Medical Tribune
3. Juni 2019Histologische und radiologische Untersuchungen

Dexamethason: die gute und die schlechte Seite

Dexamethason ist ein synthetisches Kortikosteroid mit starker antiinflammatorischer Wirkung. Es wird seit gut 60 Jahren eingesetzt, um bei Patienten mit Glioblastom die Bildung zerebraler Ödeme zu vermindern. Ob der Einsatz immer nur Gutes bringt, diskutieren zwei Wissenschaftler.

Professor Dr. Eric T. Wong und Dr. Kenneth D. Swanson von der Harvard Medical School in Boston diskutieren die derzeit verfügbare Evidenz für und gegen den Einsatz von Dexamethason beim Glioblastom.

Histologische und radiologische Untersuchungen an Patienten mit Glioblastom belegen einen raschen und starken Effekt auf den Abbau zerebraler Ödeme, die durch Hirntumoren verursacht werden – und damit einen klinischen Nutzen, der die Rationale für den Einsatz beim Glio­blastom darstellt. Andererseits sind Glukokortikosteroide auch als Immunsuppressiva bekannt. Eine einzelne 12-mg-Dosis von Dexamethason hemmt anhaltend die klonale T-Zell-Expansion, so die Autoren. Bei der Anwendung über mehr als drei Wochen seien dementsprechend ein Anstieg infektiöser Komplikatio­nen und das Auftreten opportunistischer Infektionen bei Glioblastom-Patienten zu beob­achten.

Daneben kann die längerfristige Gabe von Dexamethason durch Schwächung des angeborenen und adaptiven Immunsystems auch die körpereigene Abwehr gegen das Glioblastom beeinträchtigen, geben Prof. Wong und Dr. Swanson zu bedenken. So komme es zu quantitativen und qualitativen Veränderungen in der adaptiven Immunität, etwa einer Abnahme von CD4+ und CD8+ T-Zellen.

Schwellendosis könnte 4,1 mg/d Dexamethason sein

Eine Post-hoc-Analyse der EF-11-Studie, in der Patienten mit rezidiviertem Glioblastom randomisiert mit elektrischen Feldern (tumor-treating fields) oder konventionell behandelt wurden, zeigte, dass 4,1 mg/d Dexamethason eine Schwellendosis darstellen, jenseits der sich das Überleben der Patienten unabhängig von der sonstigen Therapie verschlechtert. Die Daten sind retrospektiv gewonnen und somit für eine definitive Aussage nicht ausreichend. Dennoch suggerieren diese und weitere Studienergebnisse, dass Dexamethason eine Tendenz besitzt, spezifische Glioblastomtherapien negativ zu beeinflussen.

Es gibt Medikamente, die einerseits als Immunsuppressiva, andererseits in der Onkologie zur Tumorbekämpfung eingesetzt werden, etwa der mTOR-Inhibitor Everolimus. Präklinische Daten hatten Wissenschaftler positiv gestimmt für den Einsatz beim Glioblastom. Eine Phase-II-Studie ergab aber für die Behandlung mit Everolimus eine Verkürzung der medianen Überlebensdauer um 4,7 Monate und eine Zunahme von Infektionen vom Grad 4 und 5. Die Dosierung war laut den Autoren in dieser Studie aber mindes­tens fünfmal so hoch wie diejenige, die in der Transplantationsmedizin eingesetzt wird, um die Abstossung von Nieren- und Lebertransplantaten zu verhindern. Es sei also Vorsicht geboten bei der Übertragung von präklinisch gewonnenen Daten in einen klinischen Kontext.

Auch das Zytostatikum Temozolomid, das in grossen Studien eine eindeutige Verlängerung des Überlebens von Patienten mit Glio­blastom bewirkt hat, kann immunsuppressiv wirken. Etwa 40 % der Patienten hatten nach einer Radiochemotherapie mit Temozolomid abnorm niedrige Zahlen an CD4+ T-Zellen und ein kürzeres Gesamtüberleben. Die CD4-Lymphopenie persistierte für mindestens ein Jahr. Daraus folgern die Autoren, dass jede Medikation, die eine möglicherweise bereits bestehende Immunsuppression noch verschlechtert – wie Dexamethason – reduziert werden sollte, sobald der Patient sich darunter stabilisiert hat.

Ein Ersatz für das  Glukokortikoid soll her

In zahlreichen Studien mit verschiedenen Chemotherapien, zielgerichteten Therapien, Vakzinen oder Immuncheckpoint-Inhibitoren bei Patienten mit Glioblastom konnte bisher kein Nutzen belegt werden. Prof. Wong und Dr. Swanson halten es deshalb für erforderlich, diese Daten noch einmal unter dem Aspekt zu analysieren, ob möglicherweise die Gabe von Dexamethason kontraproduktiv gewesen sein könnte. Die Suche nach einem Ersatz sei ein Desideratum, schliessen die Wissenschaftler.

Nutzen kontrovers diskutiert

Die in den frühen 1960er-Jahren empirisch gefundene Dosierung von 4 mg Dexamethason alle sechs Stunden für die Dauertherapie stellt auch heute noch den Standard dar. Aber jüngere präklinische und klinische Daten haben gezeigt, dass das Glukokortikoid je nach klinischem Kontext neben seinen positiven auch negative Auswirkungen haben kann.

Wong ET, Swanson KD. JAMA Neurol 2019; doi: 10.1001/jamaneurol.2018.4530