Medical Tribune
28. Feb. 2023Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz

Prof. Dr. Christian Müller: das Herz im Zentrum

Mehrere Dutzend Studien, in denen das Herz im Mittelpunkt steht, werden aktuell im Cardiovascular Research Institute Basel (CRIB) durchgeführt. Die oberste Verantwortung dafür trägt Professor Dr. Christian Müller. Der 54-Jährige betreut im Universitätsspital Basel zahlreiche Nachwuchskräfte und zählt weltweit zu den meistzitierten Medizinern seines Fachs. Einen zentralen Stellenwert in der Forschung nehmen bei ihm medizinische Fragestellungen im Zusammenhang mit der akuten Herzinsuffizienz und dem akuten Myokardinfarkt ein.

Prof. Dr. Christian Müller
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Prof. Christian Müller - Chefarzt Stationäre Kardiologie / Klinische Forschung, Universitätsspital Basel

Mitbegründer und Direktor des Cardiovascular Research Institute (CRIB), Mitglied mehrerer Expertengremien, Präsident des GREAT-Forschungsnetzwerks, Gutachter zahlreicher renommierter Zeitschriften wie Lancet, New England Journal of Medicine sowie Nature, mehrfacher Preisträger, Autor von über 1000 Publikationen in Fachzeitschriften mit Peer-Review: So lauten ein paar Eckdaten von Prof. Christian Müller, Chefarzt Stationäre Kardiologie und Klinische Forschung am Universitätsspital Basel.

Und er ist einer der meistzitierten klinischen Forscher seines Fachs, gilt es noch anzufügen. Der 54-Jährige gehört zum kleinen Kreis von genau einer Handvoll Mediziner in der Schweiz, die unter den Top-1-Prozent figurieren, was die Zitierung von wissenschaftlichen Publikationen betrifft. Dass er auf diese Wertung sehr stolz ist, versteht sich von selbst.

In Kürze

Prof. Müller wurde 1968 in Augsburg geboren. Er studierte Medizin und schloss das Studium mit einer Dissertation über ein Thema des Herz-Kreislauf-Systems ab. Die nächsten Stationen des verheirateten, zweifachen Familienvaters waren das Herzzentrum Bad Krozingen und die Mitarbeit bei Prof. Hodgson an der Case Western Reserve University in Cleveland (USA). Danach wechselt er ans Universitätsspital Basel und war dort an der Klinik für Innere Medizin, der Klinik für Intensivmedizin und der Klinik für Kardiologie tätig. Der heutige Chefarzt Stationäre Kardiologie und Klinische Forschung am Universitätsspital Basel verfügt über drei Facharzttitel (Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin).

Zwei prägende Momente für die Karriere

«Letztlich waren für meine Karriere zwei Momente prägend», erzählt der in München und Augsburg aufgewachsene Forscher bei einem Gespräch im Café des Universitätsspitals Basel. Der erste betrifft das Buch «Sternstunden der Menschheit» von Stefan Zweig, das dem Mediziner – obwohl laut eigenen Aussagen keine Leseratte – Eindruck hinterlassen hat. Im Kern geht es in Zweigs Geschichten darum, dass manchmal Zufallsentscheidungen oder zufällige Ereignisse zum richtigen Zeitpunkt dem Leben eine bestimmte Richtung geben können.

Im Leben von Prof. Müller spielte sich ein solches Ereignis ab, das ist das zweite Moment. Nach seinem Wechsel vom Herzzentrum Bad Krozingen (1995–1999) ans Universitätsspital Basel arbeitete er an einer Studie, von deren Qualität er restlos überzeugt war. Das Thema drehte sich um Patientinnen und Patienten, welche mit akuter Atemnot die Notfallstation aufsuchen müssen. Prof. Müller ging der Frage nach, wie es möglich ist, schneller herauszufinden, ob die Atemnot eher durch eine Herz- oder eine Lungenerkrankung ausgelöst wird.

Bei führender Fachzeitschrift abgeblitzt

Doch mit seinem Antrag für eine Publikation in einer führenden Fachzeitschrift blitzte er ab, sogar schon bei der internen Beurteilung der Zeitschrift. Der junge Arzt verstand die Welt nicht mehr und pochte auf eine fundierte Prüfung. «Der Editor der Zeitschrift hatte die Veröffentlichung ohne externe Begutachtung abgelehnt», erinnert er sich.

Seine Hartnäckigkeit zahlte sich aus und erst noch zum richtigen Zeitpunkt; nämlich just bei seiner Bewerbung beim Schweizerischen Nationalfonds um eine Förderprofessur. «Die Annahme im sehr renommierten New England Journal of Medicine kam mir natürlich sehr gelegen. Sie war ein ‹Hammerbooster› für meine akademische Karriere.»

Der «Lohn», unter anderem: eine Förderprofessur des Schweizerischen Nationalfonds, die ihm die Möglichkeit verschaffte, seine eigene Forschungsgruppe aufzubauen und mit dieser weitere wichtige Fragestellungen in der Herzmedizin zu beantworten. Damit war sein beruflicher Weg vorgezeichnet.

Die positive Entwicklung in eigener Sache war eine Inspiration zur Nachahmung: Geeignete Nachwuchskräfte bei ihrer eigenen Karrierelaufbahn zu unterstützen, steht bei ihm schon jahrelang hoch im Kurs. Mehrere der Geförderten haben es auch schon zu höheren Weihen gebracht und sind heute selber Inhaber von Lehrstühlen.

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Prof. Christian Müller betreut am Universitätsspital Basel zahlreiche Nachwuchskräfte.

Zugespitzte Aussage mit Folgen

Nicht nur Medienleute, sondern auch Forscher versuchen sich mit Schlagzeilen immer wieder ins Gespräch zu bringen. Bei einem hochsensiblen Thema wie Corona kann eine zugespitzte Aussage allerdings auch schnell einmal eine grosse Verunsicherung auslösen.

Diese Erfahrung musste Prof. Müller vor Kurzem machen. Er war der Leiter einer Studie, die in der breiten Öffentlichkeit, aber auch in Fachkreisen viel zu reden gab. Untersucht wurde das Blut von fast 800 Mitarbeitenden im Universitätsspital Basel, und zwar drei Tage nach der Booster-Impfung.

Bei 2,8 Prozent der Teilnehmenden wurden leichte Herzmuskelschäden festgestellt: So lautete die Kern­information der Forscher, welche die Medien sofort schlagzeilenträchtig übernahmen. Messgrösse zur Eruierung von Herzmuskelzellschäden war in dieser Corona-Studie das kardiale Troponin. Je höher dieser Wert, desto mehr Herzmuskelzellen sind geschädigt.

Prof. Müller: «Die öffentliche Reaktion habe ich unterschätzt»

Prof. Müller musste sich im Nachgang der Medienmitteilung etliche Kritik anhören, so etwa, dass er eine bereits vorhandene Impfskepsis zusätzlich befeuern würde, obwohl er das keineswegs im Sinn hatte, und man die Resultate auch nicht überbewerten sollte. Sich selbst outet er als klarer Impfbefürworter. Bei einer Infektion mit dem Corona-Virus sei die Gefahr einer Herzmuskelschädigung zudem weitaus grösser als bei einer Impfung, gibt er sich überzeugt. «Die öffentliche Reaktion habe ich aber unterschätzt», räumt er selbstkritisch ein.

Kardiales Troponin als Forschungsthema

Das erwähnte kardiale Troponin spielte auch in einem Forschungsprojekt, das von ihm rückblickend besonders positiv hervorgehoben wird, eine wichtige Rolle. Besteht bei Patienten mit starken Thoraxschmerzen der Verdacht auf einen akuten Myokardinfarkt, ist eine schnelle Diagnose unter Umständen lebensrettend. Die Erstuntersuchung basiert auf einer möglichst genauen Befragung der Patienten über die gefühlten Schmerzen sowie einem EKG.

Ein ergänzender Bluttest mit dem hochsensitiven Marker kardiales Troponin ermöglicht laut Prof. Müller sehr aussagekräftige, zuverlässige Rückschlüsse über die körperlichen Beschwerden. «Dank der neuen Methode mit dem Marker kann zudem wertvolle Zeit gewonnen werden; nicht nur, um sofort mit der Behandlung anzufangen, sondern auch zur Beruhigung von Patienten.» Einem kleinen Forscherteam im Universitätsspital Basel war damit ein grosser Durchbruch gelungen.

Geschlechterunterschiede richtig werten

Bei einem Herzinfarkt unterscheiden sich die Symp­tome je nach Geschlecht. Das häufigste Symptom ist dabei sowohl bei Frauen als auch bei Männern ein plötzlicher starker drückender oder brennender Schmerz im Brustkorb. Bei beiden Geschlechtern, und noch häufiger bei Frauen, kann sich ein Herzinfarkt aber auch mit anderen Beschwerden wie zum Beispiel Schwäche oder Kurzatmigkeit zeigen.

Wie diese Geschlechtsunterschiede zur bestmöglichen Frühdiagnose des Herzinfarktes gerade auch bei Frauen genutzt werden können, ist ein weiterer Forschungs-Schwerpunkt von Prof. Müller.

«Zwei herausragende junge Ärztinnen aus meinem Team nutzen momentan die Daten der weltweit grössten Studie zum Thema Frühdiagnose des akuten Myokardinfarkts und erarbeiten evidenzbasierte Antworten zu diesem wichtigen Problem. Es hat sich gezeigt, dass es ein Fehler ist, immer nur die Unterschiede zu betonen», moniert er. Gerade für die optimale Interpretation von kardialen Troponin-Konzentrationen in der Herzinfarkt-Diagnostik sei es wichtig, auch das Alter der Patienten und Patientinnen zu berücksichtigen.

Aufgrund der Ergebnisse von Prof. Müller hat die Fachgesellschaft ihre Empfehlungen angepasst

«Da Frauen mit Verdacht auf akuten Herzinfarkt auf der Notfallstation im Schnitt um acht Jahre älter sind als die Männer, hat sich gezeigt, dass bei Frauen und Männern die genau gleichen kardialen Troponin-Konzentrationen in der Herzinfarkt-Diagnostik verwendet werden sollen.» Aufgrund der Basler Ergebnisse hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie ihre Empfehlungen entsprechend angepasst. «Die beste Medizin ist hier die gleiche Vorgehensweise bei Frauen und Männern», gibt sich Prof. Müller überzeugt.

Forschungsthema-Wechsel: Rund ein bis zwei Prozent der Notfall­einweisungen im Spital gehen auf Synkopen zurück. Im Rahmen verschiedener vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützter Projekte arbeitet eine Forschergruppe unter der Leitung von Prof. Müller an der Frühdiagnostik solcher Patienten.

Ein weiteres Gebiet, dem sich der umtriebige Herzmediziner widmet: Im Rahmen einer OP, die nicht am Herzen stattfindet, könnten kleinere Herzinfarkte entstehen. «In einem interdisziplinären Forschungsprojekt, u.a. mit Chirurgen und Anästhesisten, gehen wir den Ursachen nach.» Letztlich drängt sich eine Güterabwägung mit einem Nutzen-/Risikovergleich auf, ob eine Operation durchgeführt oder auf sie verzichtet werden soll, so Prof. Müller.

Im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten in der Forschung

Welchen Stellenwert die medizinische Forschung hat und welche (hohen) Erwartungen die Bevölkerung in sie setzt, hat man am Beispiel der Covid-19-Pandemie eindrücklich gesehen. Medical Tribune portraitiert hier in loser Folge Ärztinnen und Ärzte aus der Schweiz, die auf einem interessanten medizinischen Gebiet Forschungsarbeit im Dienste von Patientinnen und Patienten leisten.