Medical Tribune
30. März 2022Wann muss ein Kind zum Kardiologen?

Wie sich Herzerkrankungen bei Kindern bemerkbar machen

Herzgeräusche, Synkopen, Thoraxschmerzen: Alles sehr erschreckend – besonders, wenn es bei Kindern auftritt. In den meisten Fällen stecken aber harmlose Gründe dahinter. Ein Kinderkardiologe klärt auf, wann dennoch ein Spezialist hinzugezogen werden sollte.

Mittels Auskultation kann abgeklärt werden, ob eine Echokardiografie notwendig ist.
iStock/Halfpoint

«Bei den meisten Zuweisungen auf die kinderkardiologische Abteilung ist der Hauptjob die Beruhigung der Patienten und Eltern. Ich mache eine sorgfältige Anamnese und führe weitere Untersuchungen durch – aber meistens kommt nichts dabei heraus», berichtet KD Dr. Hans Peter Kuen, Co-Chefarzt Kardiologie am Kinderspital des Luzerner Kantonsspitals (1).

Fähigkeit zur Auskultation geht verloren

«Herzgeräusche», erklärt KD Dr. Kuen, «liegen etwa bei rund der Hälfte der Kinder vor. Aber nur ein Prozent aller Menschen hat einen angeborenen Herzfehler. Die überwiegende Mehrzahl der Herzgeräusche ist also funktioneller Art. Das heisst, das Herz ist gesund.»

Laut KD Dr. Kuen sollten dennoch vor allem kleine Kinder lieber einmal zu oft als einmal zu selten zu einer kardiologischen Abklärung geschickt werden. Je kleiner das Kind sei, umso grösser sei das Risiko, als Arzt eine Fehleinschätzung zu leisten. «Es ist wahrscheinlich sinnvoller, einen Säugling mit einem Herzgeräusch zu überweisen, als ein grösseres Kind, bei dem schon vom klinischen Aspekt her ein Herzfehler ausgeschlossen werden kann.» Eine Hauptfehlerquelle sei die Auskultation, die nach wie vor das wichtigste diagnostische Mittel sei. «Die Auskultation ist absolut Erfahrungssache und wird heutzutage kaum geschult», kritisiert der Experte.

Besonders bei Neugeborenen solle man nach einem auffälligen Befund im Zweifelsfall innerhalb von Stunden reagieren. Bei ihnen können Herzdefekte in den ersten drei bis vier Lebenstagen noch durch die Restöffnung des Ductus arteriosus Botalli maskiert werden. «Sobald sich der Duktus schliesst, können Kinder, die bei der Geburt noch asymptomatisch waren, plötzlich in kritische Situationen geraten.» Herzgeräusche seien in dieser Situation daher oft nicht charakteristisch oder nicht vorhanden. Hinweise auf einen kindlichen Herzfehler gebe das Pulsoxymeter-Screening und die pränatale Diagnostik, beide seien aber nicht perfekt.

Oft liegt es an der normalen kindlichen Herzanatomie

Das häufigste kindliche Herzgeräusch, das meist zwischen zwei und acht Jahren auftritt, ist das funktionelle Systolikum. Der Klang des 2–3/6 nieder- bis mittelfrequenten midsystolischen Geräusches wird häufig als «musikalisch» bezeichnet. Hörbar ist es im Bereich von Erb, es gibt keine Fortleitung. Bei manchen Kindern gibt es eine Lagevariabilität, sodass es in aufrechter Position leiser wird. Darüber hinaus ist das funktionelle Systolikum oft lauter, wenn das Herz mehr arbeiten muss, etwa bei Fieber oder einer Anämie. Von seiner Bedeutung her, so KD Dr. Kuen, sei es aber komplett harmlos – sowohl was die kardiologische als auch die sonstige klinische Situation betrifft.

Bei sehr kleinen Säuglingen ist ein typisches Herzgeräusch zudem die physiologische periphere Pulmonalstenose (PPS), ein kurzes, 2/6 mittelfrequentes Systolikum, das über dem gesamten Thorax hörbar ist (p.m. über Erb), und bilateral in den Rücken fortgeleitet wird. Es handle sich dabei um ein normales Geräusch bei kleinen Säuglingen – insbesondere bei Frühgeborenen – das normalerweise spätestens mit sechs Monaten verschwindet. Der Grund für das Geräusch liegt in der kindlichen Herz-Anatomie, erklärt der Experte. «Wenn ein Kind zur Welt kommt, schliesst sich der Duktus, und das gesamte Blut muss über die pränatal noch nicht benutzten, bei der Geburt noch relativ kleinen beiden Pulmonalarterien transportiert werden. Dadurch entstehen oft deutlich auskultierbare Turbulenzen.»

Ein ähnliches Phänomen liegt dem sogenannten Nonnensausen zugrunde, einem systolisch-diastolischen, permanenten, kontinuierlichen Geräusch. Der Grund sind Turbulenzen in den oberen Jugularvenen, die positionsabhängig entstehen: «Das durchgehende Geräusch an den Venen verschwindet, wenn ich den Daumen an die Jugularvene lege, oder wenn ich das Kind den Kopf drehen lasse. Wenn die Geräusche dann weg sind, ist die Diagnose damit gestellt», so KD Dr. Kuen.

Indikationen zur Echokardiografie: Das klinische Auge entscheidet mit

Wann ein Kind mit einem Herzgeräusch zur Echokardiografie gehöre, solle laut KD Dr. Kuen nach der klinischen Situation beurteilt werden. «Wenn bestimmte Stigmata, wie etwa ein syndromales Aussehen in Übereinstimmung mit einer Trisomie 21 oder einer Mikrodeletion 22, vorhanden sind, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Herzfehler wesentlich grösser. Diese Patienten sollten viel früher an die Kinderkardiologie überwiesen werden als Kinder mit normaler Physis.» Das Risiko für einen Herzfehler liege bei den an der eigenen Klinik gescreenten Down-Syndrom-Kindern bei rund 60 Prozent, berichtet der Experte.

Andere klinische Situationen, in denen man eine kardiologische Abklärung andenken sollte, seien das Vorliegen eines inspiratorischen Stridors, chronische Atemwegsinfekte und Schluckstörungen, die auf einen Gefässring (pulmonary sling) hindeuten können. Aber auch bei einer chronischen Gedeihstörung könnte das Grundproblem im Herzen liegen. «Da gibt es aber nicht nur ein Herzgeräusch, sondern auch noch andere klinische Hinweise, wie eine Tachypnoe oder ein hyperaktives Präkordium, oder Hinweise auf eine pulmonale Hypertension», fügt der Experte hinzu.

Kinderärzten empfiehlt er, regelmässig die Femoral- und Fusspulse zu tasten. Schwache Femoralpulse sollten unbedingt abgeklärt werden, da diese ein häufiges Anzeichen einer Aortenisthmusstenose seien, und die Kinder immer wieder zu spät zum Kardiologen kommen.

Auskultatorische Befunde, die zu einer Echokardiografie führen sollten:

  • Bei isolierten diastolischen Geräuschen
  • Wenn die Geräusche lauter sind als Grad 3/6 (d.h. mit palpatorischem Schwirren)
  • Abnormaler 2. Herzton (fixe Spaltung, Betonung)
  • Hochfrequente Geräusche (klassisch beim Ventrikelseptumdefekt oder bei Mitralinsuffizienz)
  • Holosystolische Geräusche (klassisch bei einem grösseren Ventrikelseptumdefekt)
  • Raue Geräusche (Pulmonalstenose)
  • Abnormale Klicks (Aorten- und Pulmonalstenose, midsystolisch bei Mitralklappenprolaps)
  • Auffällige Ausstrahlung (z.B. in den Rücken > 6 Monate)

Synkopen beim Schwimmen sind verdächtig

Wenn Kinder synkopieren, so KD Dr. Kuen, sei das zumeist nicht aufgrund einer kardialen Ursache. Viel häufiger hingegen habe dies neurogene/orthostatische, neurologisch-psychogene oder metabolische Ursachen. «Rund 20 Prozent aller Kinder synkopieren zumindest einmal vor dem 18. Lebensjahr, zumindest die Hälfte aller Erwachsenen einmal im Leben.» Bei 30 Prozent tritt mehr als eine Synkope auf. Die laut dem Experten meist relativ harmlosen Ereignisse seien zudem am häufigsten bei Pubertierenden und jungen Erwachsenen anzutreffen: Der Altersgipfel liege bei 9 bis 21 Jahren.

Ausdruck eines tieferliegenden schwerwiegenden Problems können Synkopen dann sein, wenn sie unter Belastung – insbesondere beim Schwimmen – auftreten. «Das ist immer sehr verdächtig», berichtete der Experte. Gibt es zusätzlich Fälle von plötzlichem Herztod in der Familie, oder Vorerkrankungen, die das Herz betreffen, sollten die Synkopen ebenfalls abgeklärt werden.  Benigne Synkopen werden oft von Triggern wie Schmerzreizen, Blut sehen oder Vagusreflexen (pressen, niesen, lachen) ausgelöst. Klassischerweise berichten die Kinder nach einer harmlosen Synkope, dass ihnen «schwarz vor Augen» wurde, bevor sie umgekippt sind. «Sie spüren also eine Aura davor und fallen nicht einfach nur um wie vom Blitz getroffen, wie zum Beispiel beim langen QT-Syndrom.» Der Vortragende empfiehlt die offiziellen Richtlinien des AWMF zum Vorgehen bei Synkopen (2).

Thoraxschmerzen: bei zusätzlichen Entzündungszeichen zum Kardiologen

Ähnlich wie die Synkopen sind auch Thoraxschmerzen bei Kindern häufig und haben nur selten kardiale Ursachen. Ein Warnsignal sei auch hier wieder, wenn der Schmerz unter Belastung auftritt, oder andere Symptome den Brustschmerz begleiten – etwa eine Dyspnoe bei gleichzeitigen Schmerzen oder Fieber. Auch Müdigkeit und ein allgemeines Krankheitsgefühl können auf tieferliegende Probleme hindeuten – etwa eine Peri- oder Myokarditis.

Bei kleinen Kindern, warnt KD Dr. Kuen, kann ein «Schmerz» auch auf Rhythmusstörungen hindeuten: «Drei- bis Vierjährige beschreiben thorakale Missempfindungen wie Extrasystolen oder Tachykardien nicht als Herzstolpern, sondern nennen es ‹Schmerz›.» Andere Ursachen wie die Myokardischämie oder die Aortendissektion seien hingegen absolute Raritäten bei Kindern. Bei Thoraxschmerzen mit zusätzlichen Warnsignalen empfiehlt der Experte, der Handlungsempfehlung des DGKJ zu folgen (3).

Referenzen
  1. WebUp Experten-Forum «Update Pädiatrie». Kinderkardiologische Probleme in der Praxis. Forum für medizinische Fortbildung, 8. Februar 2022
  2. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Synkope im Kindes- und Jugendalter. 29. Februar 2022 (abgerufen am 29.März 2022)
  3. Ländler L et al. Handlungsempfehlung nach der Leitlinie «Thoraxschmerzen im Kindes- und Jugendalter» Monatsschrift Kinderheilkunde 2018; 166: 529-532