Medical Tribune
20. Feb. 20209. DRG-Forum Schweiz–Deutschland

«Nicht alle Hoffnungen haben sich erfüllt»

Sparschwein mit Stethoskop lokalisiert auf blauem Hintergrund. Steuervergleichskonzept. Medizinische Kostenabzüge und Steuererleichterungen
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BERN – Die Spitalfinanzierung über Fallpauschalen feiert demnächst ihr zehnjähriges Jubiläum. Ein Grund zum Feiern? So eindeutig liess sich diese Frage am 9. DRG Forum Schweiz-Deutschland nicht beantworten. Konsens herrschte aber darüber, dass die Zeiten für die Spitäler noch härter und Spital-Schliessungen unausweichlich werden. Der Finanzierungsdruck steigt weiter.

Seit Einführung der DRG (Diagnosis-Related Groups) vor knapp einem Jahrzehnt versammeln sich jeweils Ende Januar kluge Köpfe aus dem Gesundheitswesen und debattieren aus unterschiedlicher Warte über Sinn und Zweck, Änderungen, Vorteile und Handicaps der neuen Spitalfinanzierung. Nach der grossen Aufregung beim Start scheinen sich die Wogen mit den Jahren immerhin etwas gelegt zu haben, wie sich das 9. DRG-Forum Schweiz–Deutschland in einem Satz zusammenfassen lässt. Die Branche lebt mehr oder weniger zufrieden mit dem neuen Finanzierungsinstrument, das letztlich den Wettbewerb unter den Marktteilnehmenden stärken soll.

Der Abbau erfolgt am falschen Ort

Allerdings melden Fachleute noch immer Bedenken und Vorbehalte an, teilweise ganz grundsätzlicher übergeordneter Natur und teilweise aufgrund von Erfahrungen in der Praxis. Tagungsleiter und Gesundheitsökonom Dr. oec. Willy Oggier, der den Anlass jeweils mit ein paar Provokationen in Schwung bringt und einigen den Spiegel vorhält – nicht immer zu jedermanns Freude –, kritisiert die immer noch zu hohe Anzahl an Universitätsspitälern in der Schweiz mit viel zu kleinen Einzugsgebieten, ebenso eine zunehmende Diskrepanz in der medizinischen Versorgung zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Gegenden. Es wird am falschen Ort – in unterversorgten ländlichen Regionen – abgebaut, während in überversorgten Ballungsgebieten alles beim Alten belassen wird. Er sieht auch nicht ein, weshalb ein Spital unbedingt eine EBITDA-Marge (eine Art Umsatzrentabilität) von 10 % braucht. «Vielleicht weil eine Beratungsfirma Anpassungsdruck und Beratungsbedarf suggerieren kann?» Eine solche Marge sei bei einem öffentlichen Spital nicht nötig und bei einem privaten viel zu wenig, so Dr. Oggier.

Eine Sichtweise, die unter den Anwesenden ebenfalls nicht nur helle Freude auslöste, brachte Professor Dr. mult. Eckhard Nagel, Universität Bayreuth, mit Blick auf die Verhältnisse in Deutschland ein. Für ihn hat der Begriff «Wettbewerb» respektive die Ökonomie im Gesundheitswesen schlichtweg nichts zu suchen. «Auf Konsum können Sie verzichten, auf Gesundheit nicht.» Schliesslich gehe es im Spital nicht um Kunden, die in freier Wahl etwas kaufen wollen, sondern um eine Notlage. Die Patienten sind darauf angewiesen, dass ihnen geholfen wird.

«Sind die fetten Jahre vorbei?» lautete der Titel der DRG-Veranstaltung in Bern. Von fetten Zeiten wollte Nagel gar nicht sprechen. Mehr als die Hälfte der Krankenhausverbünde seien heute (hoch)defizitär und kein Uni-Klinikum mehr in Zukunft mit positivem Resultat in Sicht. Die Kosten würden weiter steigen. Ein Grund unter mehreren: «Heute gibt es behandelbare Krankheiten, die ich während meines Studiums noch gar nicht kannte.» Engpässe zeichneten sich wegen der demografischen Entwicklung auch im personellen Bereich ab. «Es gibt mehr Studierende und mehr Pflegende, aber das sind immer noch zu wenig.» Sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz gehen Prognosen von namhaften Spital-Schliessungen in Zukunft aus.

Gegen Massnahmen aus dem Giftschrank

Für Beatrix Meyer, Leiterin der Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife von der FMH, lautet das Fazit nach fast einem Jahrzehnt Erfahrung von Spitalärzten mit der neuen Spitalfinanzierung: «Nicht alle Befürchtungen sind eingetreten, aber es haben sich auch nicht alle Hoffnungen erfüllt.» Die Politik hat unter anderem gehofft, dass mehr Wettbewerb entstehen, das Kostenwachstum gedämpft und Spital-Schliessungen möglich würden, ohne dass in der Politik Köpfe rollen. Demgegenüber befürchtete die Ärzteschaft einen grösseren administrativen Aufwand, weniger Zeit für Patienten und blutige Entlassungen. Der administrative Aufwand hat in der Tat zugenommen. In der Akutsomatik verbringen Ärzte nur noch ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Patienten.

Handlungsbedarf meldet sie aus Ärztesicht auf verschiedenen Ebenen an, an erster Stelle die Reduzierung des administrativen Aufwands. Ferner sind Qualitätsmessungen, respektive eine Weiterentwicklung dieser Instrumente, unabdingbar. Hingegen sollte man ihrer Meinung nach von “Massnahmen aus dem Giftschrank” Abstand nehmen. Im Klartext: “Keine weiteren Experimente mit unwirksamen Werkzeugen wie Globalbudgets.”

 

FMH: «Für jede neue administrative Regelung eine bestehende aufheben»

BERN – Die Ärzteschaft klagt periodisch über eine zu hohe administrative Belastung. Auch am DRG-Forum in Bern fielen solche Töne. Doch was könnte man konkret dagegen unternehmen? MT hat bei der FMH nachgefragt.

Am DRG-Forum zitierte die FMH aus einer Umfrage, gemäss derer Spitalärzte im Durchschnitt zwei Stunden pro Tag und damit eine halbe Stunde mehr als vor acht Jahren für administrative Tätigkeiten aufwenden. Auch Hausärzte klagen immer wieder über die hohe bürokratische Belastung. Hat die FMH einmal analysiert, wo man den Hebel ansetzen könnte respektive müsste?
FMH: Wichtig ist es in erster Linie, die Arbeitsabläufe laufend zu überprüfen und die Prozesse zu optimieren. Gute IT-Lösungen können zudem unterstützend wirken und beispielsweise Doppelerfassungen vermeiden. Zeit sparen Ärztinnen und Ärzte ausserdem, wenn sie z.B. ihre Befunde digital diktieren können. Entlastung bieten abgesehen vom klassischen Sekretariat auch Berufsgruppen wie die Case Manager, Koordinatoren und Stationsassistenten. Um das Problem allerdings an der Wurzel zu packen, müsste bei jeder neuen Regulierung zuerst geprüft werden, welcher administrative Aufwand damit verbunden ist und ob dieser verhältnismässig ist. Idealerweise sollte für jede neu eingeführte administrative Regelung zur Kompensation eine bestehende Regelung aufgehoben werden.

Hat die FMH Verständnis für die Krankenkassen, die genaue Angaben fordern?
FMH: Auch wenn die Krankenkassen verschiedene Informationen z.B. für die Kostengutsprache und Rechnungskontrolle benötigen, gilt es, ein gewisses Augenmass zu bewahren. Die Krankenkassen und Leistungserbringer könnten zudem vermehrt gemeinsam nach Lösungen suchen, um den administrativen Aufwand auf beiden Seiten zu reduzieren. Ein wichtiger Aspekt ist hier, schrittweise ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und die Prozesse möglichst aufeinander abzustimmen.

Wird die administrative­ Belas­tung durch die Einführung des elektronischen Patientendossiers Ihres Erachtens eher noch zunehmen – oder ist diesbezüglich eine Entlastung in Sicht?
FMH: Das elektronische Patientendossier (EPD) ist ein Dossier für Patientinnen und Patienten. Sie haben Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten und entscheiden selbst, welche Gesundheitsfachperson Einsicht in ihre Dokumente haben soll. Die Kommunikation zwischen den Gesundheitsfachpersonen wie z.B. das Zustellen von Austrittsberichten muss deshalb weiterhin ausserhalb des EPD per Post oder E-Mail erfolgen. Das EPD ist damit ein zusätzlicher Informationskanal, der für Ärztinnen und Ärzte über ein Internetportal zugänglich ist und bezogen auf ihre Sorgfaltspflicht konsultiert werden soll. Für weniger Administrativaufwand bräuchte es einen hohen Integrationsgrad zum Klinik-, respektive Praxisinformationssystem; zweckmässige Ordnungsfunktionen, welche das schnelle Auffinden gesuchter Dokumente erlauben, und die sichere Zugänglichkeit zu den abgelegten Dokumenten. In der aktuellen Ausgestaltung steigt der administrative Aufwand für die Gesundheitsfachpersonen.

Interview: Markus Sutter