Medical Tribune
12. Mai 2017skin picking

Erst die kranke Psyche, dann die Narben auf der Haut behandeln

Bei der Dermatotillomanie handelt es sich um eine Überreaktion auf vorhandene oder eingebildete Hautveränderungen, vor allem im Gesicht, schreiben Professor Dr. Alexander A. Navarini von der Dermatologischen Klinik des UniversitätsSpitals Zürich und Professor Dr. ­Undine E. Lang von den Universitären ­Psychiatrischen Kliniken Basel. Wie die Kollegen berichten, weisen gut 5 % der Bevölkerung diese Störung auf, in dermatologischen Praxen etwa 2 % der Patienten.

Sogar ohne Sichtkontakt wird stundenlang geknibbelt

Betroffene versuchen ihre Haut mit den Fingern und ggf. auch diversen Werkzeugen zu reinigen. An noch nicht verheilten Wunden wird herumgekratzt und gedrückt. Selbst ohne direkten Sichtkontakt – z. B. am Steuer eines Autos oder vor dem Fernseher – manipulieren die Erkrankten, zumeist sind es junge Frauen, an ihrer Haut. Dabei kann die krankhafte «Pfriemelei» an der Haut stundenlang anhalten. Sie entzieht sich der bewussten Kontrolle, die dabei hervorgerufenen Schmerzen werden nur eingeschränkt wahrgenommen.

Typischerweise manifestiert sich die Dermatotillomanie mit persistierenden erythematösen Flecken sowie Krusten und Exkoriationen. Im Gegensatz zur Acne vulgaris finden sich kaum Papulopusteln und Komedonen. Neben dem Gesicht können auch der Oberkörper und sogar der Rücken betroffen sein. Bei Letzterem bleibt die interskapuläre Region mangels Erreichbarkeit meist ausgespart. In schweren Fällen kann es sogar lebensgefährlich werden: In der Literatur wurde über eine Patientin berichtet, die sich bis in das Gehirn vorarbeitete – Hemiparese, Gedächtnisverlust und Inkontinenz waren die Folge. Eine andere Frau erlitt einen epiduralen Abszess, eine dritte legte in ihrem Manipulationsdrang die Arteria carotis frei.
Die Dermatotillomanie ist eine Impulskontrollstörung ähnlich der bekannteren Trichotillomanie, dem zwanghaften Haareausreissen, dem pathologischen Spielen oder auch der Kleptomanie. Die Patienten wissen um die Sinnlosigkeit ihrer Manipulationen. Sie können dem Trieb jedoch nicht widerstehen. Während der Handlung kommt es zu einem Gefühl der Befriedigung, danach folgen eventuell Selbstvorwürfe und Schuldgefühle. Ähnlichkeiten bestehen auch zu Suchterkrankungen (Abstinenzunfähigkeit, Kontrollverlust), entsprechend findet sich die Dermatotillomanie nicht selten als Komorbidität bei Drogenabhängigen.

Fingernägel ab, Spiegel weg!

Die übliche Aknetherapie mit Benzoylperoxid, Antibio­tika und Retinoiden ist bei der Dermatotillomanie natürlich wirkungslos. Zwar wird die Erkrankung auch «Acné excoriée» genannt, aber mit Akne hat sie nichts zu tun. Das wichtigste Therapieziel besteht darin, die selbst zugeführten Hautschäden möglichst gering zu halten. Dabei helfen schon einfache Massnahmen, beispielsweise die Fingernägel sehr kurz zu halten (ohne weissen Rand) und auf Spiegel in der Wohnung weitgehend zu verzichten. Sinnvoll ist auch eine Aufklärung, dass z. B. sichtbare Follikelöffnungen an der Nase völlig normal sind und jedes blutige Ausquetschen zu Narben führt.

Unter den psychischen Verfahren hat sich vor allem die kognitive Verhaltenstherapie bewährt. Sie dient der Wiedererlangung der Kontrolle über das eigene Verhalten. Die Patienten lernen, in Stresssituationen die Anspannung bewusst zu reduzieren, damit es nicht zu einem Dermatotillomanie-Schub kommt.

Mit Psychopharmaka zu besserem Hautbild

Pharmakologisch empfehlen die Autoren in erster Linie Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, als Beispiele nennen sie Escitalopram, Venlafaxin und Sertralin. Allerdings, so konzedieren die Kollegen, seien die SSRI in dieser Indikation noch nicht ausreichend untersucht worden. Erkrankungen mit wahnhafter Komponente hätten in Einzelfällen auf Neuroleptika wie Risperidon und/oder Olanzapin angesprochen.
Sobald die zwanghafte Schädigung kontrolliert ist, folgt die Behandlung der störenden Hautveränderungen. Bei atrophen Narben eignen sich z. B. ein chemisches Peeling oder eine (Mikro-)Dermabrasion. Einzeln stehende Narben können ggf. mittels Stanzexzision entfernt werden. Gegen hypertrophe Narben helfen z. B. intraläsionale Steroidinjektionen, Kryotherapie und Silikongels. Als neues Verfahren nennen die Kollegen z. B. den Fractional Laser. Aber eines stellen sie klar: Eine Restitutio ad integrum ist kaum zu erreichen.

Navarini A, Lang UE. Swiss Medical Forum 2017; 17: 161–164.