Medical Tribune
23. Juni 2020Zwischen Schonen und Leistungssport

Was nach einer Hüft- und Knieprothese erlaubt ist

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Die Patienten erwarten heute von einer Hüft- oder Knieprothese mehr als Schmerzfreiheit. Viele möchten ihre sportliche Aktivität bis ins hohe Alter beibehalten oder steigern. Welche Empfehlungen Sie Ihren Patienten geben können, erläuterte Professor Dr. Reinhard Elke, Orthopäde an der Merian Iselin Klinik Basel, an einem Webinar der Medical Tribune, das nach Absage einer Hausarztfortbildung wegen Covid-19 durchgeführt wurde.

Immer wieder gibt es Kritik, dass in der Schweiz zu viele Prothesen-Operationen durchgeführt werden – sie steht an der Spitze der OECD-Länder, allerdings dicht gefolgt von Deutschland und Österreich. Andererseits steht die Schweizer Bevölkerung bis ins hohe Alter produktiv im Arbeitsprozess und weist eines der höchsten realen Rentenalter auf. Die Zahl der notwendigen prothetischen Versorgungen korreliert mit dem Alter, die Kurve steigt nach 65 Jahren stark an. Damit wird die Zahl der Prothesen-Operationen rein demografisch auch in den nächsten Jahren weiter ansteigen, kommen doch in naher Zukunft einige geburtenstarke Jahrgänge ins «Arthrose-Alter».

Kleinere Hüftköpfe sorgen für weniger Abrieb

Heute halten Hüftprothesen häufig über 20 und Knieprothesen über 15 Jahre. Dies wurde auch durch Fortschritte bei Prothesendesign und Operationstechnik erreicht. Lange war eines der Hauptprobleme der Abrieb des Polyethylens. Dieses Material kann eine sogenannte Partikelkrankheit auslösen, die dann zu Knochenläsionen und Prothesenlockerung führen kann.
Um den Abrieb zu vermindern, wurden verschiedene Konzepte verfolgt. So verursachen kleinere Hüftköpfe weniger Abrieb, erlauben aber einen geringeren Bewegungsumfang und haben eine höhere Luxationsrate. Der Versuch mit Metall-Metall-Gleitflächen wurde wieder verlassen. Erfolgreich hingegen war die Entwicklung eines hochvernetzten Polyethylens, das bei multidirektionaler Belastung niedrige Abriebwerte zeigt. Dies erlaubt die Wahl grösserer Hüftköpfe, die mit mehr Beweglichkeit bei gleichzeitig geringerer Luxationsrate sehr wenig Abrieb zeigen. All diese Fortschritte beeinflussen die heutigen Sport-Empfehlungen

Die Hüftprothetik gehört zu den erfolgreichsten orthopädischen Operationen überhaupt. Die klassischen Zugänge haben spezifische Vor- und Nachteile. So zeigt der direkt laterale Zugang eine relativ geringe Luxationsrate, aber immer wieder postoperatives Hinken, das sogenannte Abduktorenhinken. Beim weit verbreiteten hinteren Zugang werden zwar die Abduktoren geschützt, jedoch ist das Luxationsrisiko erhöht.

Die neueren minimalinvasiven Zugänge sind muskelschonender. Der Operateur geht zwischen den Muskeln hindurch, ohne diese vom Knochen abzulösen. Dieser Zugang hat nicht die Nachteile der klassischen Zugänge, ist aber technisch anspruchsvoller.
Auch beim Knie kann sich die Prothesenform auf die Sportfähigkeit auswirken. Neben der Hemiprothese unterscheidet man bei der Totalprothese vor allem zwischen banderhaltenden und stabilisierenden Prothesen, die bei beschädigtem Bandapparat eine höhere Stabilität vermitteln

Sport ja – aber nicht sofort

Wann welche körperlichen Aktivitäten wieder möglich sind, hängt von der Phase der Rehabilitation ab. In der ersten Phase bis etwa sechs Wochen postoperativ ist das Ziel, dass der Patient die Selbstständigkeit in häuslicher Umgebung erlangt. Geübt werden Gangsicherheit, Ankleiden und Körperpflege, der Patient erreicht einen Basis-Bewegungsumfang. In dieser Phase sollte das Einwachsen der Prothese nicht gestört werden, um eine frühe Lockerung zu vermeiden. Übertriebene Bewegung schadet der Wundheilung und der Resorption von Hämatomen und Ödemen. Auch sollte das Gewebe, wie Kapsel, Muskel, Sehnen und Bänder, genügend Zeit für die Heilung haben.

Die zweite Phase bis drei Monate postoperativ beinhaltet die Reintegration in den Arbeitsalltag mit Vollbelastung, Ausdauertraining und Erhöhung des Bewegungsumfangs unter muskulärer Kontrolle. In dieser Phase gilt es Verzögerungen und allfällige Komplikationen wie Luxationsrisiken, Infekte und persistierende muskuläre Insuffizienzen zu erkennen und zu behandeln. Man sollte Überlastungen vermeiden, damit sich keine Sehnenansatzentzündungen oder Bursitiden entwickeln. Gerade sehr ehrgeizige Patienten brauchen hier Beratung.
Erst in der dritten postoperativen Phase, in der Regel ab drei Monaten postoperativ, steht dann die Intensivierung der körperlichen Leistungsfähigkeit mit Aufnahme von sportlichen Aktivitäten auf dem Programm. Hier ist eine sorgfältige Abwägung zwischen den Möglichkeiten der Patienten und deren Anspruch nötig. Mit in die Empfehlungen fliessen auch Faktoren wie die Knochendichte, der Zustand der Muskulatur sowie die Koordinationsfähigkeit ein.

Früher beruhten die Empfehlungen, welche Sportarten nach Prothesenoperationen geeignet sind, häufig auf der persönlichen Erfahrung von Experten.1 Nachdem wissenschaftliche Studien2 mit instrumentalisierten Prothesen messen konnten, welche Kräfte bei welchen Aktivitäten wirklich auf das Hüftgelenk wirken, können die Empfehlungen3 besser begründet werden. Dabei zeigt sich auch, dass es immer darauf ankommt, wie eine Sportart ausgeübt wird, sodass die Empfehlungen differenziert ausfallen sollten. Als zusätzlichen Aspekt zeigen die Messungen, dass die Kräfte auf das Hüftgelenk bei höherem Körpergewicht steigen.

Empfohlen werden Low-impact-Sportarten wie Gehen, Wandern und Schwimmen. Hier treten Belastungen von 250–400 % des Körpergewichts auf. Bei schnellem Laufen steigt die Belastung allerdings auf über 500 %, bei Rennen gar bis 910 %. Velofahren ist gut möglich, allerdings zu Beginn lieber in der Ebene oder in Gelände mit nur leichten Steigungen. Das Velofahren querfeldein ist generell weniger geeignet. Beim Tennisspielen wird vor allem das Doppel empfohlen, vom Einzeltennis wird eher abgeraten
Skifahren ist möglich, vor allem wenn der Patient schon vor der Operation ein geübter Skifahrer war, allerdings lieber auf der präparierten Piste in nicht zu steilem Gelände. Vom Tiefschneefahren wird abgeraten, genauso wie vom Snowboarden.

Skilanglauf ist ebenfalls eine Option. Dabei ist der klassische Stil weniger belastend als Skating. Beim Schwimmen sollten sich Patienten zunächst auf Crawl beschränken, der Brustbeinschlag muss aufgrund seiner Komplexität vorgängig intensiv geübt werden.

Kein Mannschaftssport und beschleunigte Bewegungen

Alle sportlichen Tätigkeiten, die mit beschleunigten Bewegungen einhergehen, wie Gewichtheben und Springen, oder bei denen sonst hohe Kräfte einwirken, wie beim Bergsteigen, sind nicht ohne weiteres zu empfehlen.4 Von Mannschaftssportarten mit oft hartem Körperkontakt wird abgeraten. Nicht vergessen sollte man, dass es auch ohne Sport zu erheblichen Belastungen des Hüftgelenks kommen kann. So führt etwa Stolpern zu einer Belastung, die höher ist als bei den meisten Sportarten. Es treten Kräfte bis zum 9–17-Fachen des Körpergewichts auf.
Je technisch anspruchsvoller eine Sportart ist, desto wichtiger sind die Vorkenntnisse der Bewegungsabläufe. Sie eignen sich daher vor allem für Personen, die diesen Sport schon vor der Operation ausgeübt haben. Ein sorgfältiges Aufbautraining ist in jedem Fall unerlässlich. Bei präoperativ inaktiven Patienten, die postoperativ ihr Leistungsniveau steigern möchten, besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr. Sport nach einer Hüftprothese sollte immer im Sinne von «Freizeitsport» und nicht Leistungssport ausgeübt werden.

1. Swanson EA et al. J Arthroplasty. 2009; 24(6 Suppl): 120–126.
2. Bergmann G et al.
PloS ONE 2016; 11(5):e0155612.
3. Krismer M.
EFORT Open Rev 2017; 2(5):189–194.
4. Oljaca A et al.
Acta Orthop Belg. 2018; 84(4): 415–422.