Medical Tribune
16. Feb. 2021Reservemedikamente

Haben Fluorchinolone in der Gastroenterologie ausgedient?

Ganz schön bunt kommt Ciprofloxacin daher, wenn man es unter dem Polarisationsmikroskop betrachtet.

Fluorchinolone wurden über viele Jahre hinweg breit eingesetzt. Heute sieht man sie aufgrund ihres problematischen Nebenwirkungsprofils und der sich verschlechternden Resistenzlage sehr viel kritischer. Ganz vom Tisch sind die Gyrasehemmer in der Gastroenterologie aber noch nicht.

Man sollte nochmal betonen, dass die Fluorchinolone schon tolle Antibiotika sind», eröffnete Professor Dr. Christoph Lübbert von der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin 2 am Universitätsklinikum Leipzig seinen Vortrag. Damit bezog er sich vor allem auf das grosse Spektrum an Indikationen, das die Gyrasehemmer abdecken.

Doch natürlich hat jede Medaille auch eine Kehrseite: Fluorchinolone haben spezifische Nebenwirkungen, die man von anderen Antibiotika in dieser Form nicht kennt. So kommt es unter ihnen gehäuft zu Achillessehnenrupturen. Bereits bei der Zulassung war klar, dass sich die Medikamente nicht für Kinder eignen, da sie potenziell die Knorpelentwicklung beeinträchtigen. Und in den 1990er-Jahren musste man zunehmend lernen, dass die Substanzen Clostridioides-difficile-Infektionen begünstigen, erklärte der Kollege. Dennoch hätten lange Zeit die guten Seiten der Substanzgruppe im klinischen Alltag überwogen. Und so kam es, dass Ciprofloxacin und Co. eine sehr weite Verbreitung fanden.

Doch mit der breiten Anwendung zeigte sich erst das ganze Ausmass der Nebenwirkungen, so Prof. Lübbert. Insbesondere die mit Fluorchinolonen in Zusammenhang gebrachte Bindegewebsschwäche im Sinne einer Kollagentoxizität stellte sich als ein grösseres Problem heraus als man zunächst vermutet hatte. Pro 1000 Patientenjahre treten unter Fluorchinolonbehandlung schätzungsweise 3,2 Achillessehnenrupturen auf. Und irgendwann wurde klar, dass die Bindegewebsproblematik auch das Gefässsystem betrifft und vor allem thorakale Aortenaneurysmen und Dissektionen sehr eng damit assoziiert sind, erklärte der Referent.

Aus diesen Gründen wurde der Ruf der Gyrasehemmer immer schlechter. Besonders in den USA starteten indirekt oder direkt betroffene Patienten regelrechte Anti-Fluorchinolon-Kampagnen, in denen sie die potenziellen Nebenwirkungen der Substanzen anprangerten. Das führte letztlich dazu, dass 2016 zuerst die FDA und 2018 dann auch die EMA reagierten und entsprechende Warnungen veröffentlichten.

In der empirischen Therapie «weitgehend verbrannt»

Das zweite Problem mit den Substanzen ist die zunehmende Zahl an Resistenzen. Über fast vier Jahrzehnte hinweg haben es die Fluorchinolone geschafft, kaum Resistenzen zu generieren, sagte Prof. Lübbert. Ab den frühen 2000er-Jahren änderte sich dies. Im Jahr 2017 betrugen die Resistenzraten von Escherichia coli am Universitätsklinikum Leipzig 23 % für Ciprofloxacin, 20 % für Levofloxacin und 26 % für Moxifloxacin. Diese Werte sprechen dafür, dass die Chinolone in der empirischen Therapie weitgehend verbrannt sind, so das Fazit des Kollegen.

Bislang gab es in der Gastroenterologie laut Prof. Lübbert vier Hauptindikationen für den Einsatz von Fluorchinolonen:

  • Therapie der bakteriellen Gastroenteritis (Ciprofloxacin, Levofloxacin),
  • Behandlung des Typhus abdominalis/Paratyphus (Ciprofloxacin),
  • Helicobacter-pylori-Eradikation (Levofloxacin),
  • Prophylaxe der spontanen bakteriellen Peritonitis (Norfloxacin).

Bei der bakteriellen Gastroenteritis lassen sich Cipro- bzw. Levofloxacin nach Ansicht des Referenten problemlos durch Azithromycin ersetzen. Eine gute Evidenz liegt allerdings nur für die Reisediarrhö vor. In Studien wurde zudem gezeigt, dass Rifaximin bzw. Rifamycin bei Reisediarrhö genauso gut wirken wie Ciprofloxacin.

Helicobacter-Eradikation geht auch ohne Levofloxacin

In der Therapie des Typhus abdominalis bzw. des Paratyphus haben Cephalosporine der dritten Generation die Nase vorne. Diese sind laut Prof. Lübbert sehr viel besser als die Chinolone. Das zeigte u.a. eine randomisiert-kontrollierte Studie aus Nepal, in der auch die Autoren zu dem Schluss kamen, dass Fluorchinolone zur Typhusbehandlung nicht mehr eingesetzt werden sollten. Das Makrolid-Antibiotikum Azithromycin ist bei den invasiven Darminfektionen nur zweite Wahl.

Auch bei der Helicobacter-pylori-Infektion kann man auf Chinolone inzwischen verzichten, erklärte der Kollege. Denn die Bismut-Quadrupeltherapie mit Tetracyclin war in Studien der levofloxacinbasierten Behandlung deutlich überlegen.

In der Sekundärprophylaxe der spontanen bakteriellen Peritonitis ist Norfloxacin zwar noch nicht ganz vom Tisch. Allerdings wird es auch bei dieser Indikation für die Chinolone schwieriger, ihren Stellenwert zu behalten, betonte Prof. Lübbert. Metaanalysen zeigen, dass es zwischen der prophylaktischen Behandlung mit Rifaximin und der mit Norfloxacin keine wesentlichen Unterschiede gibt. Und so wird Rifaximin in der Leitlinie bereits als Alternative zu Norfloxacin gehandelt.

Übrigens: Zwar eignet sich Ciprofloxacin prinzipiell auch zur Behandlung einer Cholangitis. Aber diese könne man ähnlich gut mit Drittgenerationscephalosporinen in Verbindung mit anaerob wirksamen Antiinfektiva behandeln, stellte der Kollege klar. «Da brauchen wir das Ciprofloxacin nicht zwingend.»

In einigen Jahren könnte alles ganz anders aussehen

Bei all diesen Daten fragt man sich schnell, ob die Gyrasehemmer überhaupt noch eine Berechtigung in der Gastroenterologie haben. «Absolut», betonte Prof. Lübbert – und zwar als Reservemedikamente. Wenn man es schaffe, bestimmte Substanzgruppen über längere Zeit weitgehend zurückzudrängen, dann würden diese hinsichtlich ihres Resistenzprofils wieder besser. Diese Strategie funktioniere in der Regel gut. «Wenn wir in drei, vier, fünf Jahren Resistenzdaten anschauen in einem Land wie Deutschland, dann werden die Chinolone wieder besser – dann sind sie eine wertvolle Reservesubstanz.» Daher seien die aktuellen Veränderungen aus seiner Sicht als eine Bereicherung des klinischen Alltags zu sehen.

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