Medical Tribune
22. März 2019Gesichtslähmung

Entgleiste Gesichtszüge

Bei peripherer Fazialisparese zählen rasche Therapie und mimische Übungen

Fazialisparese ist nicht gleich Fazialisparese. Um der Lähmung auf den Grund zu gehen, sollte man auf klinische Charakteristika achten und die Indikation zur Lumbalpunktion grosszügig stellen. Immerhin: Die häufigste Form der Störung hinterlässt in der Regel keine Langzeitfolgen.

Schwangere, Diabetes- und Hypertoniepatienten sind besonders anfällig für eine periphere Fazialisparese. Insgesamt trifft die Erkrankung beide Geschlechter gleich häufig, mit einem Inzidenzgipfel im mittleren Alter. Diese einseitige Gesichtslähmung von der zentralen Form als Zeichen für einen Prozess im Hirnstamm abzugrenzen, fällt leicht: Eine zentrale Parese lässt die Stirnregion aus. Was aber kann hinter einer glatten Stirn, hängendem Mundwinkel und inkomplettem Lidschluss samt Bell-Phänomen stecken?

Beidseitige Parese deutet auf Neuroborreliose

Zunächst gilt es, zwischen der idiopathischen und der sogenannten symptomatischen Form mit spezifischer Ursache zu unterscheiden. Dabei helfen klinische Auffälligkeiten (s. Tabelle). Meist entwickelt sich die mimische Schwäche nachts binnen mehrerer Stunden, schreiben PD Dr. Oliver Kastrup und Dr. Jana Becker­ von der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie, Philippusstift Essen.

Unter den peripheren Fazialisparesen trifft man am häufigsten auf die idiopathische Lähmung. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um eine Reaktivierung einer in der Kindheit durchgemachten Herpes-simplex-Typ-1-Infektion. Das Virus bleibt im Ganglion geniculi i.d.R. lebenslang latent, so die Autoren. Zu den spezifischen Auslösern zählen:

  • traumatische Läsion (bei Felsenbeinfraktur)
  • Tumoren: Akustikusneurinom, Felsenbeinmeningeom, maligne Karzinominfiltration etc.
  • entzündliche Läsion, z.B. Multiple Sklerose, Granulominfiltration bei Sarkoidose
  • Infektion: Borreliose, Syphilis, Tuberkulose, HIV, Varizella-Zos­ter-Virus(VZV)-Reaktivierung

Eine beidseitige Parese bzw. ein ipsi- oder kontralaterales Rezidiv sollte den Verdacht auf eine Neuroborreliose wecken. Als obligat im Rahmen der klinisch-neurologischen Untersuchung bezeichnen die Kollegen die Otoskopie. Bläschen im äusseren Gehörgang und Ohrschmerzen entlarven den Zoster oticus als Übeltäter (Ramsay-Hunt-Syndrom).

Steroidgabe sofort starten und zehn Tage fortführen

Der Schweregrad der Lähmung lässt sich mit der House-Brackmann-Skala quantifizieren. Besonders relevant ist die wiederholte Fazialisneurographie, um distale motorische Latenz und Amplitude zu bestimmen. Dabei empfiehlt sich eine standardisierte Testung an den Tagen 1, 5 und 14. Die Elektromyographie sagt etwas über den axonalen Schaden aus. Kernspin und CT dienen eher der Ausschlussdiagnostik.

Deutsche wie internationale Leitlinien halten die Lumbalpunktion nicht für zwingend erforderlich. Die Indikation sollte man jedoch grosszügig stellen – vor allem, um VZV-Reaktivierung und Neuroborreliose zu erkennen, fordern die Experten. Ohne eine Liquoruntersuchung würden ca. 10 Prozent der peripheren Fazialisparesen zu Unrecht als idiopathisch eingestuft.

Therapeutisch zählt der rasche Start der Steroidgabe, am besten unmittelbar nach der Diagnose und während der ersten 72 Stunden. Infrage kommen Prednisolon (2 × 25 mg/d) über zehn Tage oder Methylprednisolon (1 mg/kgKG) über fünf Tage mit anschliessendem Ausschleichen über fünf Tage. Neben dem antiinflammatorischen Effekt verhindert die Behandlung womöglich auch Spätkomplikationen.

Tränenersatz und Verband bei inkomplettem Lidschluss

Obwohl der idiopathischen Form am ehesten eine Herpes-simplex-Reaktivierung zugrunde liegt, spielen Virustatika erst in der Therapie spezifischer Ursachen eine Rolle. Beim Ramsay-Hunt-Syndrom eignet sich z.B. Aciclovir (3× täglich 10 mg/kgKG i.v. oder 5× täglich 800 mg oral) über sieben Tage plus (Methyl-)Prednisolon. Der Verdacht auf eine Neuroborreliose sollte eine empirische Behandlung mit Ceftriaxon 2 g/d i.v. nach sich ziehen, bis zur endgültigen Diagnose in Kombination mit Steroiden.

Wichtig für das funktionelle Outcome sind mimische Bewegungs­übungen. Das Training beschleunigt zudem die Regeneration. Bei inkomplettem Lidschluss empfehlen die Autoren neben augenärztlichen Kontrollen tagsüber Tränenersatzflüssigkeit und nachts einen Uhrglas­verband und Dexpanthenol.

Idiopathische Lähmungen verschwinden in 80 % der Fälle komplett. Bis zur Rückbildungen vergeht mitunter ein Jahr. Hinweise auf die Erholungschanchen liefert die Fazialisneurographie. Darüber hinaus gehen initial inkomplette Paresen und solche, die sich innerhalb der ersten drei Wochen bessern, mit einer guten Prognose einher. Faktoren wie Diabetes und verminderter Speichelfluss hingegen deuten eine schlechtere Genesung an. Defizite, die länger als ein Jahr persistieren, werden wohl weiterhin bestehen. In diesen Fällen können plastisch-chirurgische Rekonstruktionen Abhilfe schaffen.

Klinische Hinweise auf wichtige Fazialisparesen

idiopathischbei Zoster oticusals Radikulopathiebei Tumorer-krankungzentral
  • Geschmacksstörung
  • Hyperakusis
  • verminderte Tränen­sekretion
  • pathologische motorisch-evozierte Potentiale
  • Bläschen im Gehörgang
  • Ohrenschmerzen
  • pathologische motorisch evozierte Potentiale
  • positive VZV-Serologie
  • bilaterale Fazialisparese oder auf der der Gegenseite subklinische motorisch evozierte Potentiale
  • weitere Hirnnervenausfälle
  • keine Geschmacks-störung
  • langsame Progredienz
  • Schmerzen
  • Hypakusis
  • weitere fokale neuro­logische Defizite
  • vaskuläres Risikoprofil

Quelle: Kastrup O, Becker J. InFo Neurologie & Psychiatrie 2019; 21: 26–30.