Medical Tribune
26. Jan. 2022Mikrobiologie

Das vaginale Mikrobiom diagnostizieren

Die Vaginalflora einer geschlechtsreifen Frau beherbergt mehr als 500 Bakterien- und Pilzarten, die gleichzeitig auch Teile des Gastrointestinaltrakts besiedeln können. Welche Kommensalen "normal" sind, und wie diese nachzuweisen sind, haben wir zusammengefasst.

Solange in der Vagina ausreichend «gute» Stäbchen vorhanden sind, ist alles im Lot.

Auf und in einem gesunden Menschen leben mindestens 2000 verschiedene Bakterienarten mit einem Gesamtgewicht von etwa 200 g, berichtet Professor Dr. Werner Mendling, Deutsches Zentrum für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe, Landesfrauenklinik, Helios Universitätsklinikum Wuppertal.

Dank moderner molekularbiologischer Techniken (z.B. Gensequenzierung) werden in Darm und Vagina immer wieder neue Bakterienarten entdeckt, die mit den traditionellen Kulturmethoden nicht angezüchtet werden können. Gegenwärtig geht man davon aus, dass in der Vagina einer gesunden, prämenopausalen Frau 561 Bakterienspezies vorkommen können. In Balance gehalten werden sie von Laktobazillen. Mehr als 30 der insgesamt 261 bekannten Lactobacillus-Arten finden sich in der Scheide, darunter die für das vaginale Milieu wichtigen Vertreter L. crispatus, L. gasseri, L. jensenii und L. iners. Diese Bakterien verstoffwechseln das unter dem Einfluss der Eierstockhormone von den Vaginalzellen gebildete Glykogen und produzieren dabei Milchsäure (Laktat), die für den sauren pH-Wert der Scheide verantwortlich ist.

Eine "normale" Flora ist kaum definierbar

Ausser den Laktobazillen kommen in der Vagina zahlreiche weitere Bakteriengattungen wie Gardnerella, Atopobium, Prevotella, Streptococcus, Corynebacterium, Gemella, Dialister, Snethia, Megasphera, Mobiluncus, Ureaplasma und Mycoplasma vor. Bei 70 % der Frauen lässt sich ferner eine Kolonisation mit verschiedenen Pilzen nachweisen, insbesondere mit Candida albicans. Interessant ist auch, dass man viele vaginal vorkommende Bakterien ebenso in der Mundhöhle und im Enddarm findet, so der Experte weiter.

Das vaginale Mikrobiom wird individuell durch Genetik (z.B. Ethnie, Genpolymorphismen), Lebensweise (z.B. Ernährung, Bewegung, Rauchen), Hormonwirkungen, Antibiotika, sexuelle Aktivität und andere Faktoren beeinflusst. Zudem unterliegt es während des Zyklus kurzfristigen dynamischen Veränderungen. Eine "normale" Vaginalflora ist daher kaum definierbar, meint der Autor.

Tampons weniger schädlich als angenommen

Mit einem Gerücht räumt er in diesem Zusammenhang auf: Tampons sind für das vaginale Mikrobiom viel weniger problematisch als häufig angenommen. Sie beeinträchtigen die mikrobielle Besiedlung nicht signifikant und begünstigen auch keine gynäkologischen Infektionen. Das durch toxinbildende Stämme von Staphylococcus aureus hervorgerufene menstruelle toxische Schocksyndrom (TSS) kann zwar in Zusammenhang mit der Tamponanwendung auftreten. Vorschub leisten zum Beispiel eine zu lange Liegedauer des Tampons sowie ein zu häufiger Wechsel (Sauerstoffzufuhr!). Allerdings sind auch Frauen, die auf Tampons verzichten, und Anwenderinnen von Menstruationstassen nicht davor gefeit.

Gerät die Vaginalflora aus dem Gleichgewicht, spricht man von einer bakteriellen Vaginose: Laktobazillen nehmen ab, Gardnerella vaginalis sowie Anaerobier und Mykoplasmen hingegen nehmen zu. Entscheidend für die Diagnose ist allerdings nicht der Nachweis dieser Bakterienarten, sondern das Fehlen der Laktobazillen sowie das typische "Schlüsselzell-Phänomen" im mikroskopischen Nativpräparat, so Prof. Mendling. Die bakterielle Vaginose begünstigt sexuell übertragbare Infektionen (und umgekehrt), prädisponiert für aufsteigende Genitalinfektionen und erhöht in einer Schwangerschaft das Frühgeburtsrisiko.

Vaginom kann man auch ohne Kultur bestimmen

Der Goldstandard zur Unterscheidung zwischen einer gesunden und einer gestörten Vaginalflora ist die Phasenkontrastmikroskopie des Nativpräparats in Kombination mit dem vaginalen pH-Wert, erklärt der Experte. Leider werden in der Praxis zur Abklärung von vaginalem Ausfluss häufig Kulturen aus Abstrichpräparaten veranlasst, bedauert er. Das Problem: Hierbei finden sich fast immer Normalbefunde, die regulär auch Bakterien der Darmflora wie Escherichia coli oder Enterococcus faecalis umfassen. Nicht selten führt dies zu unnötigen und nicht zuletzt kostenintensiven Antibiotika-Behandlungen, psychischen Belastungen der betroffenen Frauen und einer Zunahme der Morbidität.

Schon heute gibt es die Möglichkeit, das Vaginom mithilfe nichtkultureller Techniken zu bestimmen, schliesst Prof. Mendling. Die Interpretation dieser komplexen Befunde erfordert jedoch grosses Fachwissen und ist klinisch zurzeit noch nicht praktikabel.

Mendling W. Akt Dermatol 2021; 47: 451–456; doi: 10.1055/a-1547-9613.