Medical Tribune
25. Jan. 2022Was SARS-CoV-2 im Gehirn anrichtet

Komplexe neurologische Begleitphänomene bei Covid-19-Patienten

An der 113. Jahrestagung der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft setzte sich Professor Dr. Markus Glatzel, Direktor, Institut für Neuropathologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, mit der Frage auseinander, ob und wie SARS-CoV-2 das Gehirn schädigt. Am seinem Institut wurden seit Beginn der Pandemie mehrere hundert Autopsien bei an Covid-19 verstorbenen Patienten durchgeführt, um die pathophysiologischen Prozesse der Infektion besser zu verstehen.

3D Rendering des Covid Virus
iStock/Nursultan Saiakbaev

Zu Beginn listete der Neuropathologe die wichtigsten neurologischen Begleitphänomene auf, die bisher bei SARS-CoV-2-Infektionen beobachtet wurden:

  • ZNS: Schwindel und Kopfschmerzen, zerebrovaskuläre Erkrankungen, epileptische Anfälle, Meningitis, Enzephalitis, kognitive Beeinträchtigung
  • Peripheres Nervensystem: Anosmie, Ageusie, vegetative Symptome wie Hypotonie oder Erbrechen, Miller-Fisher/Guillain-Barré-Syndrom
  • Muskulatur: Myalgien.

Prof. Glatzel wies darauf hin, dass sich die Neuropathologen mit drei grossen Problemkreisen befassen: mit dem Akutstadium, mit Long-Covid und mit möglichen Zusammenhängen zwischen Covid-19 und Demenz. Dabei ist es von elementarer Bedeutung, dass man strikt zwischen Assoziation und Kausalität differenziert. Darüber hinaus muss man den Einfluss intensivmedizinischer Massnahmen auf die neuropathologischen Befunde stets im Auge behalten. Und last but not least ist die Rolle bestehender Komorbiditäten und altersassoziierter pathologischer Veränderungen einzukalkulieren.

In Hamburg hat das Institut von Prof. Glatzel früh mit der Gerichtsmedizin kooperiert, und konsequent Autopsien nach Covid-19-Todesfällen durchgeführt. In der Folge konnte bereits im September 2021 die wahrscheinlich weltweit grösste prospektive Post-mortem-Serie von 735 konsekutiven SARS-CoV-2-assoziierten Todesfällen publiziert werden.1 Sie lieferte erstmals evidenzbasierte Daten zur Mortalitätsrate.

Auf die so entscheidende Frage, ob diese Patienten mit oder infolge von Covid-19 verstorben sind, gab es nun eine klare Antwort: 84,1 % starben an Covid-19, bei 6,4 % der SARS-CoV-2-Infizierten fand man eine andere Todesursache, und bei 9,5 % blieb die Todesursache unklar. Allerdings ist zu beachten, dass weniger als 1 % der Patienten mit Covid-19 versterben, räumte der Referent ein.

SARS-CoV-2 bei der Hälfte der Gehirne nachgewiesen

Bei der neuropathologischen immunhistochemischen Aufarbeitung der Gewebeproben aus Gehirnen von 43 verstorbenen Covid-19-Patienten konnten die Wissenschaftler folgende Erkenntnisse gewinnen: Bei 14 % lagen frische, lokalisierte ischämische Läsionen vor und bei 86 % fanden sie in allen untersuchten Gehirnregionen eine Astrogliose, was für eine Mitbeteiligung des Gehirns spricht. Eine Aktivierung der Mikroglia und Infiltration mit zytotoxischen T-Lymphozyten trat am häufigsten im Hirnstamm und Cerebellum auf und bei 79 % beobachteten sie eine meningeale Infiltration mit zytotoxischen T-Lymphozyten. In 53 % der untersuchten Gehirne konnten sie SARS-CoV-2 nachweisen.2

Die überwiegende Mehrzahl der Verstorbenen mit positivem SARS-CoV-2-Nachweis starb an den Folgen der Infektion (84,1 %), fasste Prof. Glatzel zusammen. Es handelte sich dabei überwiegend um ältere Personen (medianes Alter 83 Jahre) mit zahlreichen Komorbiditäten. Bei 73,6 % wurde eine Pneumonie oder eine diffuse alveoläre Schädigung als Todesursache identifiziert. Eine Thrombose oder Lungenembolie liess sich bei 39,2 % resp. 22,1 % nachweisen.1

Wie sieht nun die mögliche Ereigniskette bei Neuro-Covid-19 aus? Nach der Infektion des Respirationstrakts mit SARS-CoV-2 kann es über eine direkte Invasion (olfaktorisches System und Nervus vagus) oder im Rahmen der Virämie (über die Blut-Hirn-Schranke) zur Neuroinvasion des ZNS kommen, so der Experte. Die Schädigung kann direkt SARS-CoV-2-vermittelt über neurovaskuläre Läsionen erfolgen oder indirekt: Dabei man nimmt an, dass Autoantikörper das ZNS angreifen, es zu einer überschiessenden Neuroimmunantwort kommt und der Zytokinsturm irreparable sekundäre Schäden verursacht.

1. Fitzek A et al. Scientific Reports 2021; 11(1): 19342.

2. Matschke J et al. Lancet Neurol. 2020; 19(11): 919–929.