Medical Tribune
16. Mai 2022Der Kindstod (SIDS)

Der Ursache für den plötzlichen Kindstod einen Schritt näher?

Dank verbesserter Elternschulung ist die Anzahl der Kinder, die in der Schweiz am plötzlichen Kindstod (SIDS) sterben, stark rückläufig. Dennoch tritt der schicksalhafte Tod im Schlaf nach wie vor immer wieder auf – ohne dass Trigger bekannt wären. Eine neue Forschungsarbeit festigt nun die Evidenzlage dafür, dass das SIDS nicht nur auf äussere Ursachen zurückzuführen ist. Sondern, dass Gehirnregionen von betroffenen Säuglingen schlecht arbeiten, die eigentlich das Aufwachen gewährleisten soll.

New born blood
iStock/sayildiz

In den letzten zwanzig Jahren ist die Zahl der Kinder, die am plötzlichen Kindstod (Sudden infant death syndrome, SIDS) sterben, weltweit drastisch gesunken (in der Schweiz von 35 im Jahr 1999 auf 7 im Jahr 2019; 1). Das ist dem umfassenden Wissenszuwachs über die Störung zu verdanken, der sich in dieser Zeit abgespielt hat.

So weiss man mittlerweile, dass es das Risiko für den plötzlichen Kindstod verdreifacht, wenn Frauen während der Schwangerschaft rauchen. Und auch wenn Säuglinge Passivrauch durch die Mutter oder andere Familienmitglieder ausgesetzt sind erhöht dies das Risiko für SIDS, wenn auch nicht im gleichen Masse. Dass nun weniger Babys sterben, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit an den sinkenden Raucherzahlen und der Empfehlung, Säuglinge nicht in der Bauchlage schlafen zu lassen.

Viele Faktoren sind beim SIDS dennoch immer noch unklar, etwa, ob der plötzliche Kindstod vollkommen schicksalshaft ist, oder, ob Babys bereits bei der Geburt eine körperliche Neigung aufweisen. Dafür konnten in den letzten Jahren bereits einige Hinweise gefunden werden. Eine Anfang Mai 2022 veröffentlichte Studie fügt einen weiteren Puzzlestein dafür hinzu (2).

Fehler im «Aufwach-System»?

Beim plötzlichen Kindstod (Sudden infant death syndrome, SIDS) handelt es sich um unerklärliche Todesfälle bei Babys im Alter von unter einem Jahr. Üblicherweise sterben die Kinder dabei im Schlaf. Bereits in den letzten Jahren kristallisierte sich unter Experten die Hypothese heraus, dass eine autonome Dysfunktion hinter dem SIDS stecken könnte. Dabei wirde ein Defekt im cholinergen System vermutet, das für das Aufwachen und die Atmung zuständig ist. Nach dieser Theorie würden gesunde schlafende Babys, die zu atmen aufhören, automatisch aufwachen. Bei Säuglingen, die am SIDS sterben, würde genau das nicht funktionieren.

In der neuen Studie zeigte ein australisches Forscherteam, dass die durchschnittliche Aktivität des Enzyms Pseudocholinesterase (Butyrylcholinesterase, BChE) im Fersenblut von Babys, die später am SIDS verstarben reduziert war. Dazu zog das Team Fersenblut-Proben heran, die im Zuge des australischen Neugeborenenscreenings routinemässig zwei bis drei Tage nach der Geburt entnommen werden. Die Forscher verglichen Proben von 26 Babys, die am SIDS verstorben waren, mit Proben von 655 in Alters-und Geschlechtsverteilung ähnlichen gesunden Kindern. Ausserdem prüften sie 41 weitere Proben von Babys, die an anderen Ursachen als dem SIDS ungeklärt verstorben waren.

BChE-Neugeborenenscreening für SIDS wenig wahrscheinlich

Gesunde Babys wiesen in der Analyse eine durchschnittliche Aktivität der BChE von 8,2 Units (1,7-23,3) pro mg (U/mg) Gesamtprotein auf, bei Kindern, die später aufgrund eines SIDS verstarben, lag dieser Wert bei 5,2 U/mg (2,9-10,8). Kinder, die an einer Nicht-SIDS-Ursache unerklärlich verstorben waren, hatten ähnliche Werte wie gesunde Babys.

Das Enzym BChE ist nach heutigem Wissen an der Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin beteiligt, das eine Rolle im Aufwachprozess spielt. Das würde eine bereits existierende Datenlage untermauern, die auch erklären würde, warum SIDS im Schlaf auftritt (3).

Klarerweise hoffen die Autoren nun, dass ihre Forschungsergebnisse als Basis für eine Früherkennung von SIDS-gefährdeten Babys dienen könnten. Idealerweise liesse sich ja im Zuge des Neugeborenen-Screenings präzise erkennen, welche Kinder für das SIDS gefährdet sind. Nach dem heutigen Wissensstand ist jedoch eine multifaktorielle Ursache für das SIDS am wahrscheinlichsten, und die sehr unterschiedlichen gemessenen Blutwerte der BChE-Aktivität bei gesunden und später am SIDS verstorbenen Kinder sprechen nicht unbedingt dafür, dass es sich bei dem Enzym um einen idealen Biomarker handelt.

Weiterhin schicksalshafte Komponente

Das SIDS tritt leider, aufgrund von bislang unbekannten Umständen, auch bei der bestmöglichen Vermeidungsstrategie, nach wie vor immer wieder auf. Eltern wird empfohlen, ihre Babys nur auf dem Rücken ins Bett zu legen, für eine kühle Schlafumgebung zu sorgen, und Bettdecken, Kuscheltiere oder andere weiche Gegenstände aus dem Kinderbett zu verbannen, die Kindern ins Gesicht geraten können. Auch Tabakrauch hat in einem Zimmer, in dem ein Kind schläft, nichts verloren.

Während diese Massnahmen aber den plötzlichen Kindstod ja tatsächlich reduzieren konnten,

Referenzen
  1. Bundesamt für Gesundheit (BAG) Anzahl Todesfälle nach Todesursachen bei Säuglingen in der Schweiz, nach Geschlecht.21.12.2021 (abgerufen am 16.5.2022)
  2. Harrington CT et al. Butyrylcholinesterase is a potential biomarker for Sudden Infant Death Syndrome. EBioMedicine. 2022 May 6;80:104041. doi: 10.1016/j.ebiom.2022.104041.
  3. Bright FM et al. SIDS Sudden Infant and Early Childhood Death: The Past, the Present and the Future. Adelaide (AU): University of Adelaide Press; 2018 May. Chapter 26. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK513396/