Medical Tribune
6. Aug. 2022Vom Altertum bis zu neuen Erkenntnissen zur weiblichen Lust

Anatomie der Klitoris

Aus der aktuellen Forschung über Anatomie und Physiologie der Klitoris ergeben sich wichtige Erkenntnisse über das Entstehen der weiblichen Lust. Professor Dr. Daniel Haag-Wackernagel zeigte am Jahreskongress der gynécologie suisse 2022 einen kurzen historischen Überblick über die letzten 350 Jahre, was an Wissen über die Klitoris schon vorhanden war, wie dieses Wissen wieder in Vergessenheit geraten ist und dass sich falsche Darstellungen bis heute in Lehrbüchern finden.

3D gedruckte weiblichen Geschlechts Organ Klitoris für menschliche Anatomie Unterricht
iStock/josefkubes

Beim Bulbo-Klitoralorgan handelt es sich um ein hochkomplexes Organ, in dem sich sensorische Nervenendigungen und Genitalkörperchen befinden (sieh Kasten). Schon früh war die Klitorisbeschneidung weit verbreitet, erste Hinweise ergaben entdeckte Mumien aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Die weibliche Beschneidung wird in der Wissenschaft als Kontrolle über die Frau und die weibliche Unterdrückung gedeutet.

Die weibliche Prostata

Embryonal gibt es eine gemeinsame Grundlage der Geschlechtsorgane. Bis ins kleinste Detail finden sind beide Strukturen bei beiden Geschlechtern, nur die Grösse der einzelnen Strukturen ist verschieden. Diese Geschlechtsstrukturen sind bis in die Histologie identisch, die klitorale und penile Erektion sind von ihren biochemischen und physiologischen Prozessen genau gleich. Dies erklärt auch, dass Frauen auch eine Prostata haben, welche bis in die Urethra führt. Das weibliche Ejakulat enthält ebenfalls PSA. Die Funktion der weiblichen Prostata ist bisher unbekannt, es werden diverse Aufgaben diskutiert (antimikrobiell, Lubrikation, Pheromone für die Paarbindung etc.).

Die Anatomie der weiblichen Erektion

Die Klitoris liegt fest im kleinen Becken verankert, misst etwa 80 bis 90mm. Zu sehen ist nur die Klitoriseichel, der Rest ist mit Bändern am Becken verankert, diese Verankerung reicht bis in die Linea Alba hinein. Die Klitoriseichel wird von zwei dorsalen Klitorisnerven innerviert, welche über 2mm Dicke aufweisen – dieser Nerv stellt die sensibelste Struktur des menschlichen Körpers dar. Beim Geschlechtsverkehr werden die Vorhofbulben komprimiert, wobei Blut in die erektilen Anteile (Klitoriskörper und Klitorisschenkel) gedrückt wird – es entsteht indirekt eine klitorale Erektion. Durch die Anspannung in der Klitoriseichelhaut werden die Hautpapillen umgelegt, dadurch erhöht sich die rezeptive Oberfläche. Reizmuster werden so zum Gehirn weitergeleitet und es entsteht die weibliche Lust und folglich daraus der weibliche Orgasmus.

Frühe Aufklärung und korrekte Darstellung der Klitoris

Bereits im 17. Jahrhundert beschrieb Regnier de Graaf die weibliche Ejakulation. Er entdeckte zudem die Vorhofbulben, die einen beträchtlichen Teil der Klitoris ausmachen. Im 19. Jahrhundert stellte Georg Ludwig Kobelt anschliessend Injektionspräparate, um die Durchblutung der Klitoris darzustellen. Er war auch der erste, der feststellte, dass sich in der Eichel der Klitoris überproportional viele sensorische Nerven befinden. Die histologischen Darstellungen sind für das 19. Jahrhundert überraschend präzis - Ende des 19. Jahrhunderts waren die Anatomie der Klitoris, die Genitalkörperchen und die weibliche Ejakulation bekannt.

Das Verschwinden der Klitoris und der Bedeutung der weiblichen Sexualität

Anschliessend verschwanden diese Dinge komplett von der Bildfläche: Aktive Bekämpfer der weiblichen Sexualität waren beispielsweise William Acton und auch Isaac Baker Brown, welcher propagierte, dass das Beschneiden der Klitoris Geisteskrankheiten kurieren würde. Das Absprechen der weiblichen Sexualität verbreitete sich rasch. In der Literatur Ende des 19. Jahrhunderts verschwand die Klitoris gänzlich aus den anatomischen Darstellungen.

Gründe, warum im viktorianischen Zeitalter gegen die weibliche Sexualität vorgegangen wurde, gibt es viele: Die Wissenschaft erkannte, dass Frauen keinen Orgasmus brauchen, um schwanger zu werden. Die männliche Sexualität rückte dadurch noch mehr in den Vordergrund. Die Repression der Frau hielt an - die männliche Sexualität wurde verstärkt betont, womit sich auch die männliche Dominanz stärken konnte. Ab 1995 wurde die Klitoris wieder falsch, und zwar knopfartig dargestellt. Auch aktuell publizierte Literatur, beispielsweise aus dem Jahr 2020, bildet die Klitoris oft nicht korrekt ab.

Mangel an korrekten Abbildungen

Bis heute bestehen leider noch immer wenig korrekte Abbildungen der Klitoris in Fach- und Populärliteratur. In Bezug auf die realitätsgemässe Darstellung des Organs empfiehlt Prof. Haag-Wackernagel die 2005 veröffentlichten MRT-Bilder der Klitoris von Helen O’Connell, sowie das Buch «Anatomic Study of the Clitoris and the Bulbo-Clitoral Organ» von Vincent Di Marino und Hubert Lepidi das Werk. Prof. Haag-Wackernagel selbst stellt in Zusammenarbeit mit KESSEL Medintim GmbH 3D-Modelle des Bulbo-Klitoralorgans her: Anschaulich dargestellt wird damit auch das Ausmass des dorsalen Klitorisnervs, welcher überaus wichtig, ist. Der dorsale Klitorisnerv ist jedoch sehr vulnerabel, da er sehr weit an der Oberfläche liegt – er kann bei Venushügelfettaubsaugungen verletzt werden, was zu Empfindungsunfähigkeit führen kann.