Medical Tribune
13. Okt. 2021In puncto «bioidentisch» fehlt es an Wissen

Diskussionen um die Hormonersatztherapie

Wenn es um den Hormonersatz in der Menopause geht, wünschen sich Frauen eine individuell zugeschnittene Therapie, gerne mit bioidentischen Hormonen. Es kursieren jedoch eine ganze Reihe von irreführenden Informationen zum bioidentischen Hormonersatz.

Am Forum für medizinische Fortbildung Gynäkologie Update Refresher erklärte Professor Dr. Petra Stute, Stv. Chefärztin Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Universitäts-Frauenklinik, Inselspital Bern, dass sich die Diskussion um die folgenden drei Möglichkeiten der Hormonersatztherapie (HRT) dreht:

  • die «klassische», d.h. in der Vergangenheit vorwiegend von der Pharmaindustrie hergestellte und von Swissmedic zugelassene HRT aus z.B. konjugierten equinen Östrogenen und Medroxyprogesteronacetat (MPA),
  • die «bioidentische» von der Pharmaindustrie hergestellte und von Swissmedic zugelassene HRT wie Estradiol und Progesteron und
  • die «bioidentische» von Apotheken hergestellte HRT mit Estradiol und Progesteron als Magistralrezepturen. Diese sind nicht von Swissmedic zugelassen.

Was sind bioidentische Hormone?

Nach einem Statement der Endocrine Society 2006 handelt es sich bei den bioidentischen Hormonen um Substanzen, welche die gleiche chemische und molekulare Struktur wie die vom menschlichen Körper produzierten Hormone haben. Dazu zählen Estron, Estradiol, Progesteron, Testosteron und Dehydroepiandrosteron (DHEA). Die meisten dieser Hormone werden aus Yams oder Soja hergestellt.

Dagegen sind Medroxyprogesteron- acetat, Norethisteron und Levonorgestrel keine bioidentischen, sondern synthetische Hormone. Auch diese werden aber aus Pflanzen hergestellt.

Bei vielen Ärzten besteht jedoch ein Manko hinsichtlich des Wissens zu bioidentischen Hormonen. In einer Querschnittsstudie1 glaubte die Hälfte der medizinischen Grundversorger, dass es bioidentische Hormone nur als in Apotheken hergestellte Magistralrezepturen gibt, und nur 62,5 % bewerteten die (richtige) Aussage, dass es keinen Beweis gibt, dass Magistralrezepturen besser sind als von der FDA zugelassene Rezepturen, als richtig.

Auch im Internet finden sich irreführende Informationen. Das zeigt eine Auswertung2 von 100 internationalen Homepages, von denen jede zweite zu einer Klinik gehörte. Zwei Drittel dieser Webseiten priesen bioidentische Hormone als risikoärmer an als eine konventionelle HRT, 40 % behaupteten, dass bioidentische Hormone ein geringeres Brustkrebsrisiko haben, und 25 % behaupteten, dass eine bioidentische Therapie vor Brustkrebs schützt.

Eine Umfrage3 kam vor einiger Zeit zu dem Schluss, dass die Adhärenz von Gynäkologen und Hausärzten zu den Empfehlungen der Fachgesellschaften zur bioidentischen Hormontherapie zu wünschen übriglässt, so Prof. Stute.

Stellenwert synthetischer Hormone

Prof. Stute erklärte, dass synthetische, nichtbioidentische Hormone in den Wechseljahren noch einen Platz in folgenden Fällen haben:

  • Kontrazeption (z.B. Chlormadinonacetat, CMA)
  • Blutungsstörung (z.B. Norethisteron- acetat [NETA], MPA, CMA)
  • Androgenisierung (z.B. Drospirenon [DRSP], CPA, CMA)
  • Unverträglichkeit von Progesteron (Dydrogesteron, DYD)
  • Libidomangel (z.B. Tibolon)
  • unzureichende Wirkung von Estradiol (z.B. CEE)

Risiko für Brustkrebs und Endometriumkarzinome

Wie sieht nun der Einfluss der bioidentischen Hormone auf das Risiko für Brust- und Endometriumkarzinome aus? Studien haben kein erhöhtes Mammakarzinom-Risiko für Estradiol plus Progesteron über einen Zeitraum von fünf Jahren gefunden. Bei sehr langer Anwendungsdauer über acht Jahre steigt das Brustkrebs-Risiko jedoch an. Auch bioidentische Hormone beeinflussen das Risiko also durchaus, so die Expertin.

In Bezug auf das Endometriumkarzinom heisst es in der aktuellen S3-Leitlinie, dass die Verwendung von Progesteron oder Dydrogesteron im Rahmen einer kontinuierlich-kombinierten Hormontherapie das Risiko der Entstehung eines Endometriumkarzinoms erhöhen kann (Level of Evidence 4). Diese Aussage leitet sich jedoch aus einer einzigen Studie – der prospektiven E3N-Kohortenstudie – ab, die zahlreiche Schwächen aufweist, wie Prof. Stute bemerkte.

Neuere Daten kommen aus der placebokontrollierten Phase-III-Studie Replenish4, welche die kombinierte Gabe von Östradiol und oralem Progesteron in verschiedenen Dosierungen untersuchte. Hier zeigte sich, dass es vor allem unter einer kombinierten ultraniedrig-dosierten HRT mit 0,25–0,5 mg E2 und 50–100 mg Progesteron pro Tag innerhalb von zwölf Monaten keine relevanten histologischen Veränderungen am Endometrium gab.

Magistralrezepturen mit grosser Dosis-Bandbreite

Ein Problem für das Endometrium scheinen dagegen bioidentische Magistralrezepturen darzustellen, wie eine Untersuchung aus den USA zeigt.5 Die schlussendlich von den Apotheken abgegebenen Rezepturen wiesen hier eine grosse Dosis-Bandbreite auf. Die enthaltene Dosis an Estradiol oder Progesteron kann damit die von der Swissmedic erlaubte deutlich über- oder unterschreiten.

  1. Files JA et al. Maturitas 2016 ; 94 : 46–51.
  2. Yuksel N et al. Menopause 2017; 24(10): 1129–1135.
  3. Dubaut JP et al. J Womens Health 2018; 27(7): 859–866.
  4. Lobo RA et al. Obstet Gynecol 2018; 132(1): 161–170.
  5. Stanczyk FZ et al. Menopause 2019 ; 26(9): 966–971.