Medical Tribune
28. Apr. 2020Corona-Krise: Abrechnungsmodalitäten den neuen Verhältnissen angepasst

Grösserer Spielraum auch für Hausärzte

Aufgrund der bundesrätlichen Verordnung, welche nicht dringend angezeigte medizinische Untersuchungen während der Corona-Krise verboten hat, hatten Hausärzte vielerorts so wenig wie schon lange nicht mehr zu tun – (halb)leere Sprechzimmer waren keine Seltenheit. Eine Alternative zu persönlichen Kontakten zwischen Arzt und Patient vor Ort bietet neben der Telefonberatung die Telemedizin. Die Abrechnungsfrage ist jetzt wenigstens geklärt.

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Vollständiger Wegfall von präventiven Untersuchungen und Routinekontrollen, teilweise massive Umsatzeinbussen, beantragte Kurzarbeit für die Angestellten: Hausärztinnen und Hausärzte werden von der gegenwärtigen Corona-Krise wie viele andere Branchen ebenfalls stark gebeutelt, wie aus diversen Medienberichten hervorgeht.

Speziell für Telemedizin ausgebildet und lizenziert

Als Pionierin im Bereich der Telemedizin appellierte die Firma Medgate in einer Medienmitteilung vom 8. April 2020 an die Öffentlichkeit, man solle dringende Arztkonsultationen nicht aufschieben. Es gäbe schliesslich die Möglichkeit «digitaler Hausbesuche». Über eine Medgate-App kann rund um die Uhr ein Termin mit einem Arzt oder einer Ärztin per Telefon oder Video gebucht werden. Selbst ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis oder ein Rezept werden von telemedizinisch ausgebildeten Ärzten von Medgate ausgestellt und Medikamente bei Bedarf auch zum Patienten nach Hause geliefert.

Die Ärzte bei Medgate sind speziell für Telemedizin ausgebildet und lizenziert, versichert Céline Klauser, Manager Corporate Communications bei diesem Unternehmen. «Bezüglich der Abrechnung haben wir mit unseren Partner-Krankenversicherer individuelle Verträge. Bei Patienten, die nicht bei einem unserer Krankenversicherer-Partner versichert sind, verrechnen wir die telemedizinische Arztkonsultation nach Tarmed. Dafür wenden wir die dafür vorgesehenen Tarifpositionen», sagt sie. Eine Konsultation nimmt selten mehr als 20 Minuten in Anspruch. An der Telemedizin interessierte Ärzte können sich übrigens gerne bei Medgate melden. «Wir haben sowohl Instrumente und Know-how im Bereich der Telemedizin als auch Zusammenarbeitsmodelle speziell für niedergelassene Ärzte und Spitäler», bietet Klauser Hand an.

Während das Unternehmen Medgate schon lange Zeit Erfahrungen im Umgang mit Telemedizin hat, ist das bei Hausärztinnen und Hausärzten tatsächlich noch wenig der Fall. Ob die Corona-Krise auch bei ihnen für einen digitalen Schub sorgen wird, bleibt abzuwarten.

«Aufwand und Nutzen beurteilen»

«Bevor telemedizinische Konsultationen über Videokonferenz-Tools gemacht werden, müssen Aufwand und Nutzen beurteilt werden. Die meisten Konsultationen ausserhalb der Sprechstunde sind problemlos telefonisch möglich», gibt sich Dr. Josef Widler, Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (AGZ), gegenüber Medical Tribune überzeugt. Nennenswerte Zusatzinformationen kann ein Videobild selten liefern. Und wenn doch, dann müssen mit dem Patienten die Voraussetzungen bezüglich Technik (Softwareinstallation) und Datenschutz im Vorfeld einer Videokonsultation besprochen werden.

Auch nach Ansicht des Arztes Dr. Christoph Hollenstein, Vizepräsident der Vereinigung der Hausärztinnen und Hausärzte beider Basel und zuständig für die Kommunikation, sind die Möglichkeiten der Telemedizin in der praktischen Umsetzung beschränkt. «Sie kann von Nutzen sein, sofern es sich um psychische Probleme handelt», lässt er verlauten. «Und manchmal können Aufnahmen von Haut- oder Rachenbefunden besser angeleitet werden, während spontan zugesandte Fotos dazu oft nicht ausreichen.» Danach stösst die Telemedizin aber schon einmal an ihre Grenzen.

Wie kann aktuell abgerechnet werden?

In beiden Fällen – ob telefonische Kontakte oder Telemedizin – stellt sich allerdings in der Corona-Krise das gleiche Problem: Wie kann abgerechnet werden? Im Tarifwerk Tarmed existiert lediglich die Position «Telefonische Konsultation durch den Facharzt», bei welcher sich solche Leistungen geltend machen lassen . Diese Tarifposition ist aber nicht für eine Ausnahmesituation wie in der heutigen Corona-Krise vorgesehen, sondern eigentlich nur zur Klärung gewisser Fragen, oft administrativer Art. Denn abgerechnet werden können pro Sitzung im Normalfall maximal 20 Minuten, in speziellen Fällen (bei über 75-Jährigen, unter 6-jährigen Kindern sowie bei Patienten mit erhöhtem Behandlungsbedarf) maximal 30 Minuten. Im Bereich der Psychiatrie gelten etwas grosszügigere Bedingungen von 20 bis maximal 40 Minuten. Ein erhöhter Behandlungsbedarf muss auf Anfrage der Versicherung begründet werden.

Anpassungen aufgrund der Corona-Krise

Diese Restriktionen sind jetzt ein bisschen gelockert worden, bis die Corona-Krise ausgestanden ist. Demnach hat der Bundesrat am 6. April 2020 laut FMH-factsheets entschieden, dass besonders gefährdete Patientinnen und Patienten unabhängig vom Alter als Personen «mit erhöhtem Behandlungsbedarf» gelten können. «Da ausserdem die Anzahl telefonischer Sitzungen nicht limitiert ist, kann bei medizinischer Notwendigkeit mit Unterbruch mehr als eine telefonische Konsultation abgehalten und abgerechnet werden. Diese Zeitlimiten genügen in der Regel, um den Aufwand abzubilden», gibt sich Dr. Widler überzeugt.

In der psychiatrischen Diagnostik und Therapie können maximal 75 Minuten für das Einzelsetting in Rechnung gestellt werden. Zwischen telefonischer/telemedizinischer Beratung und einer Sprechstunde vor Ort wird kein Unterschied gemacht.

Trotz aller Probleme, die sich in der Gegenwart stellen und teilweise mit Kurzarbeit abgefedert werden: Um die Zukunft der Mediziner macht sich Dr. Widler keine grossen Sorgen. «Es wird weiter so sein, dass es uns ambulante Ärzte braucht, in Zukunft sogar mehr denn je, wenn ambulant vor stationär durchschlägt. Und trotz aller Spezialisierung, Personalisierung und Technisierung der Medizin: Der Arzt des Vertrauens ist kein Auslauf-, sondern ein Zukunftsmodell. Das hat eine aktuelle Studie der INFRAS ergeben, die die AGZ in Auftrag gegeben hat.»

Spitäler und Arztpraxen: Restriktionen teilweise aufgehoben

Beim Ausstieg aus der Corona-Krise setzt der Bundesrat auf eine Politik der kleinen Schritte. Seit dem 27. April 2020 wurde ein Teil der bisherigen Restriktionen aufgehoben, die auch die Gesundheitsbranche betreffen. Demnach dürfen ambulante und stationäre Behandlungen ab diesem Zeitpunkt wieder durchgeführt werden, also nicht mehr nur dringliche. Die Lockerung von Massnahmen begründete Gesundheitsminister Alain Berset damit, dass zu lange aufgeschobene Eingriffe und Therapien gesundheitliche Risiken bergen. Spitäler hatten festgestellt, dass Patienten mit ernsthaften Erkrankungen sowie chronisch Kranke aus Angst vor dem Corona-Virus den Notfall oft nicht mehr aufsuchten. Bei der Behandlung von Nicht-Corona-Patienten sollen in den Spitälern alle erforderlichen Schutzmassnahmen (räumliche Trennung, Triage im Eingangsbereich, Schutzmasken) ergriffen werden.

Auch in Arztpraxen können wieder alle Patientinnen und Patienten unter Berücksichtigung von Schutzmassnahmen behandelt werden. Hingegen dürfte das überwiegende Gros der Ärzteschaft finanziell nicht von der Hilfe des Bundesrates profitieren, die dieser für «indirekt betroffene selbstständig Erwerbende» rückwirkend per 17. März 2020 in Aussicht stellt. Denn es gilt eine wesentliche Einschränkung bei dieser neuen Form des Erwerbsersatzes: Selbstständige, deren AHV-pflichtiges Einkommen im Jahr 2019 über 90 000 Franken lag, gehen leer aus.
Etwas anders präsentiert sich die Situation bei «arbeitgeberähnlichen Angestellten», also bei Gesellschaftern einer AG oder einer GmbH. Arztpraxen sind rechtlich nicht selten so organisiert. Für sie war bereits im März eine pauschale Kurzarbeitsentschädigung von 3320 Franken monatlich eingeführt worden.