Medical Tribune
21. Juni 2017Symptomen des unteren Harntraktes

So klären Sie, ob die Schotten dicht sind

Schätzungen zufolge leidet mehr als die Hälfte der Männer über 50 Jahren unter Symptomen des unteren Harntraktes (Lower Urinary Tract Symptoms, LUTS). Besonders häufig trifft es Patienten mit metabolischem Syndrom, schreibt ein multidisziplinäres Team um Maria Vedanayagam, Urologin am Darent Valley Hospital im britischen Dartford. Bei der Abklärung steht die Anamnese an erster Stelle. Fragen Sie den Patienten, ob er einen verlangsamten Harnfluss bemerkt hat, bis zum Beginn der Miktion länger braucht oder sich anstrengen muss, die Blase zu entleeren. Anhand der Angaben lassen sich die Beschwerden in Speicher-, Entleerungs- und Postmiktionssymptome einteilen:

Entleerungssymptome sind üblicherweise auf eine Obstruktion, insbesondere eine benigne Prostatavergrösserung, zurückzuführen. Aber auch Harnröhrenstrikturen, Meatusstenosen, Phimosen oder mangelnde Detrusorkontraktilität können sie auslösen. Isolierte Speichersymptome sind meist die Folge einer überaktiven Blase. Typisch ist der plötzliche Harndrang mit Urinverlust, falls der Betroffene dem Drang nicht unmittelbar Folge leistet. Eine vergrösserte Prostata kann zu einer Kombination von Entleerungs- und Speicherdefiziten führen. Ein Nachtröpfeln entsteht durch eine unvollständige Entleerung der Urethra (Postmiktion).

Vergrösserte Prostata entspricht Golfball

Wichtige Hinweise gibt zudem die Dauer der Beschwerden: Ein plötzlicher Beginn spricht eher für einen Harnwegsinfekt oder ein Blasenkarzinom. Dysurie und peniler Ausfluss können von sexuell übertragbaren Krankheiten herrühren, die sich ebenfalls oft mit Symptomen des unteren Harntraktes melden.
Zur Untersuchung der Prostata empfehlen die Autoren primär die digitale rektale Palpation:

Eine vergrösserte Drüse wiegt mehr als 30 g und hat damit etwa die Grösse eines Golfballs. Mit einer genitalen Untersuchung lassen sich Meatusstenose und Phimose ausschliessen. Eine palpable Harnblase spricht für eine Retention. Falls neben Speicher­symp­tomen auch periphere Ödeme vorliegen, ist eine kardiale Ursache auszuschliessen. Der Verdacht auf eine neurogene Störung ist entsprechend abzuklären.

Einen wichtigen Stellenwert hat die Labordiagnostik: Nitrit und Leukozyten im Urin-Stix sprechen für eine Infektion, die mittels Kultur gesichert wird. Blut kann ebenfalls auf eine Infektion, aber auch auf ein Malignom hinweisen, Glukose auf einen Diabetes. Ein Tagebuch zu Flüssigkeitsaufnahme und Koffeingenuss hilft eventuell, Trigger für eine Blasenüberaktivität zu identifizieren. Ein Entleerungsprotokoll erleichtert die Abklärung von Nykturie und Speichersymptomen.
Bei folgenden Konstellationen eignet sich ein PSA-Test:

  • Symptome, die auf eine benigne Prostatavergrösserung hindeuten
  • Malignomverdacht aufgrund der rektalen Palpation
  • Krebsfurcht aufseiten des Patienten

Sofern keine Harnwegsinfektion besteht, kann ein erhöhter PSA-Spiegel für ein Prostatakarzinom sprechen. Besonders brisant ist das Zusammentreffen von Gewichtsverlust und Knochenschmerz mit erhöhtem PSA oder pathologischem Tastbefund. Diese Kombinationen wecken Verdacht auf ein bereits fortgeschrittenes Karzinom.

Mit Anticholinergika wieder auf dem Trockenen sitzen

Stören Patienten die Beschwerden, ist eine Therapie indiziert. Bei mittelschweren bis schweren Symptomen (IPSS* > 7), aber normal grosser Prostata empfehlen die Autoren Alphablocker. Nachteil: Sie können eine reduzierte Ejakulation bzw. Anejakulation und eine posturale Hypotension auslösen.
Für Patienten mit IPSS > 7 und vergrösserter Prostata eignet sich die Kombination von Alphablockern und 5α-Reduktasehemmern. Milde Beschwerden bei vergrösserter Pros­tata (IPSS < 8) sollten mit einem 5α-Reduktasehemmer behandelt werden, was jedoch mit reduzierter Libido und erektiler Dysfunktion einhergehen kann. Gegen Speichersymptome helfen Anticholinergika, die trockene Augen, Mund und Verstopfung sowie vor allem bei älteren Patienten Verwirrtheit auslösen können. Falls sie nicht anschlagen, ist die Gabe von Beta-3-Agonisten möglich. Hierbei besteht das Risiko einer Tachykardie.

*International Prostate Symptom Score

Vedanayagam M et al. BMJ 2017; online first.