Medical Tribune
18. Mai 2021Erst gefühlt, dann richtig schlaff

Guillain-Barré-Syndrom auch mit SARS-CoV-2 assoziiert

Hinter akuten, in den Beinen beginnenden Lähmungen steckt häufig ein Guillain-Barré-Syndrom. Die Diagnose ist in der Regel relativ eindeutig, dennoch gibt es atypische Subformen, die man leicht übersehen kann.

Im MRT ist die Inflammation der Nervenwurzeln deutlich zu erkennen (weiss).

Die klassische Form des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) ist eine akute inflammatorische Polyradikuloneuropathie mit T-Zell- und Makrophagen-Infiltration, Demyelinisierung und sekundärer axonaler Degeneration durch Antikörper. Davon zu unterscheiden ist eine akute axonale Motoneuropathie, die sich als primärer axonaler Schaden ohne substanzielle T-Zell-Entzündung und Demyelinisierung manifestiert, schreiben Professor Dr. Nortina Shahrizaila von der Medizinischen Fakultät der Universität von Malaya in Kuala Lumpur.

Meist geht einem GBS ein akuter (respiratorischer) Infekt voraus, etwa im Abstand von vier Wochen. Eine Beziehung wurde vor allem für das Zika-Virus, Campylobacter jejuni und jüngst SARS-CoV-2 nachgewiesen, aber auch das Zytomegalie- oder das Epstein-Barr-Virus kommen als Auslöser in Betracht. Die Prävalenz folgt in der Regel dem regionalen und saisonalen endemischen Vorkommen der auslösenden Erreger. Beschrieben ist ein GBS-ähnliches Syndrom auch als Nebenwirkung von Immuncheckpoint-Inhibitoren sowie in seltenen Fällen nach einer Grippeimpfung – allerdings tritt es im Vergleich mehr als 17-mal seltener auf als nach einer Influenzainfektion.

Beim mit C. jejuni assoziierten GBS fällt vor allem eine axonale Neuropathie auf. Sie scheint auf einer autoantikörpervermittelten Immunantwort zu beruhen, die ausgelöst wird durch eine molekulare Mimikry zwischen Komponenten peripherer Nerven und dem Campylobacter. Zytomegalie- und Epstein-Barr-Virus triggern eher eine demyelinisierende Neuropathie, eine Infektion mit dem Zika-Virus führt zu einem GBS mit Demyelinisierung und sensomotorischen Defiziten, Fazialparesen und respiratorischer Insuffizienz.

Klassischer Typ durch SARS-CoV-2

Obwohl die kausalen Nachweise bislang noch ausstehen, scheint SARS-CoV-2 den klassischen Phänotyp zu induzieren – beginnend etwa zwei Wochen nach der Infektion. Es kommt zur albuminozytologischen Dissoziation im Liquor (erhöhtes Albumin bei normaler Zellzahl) und zu einer vorwiegend demyelinisierenden Neuropathie.

Wenn sich das GBS mit der charakteristischen symmetrisch progredienten, aufsteigenden, schlaffen Parese und abgeschwächten Reflexen präsentiert, ist es nicht schwer zu diagnostizieren. Nutzt man allerdings nur die klassischen Diagnosekriterien, könnten atypische Varianten mit Befall kranial innervierter oder respiratorischer Muskeln, autonomer Beteiligung oder lokal begrenzter Muskelschwäche übersehen werden. Bei Kindern besteht manchmal das Problem, dass mit dem Guillain-Barré-Syndroms Schmerzen einhergehen, die eine zugrunde liegende Muskelschwäche maskieren.

Der Nachweis einer verminderten Nervenleitgeschwindigkeit kann die Diagnose unterstützen und zwischen dem axonalen und demyelinisierenden Subtyp unterscheiden. Charakteristisch ist auch die zytoalbuminäre Dissoziation im Liquor, wenngleich die Ergebnisse beider Tests in frühen Stadien noch negativ sein können.

Risiko für Nervenschäden vor allem in der Akutphase

Die Progression des Syndroms muss engmaschig überwacht werden, insbesondere bei einer bulbären Manifestation, bei respiratorischer Insuffizienz und autonomer Dysfunktion. Vor allem in der akuten Phase der ersten beiden Wochen ist das Risiko für Komplikationen und Nervenschäden hoch, erinnern die Kollegen.

Klinische Schlüsselfaktoren

  • neurologisches Muster entspricht eindeutig GBS oder Miller-Fisher-Syndrom
  • elektrophysiologische Untersuchung zeigt sensomotorische Neuropathie
  • Liquoruntersuchung ergibt zytoalbuminäre Dissoziation
  • vorausgehende monophasische Krankheit (bis etwa vier Wochen vor Symptombeginn)
  • IgG gegen neurale Strukturen (Antigene) vorhanden

Generell heilt das GBS spontan wieder ab. Intravenöse Immunglobuline (2 g/kgKG über fünf Tage) und Plasmaaustausch (4–5 Sitzungen à 50 ml/kgKG) sind bisher die einzigen Immuntherapien, mit denen sich die Erholung der Patienten beschleunigen lässt. Einen Ner venschaden bremsen sie jedoch nicht. Die meisten Patienten sprechen gut auf die Immuntherapien an. Doch ein Teil behält Behinderungen. Etwa 20 % der Betroffenen können auch nach einem Jahr noch nicht wieder selbstständig gehen – rund 5 % sterben an dem Syndrom.

Prädiktoren für ein schlechtes klinisches Ergebnis sind höheres Lebensalter, vorausgehende Infektion mit C. jejuni, beatmungspflichtige respiratorische Insuffizienz und der axonale Subtyp des Guillain-Barré-Syndroms. Auch Serummarker wie niedriges Albumin, geringer Anstieg der Immunglobuline und hohe Spiegel der neurofilament light chain stehen mit einer schlechteren Prognose in Verbindung.

Neben den bisher verfügbaren NINDS- und Brighton-Collaboration-Kriterien für die GBS-Diagnose hat man verschiedene Prognosemodelle (mEGOS und EGRIS ) entwickelt, um die Patientenversorgung zu verbessern. Bedarf besteht auch an neuen krankheitsmodifizierenden Therapien, die das Ausmass des Nervenschadens begrenzen können, betonen die Autoren. Aussichtsreiche Kandidaten, die derzeit in klinischen Studien untersucht werden, sind Komplementinhibitoren.

Shahrizaila N et al. Lancet 2021; doi: 10.1016/S0140-6736(21)00517-1