Medical Tribune
27. Mai 2022Kahlköpfigkeit verursacht grossen Leidensdruck

Androgenetische Alopezie: So bald wie möglich abklären und behandeln

Übermässiger Haarausfall kann jeden Körperbereich betreffen. Die androgenetische Alopezie ist eine Form des Haarausfalls, die durch eine veranlagungsbedingt erhöhte Empfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber männlichen Sexualhormonen ausgelöst wird - sie ist die häufigste Form der Kahlköpfigkeit.

Der androgenetisch bedingte Haarverlust beginnt beim Mann typischerweise an den Schläfen, bei der Frau am Scheitel.
iStock/Liudmila Chernetska

Ab dem 70. Lebensjahr leiden 80 Prozent aller Männer und 42 Prozent aller Frauen unter androgenetischer Alopezie. Erste Krankheitsanzeichen können sich bei Männern bereits ab der Pubertät abzeichnen, während diese bei Frauen mit dem Beginn der Prämenopause auftreten. Häufigkeit und Schwere nehmen mit dem Alter zu (1).

Haare wachsen in Zyklen, die aus folgenden Phasen bestehen:

  • Lange Wachstumsphase (Anagen), die 2 bis 6 Jahre dauert
  • Kurze Übergangsphase (Katagen), die 3 Wochen dauert
  • Kurze Ruhephase (Telogene), die 2 bis 3 Monate dauert

Am Ende der Ruhephase fällt das Haar aus (Exogen), ein neues Haar beginnt im Haarfollikel zu wachsen. Gewöhnlich erreichen rund 50 bis 100 Haupthaare pro Tag das Ende ihrer Ruhephase und fallen aus.


Auch Frauen sind betroffen

Aufgrund des unterschiedlichen Ausprägungsmusters unterscheidet man zwischen der androgenetischen Alopezie der Frau und der androgenetischen Alopezie des Mannes. Nur das Auftreten bei der Frau ist als pathologisch zu werten. Des Weiteren wird Haarausfall in fokal oder diffus unterteilt. Haarausfall kann auch danach klassifiziert werden, ob eine Vernarbung vorhanden ist oder nicht (2).

Störungen des Wachstumszyklus, die zu Haarausfall führen, werden unterteilt in das anagene Effluvium (Unterbrechung der Wachstumsphase, die zum Ausfall von Haaren in der Anagenphase führt) und das telogene Effluvium (mehr als 100 Haare pro Tag gehen in die Ruhephase über und fallen dann aus).

Bei Männern sind zuerst die Schläfen oder der Hinterkopf betroffen – bei Frauen der Scheitel

Manche Männer bemerken als erstes eine kahle Stelle am Hinterkopf, andere bemerken plötzlich sogenannte Geheimratsecken an der Schläfe. Bei jenen, deren Haare sich bereits in jungen Jahren lichten, entwickelt sich eine Glatze mit Haarkranz. Bei Frauen tritt der Haarausfall meist über dem Scheitel auf. Typisch dafür ist bei den Frauen, dass die Haare zuerst ausdünnen, bevor sie ausfallen. In der Regel bleibt bei ihnen der Haaransatz intakt.

Der androgenetischen Alopezie liegt eine genetische Prädisposition zu Grunde. Die genauen Gene sind jedoch derzeit nicht bekannt. Das entscheidende Androgen ist Dihydrotestosteron. Androgenetische Alopezie kann in jedem Alter einsetzen - sie tritt häufiger bei Weissen als bei Menschen chinesischer oder asiatischer Herkunft oder Menschen mit schwarzer Hautfarbe auf.

Therapie mittels Finasterid, Minoxidil oder Haartransplantation

Finasterid ist eine ausschliesslich für den Mann vorgesehene Therapiemöglichkeit. Es handelt sich dabei um einen Hemmer der Steroid-5α-Reduktase, das bei der Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron beteiligt ist. Dieses spielt sowohl bei der Entwicklung einer benignen Prostatahyperplasie als auch beim erblich bedingten Haarausfall eine Rolle: Dihydrotestosteron hemmt den Übergang von telogener in anagene Phase und beschleunigt damit den Haarausfall. Finasterid wird oral, in Form von Tabletten verabreicht.

Wichtig ist die richtige Dosierung: Für die androgenetische Alopezie wird ein Milligramm täglich verordnet (nicht wie bei der gutartigen Prostatavergrösserung, bei der fünf Miligramm pro Tag verschrieben werden). Eine Dosisanpassung bei Patienten mit Niereninsuffizienz ist nicht erforderlich. Daten bei Leberinsuffizienz liegen nicht vor. Die Elimination von Finasterid ist bei Patienten über 70 Jahre geringfügig vermindert, eine Dosisanpassung ist gemäss Hersteller jedoch nicht erforderlich. Als Nebenwirkungen können Impotenz, Libidoverlust, Depressionen oder Gynäkomastie auftreten (3). Topisch kommt darüber hinaus kommt das Antihypertensivum Minoxidil zum Einsatz.

Ein anderer Ansatz ist die Haartransplantation: Dabei wird Eigenhaar entnommen und an die kahlen Stellen verpflanzt. Bei dem Eingriff entstehen kleine Narben, die jedoch von den Haaren überdeckt werden.

Kahlköpfigkeit belastet

Da die Kahlköpfigkeit eine psychisch belastende Erkrankung ist, sollte frühzeitig mit einer Abklärung und anschliessenden Behandlung begonnen werden. Eine aktuelle Studie zeigte, dass ein Gemisch aus Pflanzenextrakten, Vitaminen und Mineralien die relative Dichte des Haares von androgenetischem Haarausfall betroffenen Männern im Vergleich zu Placebo um 16,4 Prozent erhöhen konnte (4).

Referenzen
  1. Frühzeitiger Therapiebeginn und gute Adhärenz retten Haarfollikel. Deutsche Apothekerzeitung Nr. 14, S. 28, 05.04.2018
  2. Alopezie (Haarausfall). MSD Manual, November 2020
  3. Kiguradze T et al. Persistent erectile dysfunction in men exposed to the 5α-reductase inhibitors, finasteride, or dutasteride. PeerJ March 9, 2017. doi: 10.7717/peerj.3020.
  4. Feldmann P et al. Safety and efficacy of ALRV5XR in men with androgenetic alopecia: A randomised, double-blinded, placebo-controlled clinical trial. EClinicalMedicine. 2021 Sep 11;40:101124. doi: 10.1016/j.eclinm.2021.101124.