Medical Tribune
4. Sept. 2013Wie können Sie das Schmerz-Syndrom sicher diagnostizieren?

Fibromyalgie: Schmerzskizze zeichnen lassen

Rückenschmerzen, zervikal oder lumbal, in einigen Fällen auch schmerzhafte Kiefergelenke – das sind typische Frühsymptome des Fibromyalgie-Syndroms (FMS). Erst im Verlauf von Monaten bis Jahren weitet sich der Schmerz aus, berichten Professor Dr. André G. Aeschlimann von der RehaClinic Bad Zurzach und seine Kollegen.

Die Beschwerden und daraus resultierende Beeinträchtigungen persistieren meist ein Leben lang. Die Chronifizierung treibt Betroffene an, medizinische Dienstleistungen oft zu beanspruchen. Viele Arztbesuche und diagnostische sowie therapeutische Massnahmen sind die Folgen – darunter auch unnötige Diagnostik und ineffiziente Behandlungen.

Schmerzskizze anfertigen lassen!

Zu den Kernsymptomen der Fibromyalgie gehören:

  • chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen,
  • Schlafstörungen bzw. ein nicht erholsamer Schlaf,
  • Müdigkeit bzw. Erschöpfung (körperlich und/oder geistig).

Mithilfe einer vollständigen körperlichen Untersuchung erfasst man zunächst Lokalisation und Ausdehnung der Schmerzen. Dazu ein Tipp der Experten: Die Patienten selbst sollten eine Schmerzskizze anfertigen.

Nach emotionalen Stressfaktoren fahnden

Eine sorgfältige Sozialanamnese und das Aufspüren von Stressfaktoren, etwa Unzufriedenheit am Arbeitsplatz oder emotionale Belastungen, sind ebenfalls unverzichtbar. Als weitere diagnostische Bausteine gelten Medikamentenanamnese und gezielte Laboruntersuchungen (siehe Kas­ten) sowie ggf. bildgebende Verfahren.

Labordiagnostik bei Fibromyalgie-Verdacht:

  • Blutsenkung, CRP-Wert
  • Differenzialblutbild, ggf. Ferritin
  • Leber- und Nierenparameter
  • TSH
  • Kalzium, Vitamin-D-Spiegel
  • Rheumafaktoren
  • HCV, HBV, HIV
    (nach Rücksprache mit Patienten)

Wichtige Differenzialdiagnosen:

  • entzündlich-rheumatische Erkrankungen: Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis, Sjögren-Syndrom u.a.  
  • Infektionen: beispielsweise Hepatitis B und C, Borreliose, Epstein-Barr-Virus, Parvovirus B19
  • Neoplasien: multiples Myelom, Lymphom, metastasierende Karzinome  
  • endokrinologische Erkrankungen: Vitamin-D-Mangel, Hyperparathyreoidismus, Hypothyreose, Autoimmun-Thyreoiditis  
  • unerwünschte Arzneimittelwirkungen: z.B. Statine, Aromatase-Hemmer   psychiatrische Erkrankungen: z.B. Angststörung, Depression, ADHS

Als funktionelle Störung zeigt das Fibromyalgie-Syndrom grosse Überlappungen mit anderen Erkrankungen. Wichtigste Differenzialdiagnosen sind z.B. entzündlich rheumatische Leiden und Infektionen (siehe Kasten).

Begleiterkrankungen beachten

Falls Patienten befürchten, einen malignen Tumor zu haben, sollte man darauf gewissenhaft eingehen. Klinisch zeigen Fibromyalgie-Patienten häufig Begleiterkrankungen.

Affektive Störungen finden sich mit einer Rate von 30–80 % und posttraumatische Belastungsstörungen in 30–60 % der Fälle, so Studiendaten.

Auch für Angst- und Ess-Störungen, Substanzmissbrauch sowie Borderline-Persönlichkeitsstörungen sind die Komorbiditätsraten erhöht.

Frauen erkranken öfter

Generell erkranken Frauen deutlich häufiger als Männer: Die Prävalenz beträgt etwa 3,5 % vs. 0,5 %. Erbliche Faktoren, z.B. Veränderungen im Serotoninstoffwechsel, scheinen bei der Entwicklung der Fibromyalgie eine Rolle zu spielen. Aber auch frühe Traumen und psychosozialer Stress können die Stress-Vulnerabilität erhöhen.

Als weitere, ätiologisch relevante Faktoren, die zu Veränderungen der Schmerzwahrnehmung (Hyperalgesie, Hyperästhesie) führen können, gelten Infekte, degenerative Veränderungen oder belastungsbedingte Reizzustände am Bewegungsapparat und physikalische Stressoren wie Kälte, Nässe, Lärm und Licht!

Da das Fibromyalgie-Syndrom als funktionelle Störung auf körperliche und/oder psychische Belastungen des Patienten hinweist, basiert das therapeutische Vorgehen auf unterschiedlichen Ansätzen, betonen die Kollegen.

Ausführliche Aufklärung baut Ängste ab

Betroffene sollten über die Symptomatik der Fibromyalgie und physiologische Zusammenhänge zwischen körperlichen und psychischen Aspekten aufgeklärt werden. So lassen sich Ängste und Tendenzen zur Katastrophisierung abbauen.

Ausserdem ist eine physiotherapeutische Anleitung wichtig, damit die Patienten ihre Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer verbessern können. Als hilfreich haben sich in Fibromyalgie-Studien Nordic Walking und Tai Chi erwiesen.

Psychotherapie empfohlen

Das Erlernen von Copingstrategien scheint vorrangig, um den Umgang mit relevanten Belastungen zu verbessern. Empfohlen werden generell psychotherapeutische Massnahmen, insbesondere kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren und spezielle Schulungsprogramme.

Als medikamentöse Therapie sind gegebenenfalls Analgetika und Antidepressiva, z.B. Amitriptylin und Duloxetin zu erwägen (genauere Informationen finden sich in den Leitlinien). 

* mehr zu Definition, Klassifikation und Therapie siehe: www.dgppn.de

Quelle: André G. Aeschlimann et al., Schweiz Med Forum 2013; 13: 517-521