Medical Tribune
7. Nov. 2022

Hat mein Patient eine Genodermatose?

In der Schweiz leidet schätzungsweise eine halbe Million Menschen an einer seltenen Erkrankung. Mehr als zwei Drittel der Krankheiten sind genetisch bedingt, hunderte davon betreffen die Haut. Vermutet man, dass eine solche Erkrankung vorliegen könnte, zahlt es sich aus, frühzeitig Spezialisten zu Rate zu ziehen.

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peterschreiber.media/gettyimages

Da die Symptome oft früh beginnen, ergibt sich der Verdacht auf eine Genodermatose bei vielen Patienten bereits im Kindesalter, erläuterte Prof. Dr. Leena Bruckner-­Tuderman von der Klinik für Dermatologie und Venerologie des Universitätsklinikums Freiburg. Als Beispiele nannte sie Xeroderma pigmentosum, KID-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom oder Epidermolysis bullosa.

Viele dieser Erkrankungen haben ein breites Spektrum an medizinischen Problemen im Schlepptau. Oft dauert es Jahre, bis die Patienten die richtige Diagnose erhalten. Das bedeutet für sie und ihre Angehörigen nicht nur eine starke Belastung. Das gezielte Krankheitsmanagement bzw. die Gelegenheit, an einer Therapiestudie teilzunehmen, bleiben ebenfalls auf der Strecke, so Prof. Bruckner-Tuderman.

Neue Therapieoptionen in Aussicht

Bei manchen Erkrankungen hat sich inzwischen viel getan. Beispielsweise entwickelten Forscher eine topische Gentherapie bei rezessiv vererbter dystropher Epidermolysis bullosa: Dabei wird den Zellen das intakte Kollagen-VII-Gen durch ein modifiziertes nicht-replizierendes Virus zur Verfügung gestellt. Dieses «infiziert» die Zelle, lässt aber das Erbgut des Patienten unberührt und erfordert auch keinen transgenen Zellgraft.

In einer Phase-1/2-Studie führte diese Behandlung mit Beremagen geperpavec (B-VEC) gegenüber Placebo zu einer Reduktion der Wundoberfläche und einem rascheren Wundverschluss und ging ausschliesslich mit Grad-1-Nebenwirkungen einher. Ein anderes Beispiel ist ein krankheitsmodifizierender Effekt des Anti-IL-17A-Antikörpers Secukinumab, der bei einem Patienten mit autosomal-rezessiv vererbtem Netherton-Syndrom beobachtet wurde.

Bei unklaren Erkrankungsbildern solle man das WHO-Motto für seltene Erkrankungen «Think twice, seek advice» beherzigen und im Zweifelsfall Rat suchen. «Kein Mensch kann 600 verschiedene Genodermatosen selbst kennen», betonte Prof. Bruckner-Tuderman.

Spezielle Kategorien für spezialisierte Einrichtungen

Derzeit wird in Deutschland der von der EU geforderte Nationalplan für seltene Erkrankungen implementiert, dessen zentrale Einheiten die NAMSE-Zentren sind. NAMSE steht für Nationales Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen.

In der Schweiz gibt es die Nationale Koordination Seltene Krankheiten (KOSEK), die in neun anerkannten Zentren operiert, darunter

Das Ziel ist Betroffene schneller zu diagnostizieren, besser über Erkrankungen zu informieren sowie ihnen eine hochspezialisierte und interdisziplinäre Versorgung zu ermöglichen.

Wo findet man Spezialisten?

Ob medizinisches Fachpersonal, Betroffener oder Angehörige – der Informations- und Unterstützungsbedarf ist bei Genodermatosen wie bei anderen seltenen Erkrankungen gross. Zentren und Ansprechpartner finden sich hier:

Bei Verdacht Zentrum kontaktieren

Zeigt ein Patient ein Leitsymptom, das den Verdacht auf eine Genodermatose weckt, beispielsweise ein Neugeborenes mit fragiler Haut, das im Alter von sechs Monaten ein bullöses Pemphigoid etwickelt, sollte man zunächst alle anderen Ursachen der Hautveränderungen ausschliessen. Im Anschluss daran empfiehlt Prof. Bruckner-Tuderman, ein Zentrum für die jeweilige Verdachtsdiagnose zu kontaktieren und die nötigen Informationen weiterzugeben. Das Zentrum meldet dann zurück, ob Voruntersuchungen notwendig sind, bevor man gegebenenfalls den Patienten überweist.

Nach der Überweisung folgt im Zentrum eine weitere klinische Untersuchung. Zudem werden alle noch notwendigen diagnostischen Massnahmen ergriffen und die Befunde dann in interdisziplinären Fallkonferenzen – manchmal sogar auf internationaler Ebene – diskutiert. Diagnose, Managementplan und Informationen zu Patientenorganisationen werden zurück an den Zuweiser gemeldet.

Dabei strebt man eine gemeinsame Betreuung der Betroffenen durch Zentrum und Zuweiser an, betonte Prof. Bruckner-Tuderman. Ist keine spezialisierte Einrichtung für die Verdachtsdiagnose zu finden, empfahl sie, die nächste Uniklinik-Ambulanz oder das nächstgelegene Zentrum für Seltene Erkrankungen zu kontaktieren. Diese Zentren übernehmen dann eine Lotsenfunktion.

Baby mit Sommersprossen

Kinder haben im ersten Lebensjahr normalerweise keine Sommersprossen. Bei einem Baby, das im Gesicht übersät ist mit Epheliden, sollte man laut Prof. Dr. Mark Berneburg, Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universität Regensburg, auch an die seltene Genodermatose Xeroderma pigmentosum denken.

Als typisch gilt z.B. ein Sonnenbrand schon im Säuglingsalter bei nur minimaler Sonnenexposition, erläuterte er. Das Hautkrebsrisiko ist bei diesen Patienten aufgrund der defekten DNA-Reparatur etwa 1.000-fach erhöht.

Wenn im Jugendalter bereits mehrmals Hautkrebs aufgetreten ist, sollte dringend die Überweisung an ein Zentrum für seltene Erkrankungen erfolgen, riet Prof. Berneburg. Konsequenter UV-Schutz spielt in der Prophylaxe eine entscheidende Rolle, so können den Betroffenen die entstellenden Folgen der zahlreichen Exzisionen wenigstens teilweise erspart bleiben. Idealerweise sollten Patienten die Sonne komplett meiden, stellte Prof. Berneburg klar. Das lässt sich durch eine Totalbekleidung erreichen oder durch den Wechsel des Tag/Nacht-Rhythmus («Mondscheinkinder»). Inzwischen können Betroffene durch Schutzmassnahmen an den Fensterscheiben im Haus, im Auto und in der Schule aber auch einen etwas normaleren Alltag führen.

Quelle

28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie, 12. — 16. Juli 2022, München