Medical Tribune
10. Juni 2020Erst Tropfen, dann Spülung

So befreien Sie Ihre Patienten von Cerumen obturans

Wenn Patienten schlecht hören, sollten Sie mal in den Gehörgang schauen. Gerade bei Älteren ist er oft mit Cerumen verstopft. Ein Kollege erläutert, wie Sie das Hindernis selbst beseitigen können und wer eine Überweisung zum HNO-Arzt braucht.

Gelbes Ohrenschmalz auf einem Tupfer, der über Weiß isoliert wird
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Für die schmalzbedingte Verlegung des Gehörgangs gibt es zahlreiche Risikofaktoren – vom Hörgerät bis zur Schuppenflechte (s. Kasten). Therapeutisch stehen vier Strategien zur Verfügung: kontrolliertes Zuwarten, Cerumenolytika, Ohrspülung und manuelle Extraktion, schreibt der Allgemeinarzt Jonathan­ C. Radford vom Trinity Court Surgery in Stratford-upon-Avon.

Patienten ohne Trommelfellperforation bzw. Verdacht darauf sollten zunächst für drei bis fünf Tage cerumenolytische Ohrentropfen auf Basis von physiologischer Kochsalzlösung, Natriumbikarbonat, Mandel- oder Olivenöl anwenden. Bei persistierenden Symptomen erfolgt – wenn möglich – eine Ohrenspülung, sofern keine der folgenden Kontra­indikationen vorliegt:

  • St. n. Ohroperation,
  • anatomische Veränderungen im Gehörgang,
  • anamnestisch bekannte Trommelfellperforation bzw. Paukenröhrchen,
  • akute oder rezidivierende Otitis externa sowie
    Taubheit auf dem nicht betroffenen Ohr.

Auch bei Patienten unter 16 Jahren oder früherer Intoleranz für die flüssige Ohrreinigung soll nicht gespült werden.
Bleibt der Erfolg aus, kann die Irrigation wiederholt werden – nach erneutem Tropfen für drei bis fünf Tage bzw. der Instillation von Wasser für 15 Minuten. Führt auch die Wiederholung nicht zum Ziel bzw. bei Vorliegen der oben genannten Kontraindikationen, sollte der Patient zwecks manueller Extraktion zum HNO-Fachkollegen überwiesen werden.

Latrogene Otitis externa möglich

Die Spülung ist allerdings nicht ohne Risiko, warnt der britische Hausarzt. So muss man in einem von 1000 Fällen mit Problemen rechnen. Zu diesen zählt der Kollege auch, dass der Behandlungserfolg ausbleibt. Ausserdem kann es zu Otitis externa, Trommelfellperforation und Läsionen des äusseren Gehörgangs kommen. Als unerwünschte Nebenwirkungen werden auch Schmerz, Schwindel oder eine Otitis media beobachtet.

Einer Studie zufolge entwickeln etwa 3 % der gespülten Patienten eine iatrogene Otitis externa. Vor allem bei Diabetikern und immunkompromittierten Patienten kommt es vermehrt zu einer Otitis externa maligna, ausgelöst durch Pseudomonaden. Deshalb wird empfohlen, in dieser Patientengruppe und generell bei älteren Menschen auf eine Ohrspülung zu verzichten.

Als Alternative bietet sich die manuelle Entfernung des Cerumen obturans unter Sichtkontrolle an – zum Beispiel mittels Mikrosuktion. Das Absaugverfahren kann somit auch in Situationen zum Einsatz kommen, in denen die Ohrspülung kontraindiziert wäre und ist in mehr als 90 % der Fälle erfolgreich. Es geht für gewöhnlich schneller und ermöglicht beispielsweise bei einem plötzlichen Hörverlust die unmittelbare Entfernung des Cerumens und bei Bedarf auch eine Trommelfell-Diagnostik – ohne den Gehörgang Feuchtigkeit auszusetzen.

Die Mikrosuktion wird im Allgemeinen gut vertragen. Unerwünschte Effekte sind zwar nicht selten (55 %), aber meist geringfügig und vorübergehend. Am häufigsten kommt es zu Schwindel oder einer (passageren) Hörverschlechterung – auch die Lautstärke des Eingriffs stört so manchen. Schmerz und Vertigo lassen sich durch den vorherigen Gebrauch von Cerumenolytika reduzieren. Auch eine audiovisuelle Ablenkung (z.B. Praxisfernsehen) lindert das Schmerzempfinden und kann so die Akzeptanz erhöhen.

Risikofaktoren für Cerumen obturans

  • anatomisch: enger Gehörgang, Exostosen, Ohrhaare
  • physikalisch: Hörgeräte, Ohrstöpsel, Wattestäbchen
  • Cerumen: trockene bzw. harte Konsistenz (z.B. Drüsenatrophie), Otitis externa
  • Hauterkrankungen: Ekzem, Psoriasis, seborrhoische Dermatiti

Radford JC, BGP Open 2020;
doi: 10.3399/bjgpopen20X101064