Medical Tribune
18. Nov. 2022Antibiotika lang genug und so kurz wie möglich einsetzen

Harnwegsinfekte bei Kindern richtig behandeln

Antibiotika werden bei kleinen Kindern mit einem Harnwegsinfekt zu häufig, zu lange und mit einem zu breiten Erregerspektrum eingesetzt. Umso wichtiger ist es, den Grund von wiederkehrenden Harnwegsinfekten zu identifizieren und Antibiotikagaben richtig zu planen.

Nahaufnahme der Beine eines Kleinkindes auf dem Töpfchen, das mit Bauklötzen spielt
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Bei Kindern ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sich hinter Fieber ohne Fokus ein Harnwegsinfekt (HWI) verbirgt, sagt Dr. Christian Kahlert, Leitender Arzt Infektiologie im Ostschweizer Kinderspital St. Gallen*. Insbesondere in den ersten ein bis zwei Lebensjahren ist daher ein HWI immer auszuschliessen.

Nicht jedes Kind, das Fieber hat, braucht eine antibiotische Therapie. Generell kommen Antibiotika zu häufig, mit einem zu breiten Spektrum und zu lange zum Einsatz, betont der Experte. Nur bei Verdacht auf einen HWI und nach einer rationalen Diagnostik sollte eine Antibiotia-Behandlung erfolgen. Ein kürzlich veröffentlichtes Schweizer Konsenspapier (1) enthält konkrete Empfehlungen zum Einsatz von Antibiotika in der Pädiatrie.

Zum Goldstandard gehört eine Urindiagnostik und eine Kultur für die Erregeridentifikation. Für die Urinanalyse eignet sich ein Katheter-, ein Mittelstrahl- oder ein Clean-­Catch-Urin. «Beutelurin kann nur zum Ausschluss eines HWIs verwendet werden, nicht um Entzündungsparameter zu bestimmen und eine Kultur anzulegen», betonte der Kinderarzt und Infektiologe. Grund: Der in einem Säckchen gesammelter Harn enthält immer auch andere Keime, wie z.B. Hautbakterien.

Eine Bestimmung des CRP ist nur notwendig, wenn das Resultat die Behandlung beeinflusst. Wichtig ist bei Kindern aber eine Bildgebung: Bei jedem HWI ist eine Sonografie der Niere notwendig, um Fehlbildungen auszuschliessen.

Bei Zystitis mindestens drei Tage Antibiotika geben

Haupterreger von HWIs sind E.-coli-Bakterien. In der Schweiz kommen daher bei Urininfekten meistens Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Dritt-Generation-Cephalosporine und Amoxicillin-Clavulansäure zum Einsatz.

Wie empfindlich E. coli auf ein Antibiotikum reagiert, ist regional unterschiedlich. Die lokalen Resistenzen verschiedener Keime auf einzelne Antibiotika lassen sich mit Hilfe einer Online-Datenbank (2) per Mausklick abfragen. Über ein anderes Online-Tool (3) können auch die für Kinder aufgrund ihres Körpergewichts empfohlenen Dosen für ein Antibiotikum abgerufen werden.

«Die minimale Dauer der Antibiotikagabe liegt bei einer Zystitis bei drei und bei einer Pyelonephritis bei zehn Tagen», sagte der Experte. Ein Unterschreiten der Minimaldauer ist möglich, wenn es dem Kind schon früher gut geht. Denn es gibt keine Evidenz, dass sich durch Einhalten der Minimaldauer Resistenzen verhindern lassen.

«Wahrscheinlicher ist das Gegenteil der Fall: je länger eine Antibiotikabehandlung, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Resistenzen bilden, so der Referent. Wie eine Metaanalyse (4) zeigen konnte, sind nach einem Monat Antibiotika-Therapie praktisch immer Resistenzen vorhanden.

Kaum Evidenz für medikamentöse Prophylaxe

Bei wiederkehrenden HWIs ist es notwendig, bei sehr kleinen Patienten immer sonografisch nachzusehen, ob mit der Anatomie alles in Ordnung ist, betont Dr. Kahlert. Zu prüfen ist ausserdem, ob Darm und Harnblase normal funktionieren. «Denn Kinder, die oft verstopft sind, haben häufiger HWIs.»

Ein weiterer möglicher Grund für rezidivierende HWIs kann gelegentlich einmal eine Phimose oder eine Labiensynechie sein.

Die Wirksamkeit einer medikamentösen Prophylaxe ist bei Kindern noch kaum untersucht. «Sogar für eine Antibiotika-Prophylaxe besteht lediglich Evidenz bei hochgradigen Refluxerkrankungen von Grad 4/5», erklärt Dr. Kahlert.

Einige Hinweise auf einen positiven Effekt bei wiederkehrenden HWIs gibt es für Probiotika, D-Mannose, Cranberry, Phytotherapie mit Meerrettich und Kapuzinerkresse sowie orale Immunstimulanzien.

Zu empfehlen sind zudem nichtmedikamentöse Massnahmen. «Dazu gehört, die Flüssigkeitszufuhr portioniert zu erhöhen, um die Miktionsfrequenz zu steigern, Windeln häufig zu wechseln, die Genitalhygiene zu fördern und Säuglinge zu stillen», betont Dr. Kahlert.

*14. Symposium Kinder-/Jugendgynäkologie und Kontrazeption, 30. Juni 2022, Bern

Referenzen
  1. Buettcher M et al. Swiss consensus recommendations on urinary tract infections in children. Eur J Pediatr. 2021 Mar;180(3):663-674. doi: 10.1007/s00431-020-03714-4
  2. www.anresis.ch
  3. https://swisspeddose.ch
  4. Costelloe C et al. Effect of antibiotic prescribing in primary care on antimicrobial resistance in individual patients: systematic review and meta-analysis. BMJ. 2010 May 18;340:c2096. doi: 10.1136/bmj.c2096