Medical Tribune
25. Mai 2021Stimulation im Bogengang

Trotz bilateraler Vestibulopathie wieder sicher laufen können

Bei Patienten mit bilateraler Schädigung des Gleichgewichtssinns kann eine Vestibularis-Prothese das Gangbild deutlich verbessern und die Sturzgefahr mindern. Das Gerät besteht ähnlich wie das Cochlea-Implantat zur Behandlung des Hörverlusts aus einer internen und einer externen Komponente. Die Wirkung beruht auf der gezielten Stimulation der vestibulären Nervenendigungen in den Bogengängen.

Mann, der einen Spaziergang auf dem Strand an einem Sommerabend nimmt.
istock.com/tap10

Sturzrisiko etwa 30-fach erhöht

Mithilfe von Elektroden lassen sich die nicht mehr funktionierenden Haarzellen umgehen. Für die nötigen Signale sorgt ein ebenfalls implantierter Stimulator. Die triaxialen Daten zur Kopfrotation liefert ein externer Bewegungssensor, der mit Magneten am Kopf befestigt wird. Batterie und Steuerungseinheit trägt der Patient an einem Band um den Hals, erklärt die Arbeitsgruppe um Margret Chow von der Johns Hopkins University in Baltimore.

Ohne prothetische Versorgung müssen Patienten mit bilateraler Vestibulopathie jeden Schritt bewusst kontrollieren, um nicht zu fallen. Trotzdem tragen sie ein etwa 30-fach höheres Sturzrisiko als Gesunde. Dazu kommt das Problem der sozialen Stigmatisierung, weil sie beim Gehen schwanken, als seien sie betrunken.

Die vestibuläre Stimulation mithilfe eines Implantats vermag diese Symptome deutlich zu lindern, wie eine aktuelle Untersuchung zeigen konnte. Sämtliche acht Studienteilnehmer litten an einer schweren bilateralen Dysfunktion des Gleichgewichtsorgans. Die kontinuierliche Anwendung des Implantats im Alltag verbesserte Körperhaltung und Gehfähigkeit mit entsprechend günstigem Einfluss auf die Lebensqualität. Dabei blieben die in den ersten sechs Monaten erzielten Erfolge auch nach einem Jahr noch erhalten. Die Patienten berichteten zudem, sie könnten wieder ohne bewusste Sturzkontrolle laufen.

Möglicher Hörverlust im Prothesen-Ohr

Die Stimulation im Placebomodus erzielte dagegen keine positive Veränderung. Dies spricht dafür, dass es sich bei der beobachteten Wirkung weder um einen Scheineffekt noch um eine spontane Besserung handelte. Nachteil der Vestibularis-Stimulation ist der mögliche Hörverlust im versorgten Ohr: In der Studie waren sieben der acht Patienten betroffen, drei davon schwer. Die übrigen behielten ein alltagstaugliches Hörvermögen.

Chow MR et al. N Engl J Med 2021 384: 521-532.