Mortalität gibt (3). Je mehr rotes Fleisch Personen konsumieren, desto höher ist das Sterberisiko. Aufgrund der eindeutigen Studienlage hat die WHO rotes Fleisch als Risikofaktor für das kolorektale Karzinom deklariert.

Hafertage bei Diabetes

Hafertage haben einen antidiabetischen Effekt. Dabei gibt es pro Tag drei Hafermahl­zeiten mit je 75 g Haferflocken, die nur mit Wasser oder fettfreier Brühe zubereitet werden. Früchte (50 g pro Tag) und Gemüse (max. 100 g pro Tag) sind erlaubt. Wichtig: ausreichend trinken, mindestens zwei Liter kalorienfreie Getränke. Auf Eiweiss und Fett ist zu verzichten.

Kann richtiges Essen gesünder machen?

Genauso wie ein negativer Effekt von rotem Fleisch auf die Mortalität besteht, wirkt der vermehrte Konsum von Früchten und Gemüse (fünf Mal pro Tag) protektiv. Für Menschen, die bereits ein kardiovaskuläres Ereignis hatten, ist es ebenfalls sinnvoll, den Lebensstil zu verändern, im Sinne eines sekundären protektiven Effekts. So konnte bereits eine Studie aus dem Jahr 1998 zeigen, dass sich auf diese Weise auch eine bereits vorhandene Koronarstenose reduzieren lässt. (4)

Die Art der Ernährung wirkt sich zudem auf das Mikrobiom aus. «Stellt jemand mit einem hohen Konsum an rotem Fleisch seine Ernährung auf vegetarisch um, verändert sich das Keimspektrum bereits nach 24 Stunden hin zu mehr gesunden Keimen und einer höheren Diversität», erklärt Philipp Busche. Ballaststoffe sind das Superfood fürs Mikrobiom. Um das Mikrobiom in einer gesunden Diversität zu halten, ist eine pflanzenreiche Ernährung sinnvoll.

Bei rheumatischen Erkrankungen ist schon seit längerem nachgewiesen, dass bei der Initialisierung der Autoimmunreaktion unter anderem die Interaktion mit dem eigenen Mikrobiom eine Rolle spielt. Leider gibt es keine probiotische, therapeutische Intervention, die dies wieder rückgängig machen kann, bedauert der Referent. Ein Mikrobiom ist immer dann ungesund, wenn wie in der Landwirtschaft «Monokulturen» vorliegen.

Das Mikrobiom im Mund-Rachen-Raum sorgt ebenfalls für Interaktionen. So ist z.B. eine Paradontitis mit dem Auftreten und dem Schweregrad von rheumatologischen Erkrankungen assoziiert. Zu empfehlen sind bei solchen Krankheiten oder auch bei einem hohen Risiko, sie zu entwickeln, eine ballaststoffreiche Kost und fermentiertes Gemüse wie etwa Sauerkraut, Kimchi oder auch Brottrunk. Zudem ist es wichtig, auf eine gute Mund-Hygiene zu achten.

Mediterrane Diät als Weltkulturerbe

Die beste Evidenz für einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf mit einer Umstellung auf eine vegetarische Diät gibt es mittlerweile für rheumatische Erkrankungen. Der Schmerz geht ebenso wie die Dauer der Morgensteifigkeit zurück und auch das CRP, als objektiver Parameter, sinkt.

Die WHO hat eine mediterrane Ernährung mit viel leicht verarbeitetem Gemüse, Olivenöl, wenig Fleisch, aber auch wenig Meeresfrüchten zum Weltkulturerbe erklärt. Eine solche Diät kann bei Rheuma-Patienten in kurzer Zeit zu einer Verbesserung des Krankheitsverlaufs führen. Das Wohlbefinden nimmt zu und der DAS(Disease Activity Score)28 ab. Ähnliches gilt auch für die COPD und andere entzündliche Erkrankungen wie M. Crohn oder Colitis ulcerosa. Beim M. Crohn wird z.B. unter einer semivegetarischen Diät, bzw. einer «Scheindiät» (fasting mimicking diet) die Remission länger aufrecht erhalten. Die Ernährungsberatung sollte daher fester Bestandteil der Aufklärung von Patienten mit chronischer Erkrankung sein, forderte der Experte. Viele Patienten haben ein hohes Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und sind froh, etwas gegen ihre Erkrankung tun zu können.

Der Canadian Food Guide hat nach Ansicht von Busche die Ernährungsempfehlungen gut aufgearbeitet. Die pro Tag notwendigen 2.500 kcal sollten zur Hälfte aus frischem Obst oder Gemüse bestehen und nur zu einem kleinen Teil aus tierischem Eiweiss. Der Proteinanteil darf nicht zu gering sein. «Wir müssen lernen, vermehrt pflanzliches Eiweiss in die Ernährung einzubeziehen, etwa Hülsenfrüchte», erklärt der Referent.

Ernährung als globales Problem

Der Fleischverbrauch hat in den letzten 200 Jahren kontinuierlich zugenommen, erklärt Philipp Busche. Er weist darauf hin, dass Ernährung immer auch eine globale Dimension habe. Um einen Kalorienbedarf von 18 Prozent der Menschheit durch tierische Produkte zu decken, sind 83 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche nötig. Eine Ernährung, die weniger auf tierische Produkte setzt, könnte also auch globale Probleme lösen.

*Forum für medizinische Fortbildung, Allgemeine Innere Medizin.

Referenzen
  1. Micha R et al. Association Between Dietary Factors and Mortality From Heart Disease, Stroke, and Type 2 Diabetes in the United States. JAMA. 2017 Mar 7;317(9):912-924. doi: 10.1001/jama.2017.0947
  2. Ford ES et al. Healthy living is the best revenge: findings from the European Prospective Investigation Into Cancer and Nutrition-Potsdam study. Arch Intern Med. 2009 Aug 10;169(15):1355-62. doi: 10.1001/archinternmed.2009.237
  3. Larsson SC, Orsini N. Red meat and processed meat consumption and all-cause mortality: a meta-analysis. Am J Epidemiol. 2014 Feb 1;179(3):282-9. doi: 10.1093/aje/kwt261
  4. Ornish D et al. Intensive lifestyle changes for reversal of coronary heart disease. JAMA. 1998 Dec 16;280(23):2001-7. doi: 10.1001/jama.280.23.2001