Medical Tribune
3. Nov. 2017

Herz-Lungen-Maschine als Keimschleuder

Dr. Stefan Erb vom Universitätsspital Basel und Kollegen warnen vor potenziell fatalen, invasiven Infektionen mit dem zum Mycobacterium-avium-Komplex gehörenden M. chimaera. Diese manifestieren sich nach Eingriffen am offenen Herzen und vieles deutet darauf hin, dass der nichttuberkulöse Erreger aus kontaminiertem Wasser von Temperaturregulierungsgeräten (Heater Cooler Unit, HCU) der Herz-Lungen-Maschine stammt. Man geht davon aus, dass er während der Operation mittels Aerosolen durch die Luft auf den Patienten übertragen wird. Das Risiko einer solchen Infektion scheint in erster Linie mit der Implantation von Fremdmaterial assoziiert zu sein. Eine Kasuistik verdeutlicht die Problematik:

Der Fall
Über mehrere Monate baute der 66-jährige Landwirt körperlich immer mehr ab. Wegen Schwäche, trockenem Husten, Gewichtsabnahme von etwa 12 kg und Nachtschweiss wurde er schliesslich stationär eingewiesen. Drei Jahre zuvor hatte er einen kompletten Aorta-ascendens-Ersatz und eine biologische Aortenklappe erhalten. Ausser einem Systolikum über dem Erb’schen Punkt, einem Puls von 110/min bei leichter Hypotonie und einer am Rippenbogen tastbaren Milz ergab die körperliche Untersuchung des fieberfreien Patienten keine Besonderheiten. Im Labor fielen Panzytopenie, erhöhter Kreatininwert und leicht erhöhtes CRP auf, der Urinbefund signalisierte eine gemischt glomeruläre und tubuläre Proteinurie.
Die Kollegen vermuteten eine subakute Endokarditis, doch konnten echokardiografisch weder Vegetationen auf der Aortenklappenprothese noch andere Endokarditiszeichen festgestellt werden. Mehrere aerobe und anaerobe Standardblutkulturen blieben steril. Nun folgte eine umfangreichere Diagnostik mittels verschiedener bildgebender Verfahren, Knochenmark- und Nierenbiopsie sowie einer Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage. Diese ergab eine schwere Lymphozytose mit erhöhtem CD4/CD8-Quotienten. In der Ziehl-Neelsen-Färbung fanden sich keine säurefesten Stäbchen, die PCR auf Mycobacterium-tuberculosis-Komplex war negativ.

Mit Sarkoidose zunächst auf falscher Fährte

Aufgrund des erhöhten CD4/CD8-Quotienten, des radiologischen Lungenbefunds (diskrete retikulo-noduläre Infiltrate perihilär rechts) und der Nierenbiopsie (diffuse tubulointerstitielle Nephritis mit zahlreichen nichtverkäsenden Epitheloidzellgranulomen ohne Nachweis säurefester Stäbchen) bestand nun der hochgradige Verdacht auf eine Sarkoidose. Daher leiteten die Kollegen eine Therapie mit 50 mg/d Prednisolon ein. Darunter besserte sich der Allgemeinzustand des Patienten und auch die Nierenfunktion erholte sich innerhalb von Tagen.
Knapp vier Wochen nach Abnahme der ersten Mykobakterien-Blutkulturen zeigte sich plötzlich ein Wachstum nichttuberkulöser Mykobakterien. Mithilfe der Gensequenzierung wurde M. chimaera nachgewiesen. Inzwischen hatte der Ophthalmologe bei dem Patienten eine Chorioretinitis mit multifokalen Herden diagnostiziert. Der Mann litt also gar nicht an einer Sarkoidose, sondern an einer disseminierten M.-chimaera-Infektion mit septischen Streuherden in Nieren, Knochenmark, Milz und Augen.
Nach Resistenzprüfung wurde er mit Clarithromycin, Ethambutol, Rifabutin und Moxi­floxacin behandelt und das Prednisolon langsam ausgeschlichen. Zwei Monate später unterzog sich der Patient einer erneuten Herz-OP, bei der alle Implantate entfernt und durch ein Homograft mit Aorta ascendens und Aortenklappe ersetzt wurden. In dem thrombotischen Material, das an der explantierten Klappenprothese haftete, liessen sich massenhaft säurefeste Stäbchen nachweisen. Die antimykobakterielle Behandlung wird nun für mindestens zwölf Monate nach der OP fortgesetzt.
Weltweit sind mittlerweile mehr als 70 Fälle von Infektionen mit M. chimaera bekannt, die Mortalität ist mit bis zu 50 % hoch. Auf Druck vieler Gesundheitsbehörden haben die Hersteller Unterhalt und Desinfektion der HCU intensiviert. Aufgrund der langen Latenz zwischen Infektion und Krankheitsmanifestation – bis zu fünf Jahre – sei noch mit weiteren, bis dato unerkannten Fällen zu rechnen.

Erb S et al. Schweizerisches Medizin-Forum 2017; 17: 434–437.