Medical Tribune
15. Mai 2019Aspirationspneumonie wird oft übersehen

Falsche Ausfahrt genommen

Viele Senioren merken es gar nicht, wenn Essen in der Lunge landet. Auch deshalb ist die sich entwickelnde Aspirationspneumonie nur schwer von der «normalen» zu unterscheiden. Pneumologen erklären, wann Sie Verdacht schöpfen sollten.

Schätzungen zufolge entstehen bis zu 15 % der ambulant erworbenen Pneumonien durch eine Aspiration. Das «Einatmen» geringer Mengen oropharyngealen Sekrets im Schlaf gilt bei Gesunden als normal, auch wenn es bei vielen Pneumonien eine pathogenetische Rolle spielt. Von einer Aspirationspneumonie im engeren Sinn spricht man erst, wenn grössere Mengen von bakteriell kontaminiertem «Speisebrei» die Lunge erreichen (Ma­kroaspiration). Bei den bakteriellen Auslösern scheinen sich die früher dominierenden Anaerobier auf dem Rückzug zu befinden, schreiben Dr. Lionel A. Mandell von der ­McMaster University in Hamilton und Dr. Michael S. Niederman vom Weill Cornell Medical College in New York.

Dysphagie verzehnfacht das Pneumonie-Risiko

Ebenfalls durch eine Makroaspiration verursacht wird die chemische Pneumonitis. Allerdings stammt der Auslöser aus dem oberen Gastrointestinaltrakt. Irritativer Mageninhalt mit niedrigem pH sorgt für eine Entzündungsreaktion in der Lunge. Eine bakterielle Kontamination findet nicht statt. Gefährdet sind vor allem Patienten mit Reflux oder Sondenernährung.

Einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Aspirationspneumonie ist ein gestörter Schluckmechanismus. Bei älteren Patienten wird das Pneumonie-Risiko durch eine Dysphagie mehr als verzehnfacht. Auch neurologische Erkrankungen können die Speisen auf Abwege bringen (s. Kasten). Schlaftabletten und Anti­psychotika erhöhen die Aspirationsgefahr ebenfalls. Viele Patienten bemerken die Aspiration nicht – selbst wenn es sich um grössere Volumina handelt. Symp-tome entwickeln sich üblicherweise innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen nach dem Ereignis, bei weniger virulenten Erregern im Aspirat eventuell auch später. Die Abgrenzung von anderen bakteriellen Lungenentzündungen ist oft schwierig, wobei Patienten mit Aspirationspneumonie eine besonders hohe Krankheitslast und Mortalität aufweisen. Typisch für die chemische Pneumonitis sind plötzlich beginnende Dyspnoe, Hypoxämie und Tachykardie. Auskultatorisch fallen Rasselgeräusche oder ein diffuses Giemen auf. Das Aspirat ist in der Regel steril, es kann aber zu einer Superinfektion kommen.

Glukokortikoide haben keinen Platz

Die Diagnose der Aspirationspneumonie erfolgt anhand von Anamnese, Risikofaktoren und passenden radiologischen Befunden. Zu Beginn ist der Röntgen-Thorax oft noch negativ, ggf. kann man mit der  Computertomografie die Diagnose bestätigen. Die meisten Patienten mit ambulant erworbener Aspirationspneumonie sprechen gut auf die Behandlung mit Ampicillin-Sulbactam, einem Carb­apenem oder einem Fluorchinolon (Levofloxacin bzw. Moxifloxacin) an. Bei hohem Risiko für eine überwiegend anaerobe Infektion (schwere Parodontitis, nekrotisierende Pneumonie, Lungenabszess) empfehlen die Autoren die Kombination von Clindamycin mit einem der genannten Antibio­tika. Bei Resis­tenzen raten sie zu Breitspektrum­antibiotika. Glukokortikoide haben keinen Platz in der Therapie der Aspirationspneumonie.

Das Risiko einer chemischen Pneumonitis infolge von Magensaft-Aspiration lässt sich durch Anheben des Magen-pH senken. Antibiotika sollten zur Behandlung von milden und mittelschweren Verläufen nicht routinemässig eingesetzt werden, es sei denn, der Patient nimmt säurehemmende Medikamente ein oder leidet unter einer Dünndarmob­struktion. In schweren Fällen sollte die Anti­biotika-Therapie empirisch begonnen und je nach klinischem Verlauf für mehr als zwei oder drei Tage fortgeführt werden, so die Autoren. Glukokortikoide gehören auch hier nicht zum therapeutischen Arsenal.

So gelingt die Prävention

  • 24-stündige Antibiotikatherapie für Patienten im Koma nach Notfallintubation
  • keine Nahrungsaufnahme mindestens acht Stunden und keine klaren Flüssigkeiten mindestens zwei Stunden vor einer Vollnarkose
  • Schlaganfall-Patienten in halbsitzender Position füttern
  • obligatorische Untersuchung des Schluckvermögens nach einem Schlaganfall bzw. nach Extubation bei mechanischer Beatmung
  • Blutdrucksenkung nach Schlaganfall vorzugsweise mit ACE-Hemmer
  • sorgfältige Mundhygiene und Exzision kranker Zähne

Risikofaktoren für eine Aspiration

  • Schluckstörung: Ösophaguserkrankungen (Dysphagie, Krebs, Striktur, COPD), neurologische Erkrankungen (Epilepsie, Multiple Sklerose, Parkinson, Schlaganfall, Demenz) und Beatmung
  • Bewusstseinsstörung: Schlaganfall, Herzstillstand, Medikamente, Narkose, Alkoholgenuss etc.
  • Magensaft-Aspiration: Reflux, Sondenernährung etc.
  • Geschwächter Hustenreflex: Medi­kamente, Alkohol, Schlaganfall, Demenz, degenerative neurologische Erkrankungen, eingeschränktes Bewusstsein

Mandell LA, Niederman MS.
N Engl J Med 2019; 380: 651–663.