Medical Tribune
30. Sept. 2021Kalzium im Überfluss

Bei überaktiver Nebenschilddrüse die Knochengesundheit in den Blick nehmen

Hoppla, der Kalziumwert ist aber ganz schön hoch! Und das bei einer Patientin, die sich «nur mal durchchecken» lassen wollte und keinerlei Beschwerden hat. Ob da ein primärer Hyperparathyreoidismus dahintersteckt?

wikimedia/ Thomas Zimmermann

Autonomes Nebenschilddrüsenadenom am unteren Pol einer Struma multinodosa.

Eine erhöhte Kalziumkonzentration im Blut ohne anderweitig auffällige Laborbefunde in der Routinediagnostik – das lässt zuallererst an einen primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) denken. Bei mindestens acht von zehn Patienten geht der auf ein Nebenschilddrüsenadenom zurück, erklären Dr. Katja Gollisch und Professor Dr. Heide Siggelkow von der Universitätsmedizin Göttingen. Für die übrigen Befunde sind meist Hyperplasien des Organs verantwortlich (15–20 %), Karzinome der Nebenschilddrüsen als Ursache sind selten (< 0,5 %).

pHPT-Nachweis erfordert Knochendichtemessung

Ein erhöhter Parathormonspiegel erhärtet in dieser Situation den Verdacht auf einen asymptomatischen pHPT. Das weitere diagnostische Vorgehen beim beschwerdefreien Patienten mit Verdacht auf pHPT entspricht dem Prozedere bei symptomatischen Personen. Empfohlen wird die laborchemische Bestimmung von

  • albuminkorrigiertem Kalzium,
  • Phosphatspiegel,
  • Kreatininwert,
  • alkalischer Phosphatase und
  • Vitamin D3 im Serum.

Zudem sollte im 24-Stunden-Sammelurin die Konzentration an Kalzium und Kreatinin bestimmt werden.

Für den primären Hyperparathyreoidismus spricht neben den erhöhten Werten von Kalzium und Parathormon bei gleichzeitig ausgeglichenem Vitamin-D3-Spiegel eine zu niedrige oder im unteren Normbereich liegende Phosphat-Serumkonzentration sowie eine hochnormale oder erhöhte Kalziumausscheidung über den Urin.

Bei nachgewiesener Überfunktion der Nebenschilddrüsen muss – auch bei vermeintlich symptomfreien Patienten – stets eine Knochendichtemessung erfolgen. In die Diagnostik einbezogen werden sollte neben Lendenwirbelsäule und Femora auch der distale Radius. Die Bildgebung des Abdomens mit CT, Röntgen oder Sonografie ermöglicht es, Nierensteine oder eine Nephrokalzinose zu entdecken. Eine OP sollte man auch bei Beschwerdefreiheit erwägen.

Zu den Faktoren, die das weitere Vorgehen beeinflussen, zählen unter anderem das Auftreten von Nierensteinen, die Nierenfunktion sowie eine stetig abnehmende Knochendichte (T-Score unter –2,5) und Wirbelkörperfrakturen. Auch bei Menschen vor dem 50. Lebensjahr und entsprechendem Befund sollte man die Parathyreoidektomie in Betracht ziehen. Entscheidet sich der Patient gegen den Eingriff, stehen mindestens einmal pro Jahr Kontrolluntersuchungen an. Im Lauf von etwa 15 Jahren kommt es bei fast der Hälfte der Betroffenen zu ernsten Problemen wie Frakturen, die zur Operationsindikation führen. Ist eine Parathyreoidektomie angezeigt, gilt der nächste Blick dem Hals per Sonografie, Tc-99m-MIBI*-Szintigrafie oder Schnittbildaufnahmen mit CT und MRI. Diese Untersuchungen sollten von erfahrenen Kollegen an spezialisierten Zentren vorgenommen werden, die auch die Resektion des oder der pathologischen Nebenschilddrüsenadenome und die Identifizierung der gesunden Nebenschilddrüsen durchführen.

Kalzium und Parathormon erhöht – und doch kein Hyperparathyreoidismus?

Stützt man sich bei der Interpretation der Laborwerte auf Kalzium und Parathormon, kann man mit der Diagnose Nebenschilddrüsenüberfunktion schnell daneben liegen. Differenzialdiagnostisch infrage kommen dann:

  • Vitamin-D-Mangel
  • Einnahme bestimmter Medikamente (Lithium, Thiaziddiuretika)
  • familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie (FHH)

Die FHH unterscheidet sich vom primären Hyperparathyreoidismus laborchemisch lediglich durch die niedrige fraktionierte Kalziumausscheidung im Urin (Quotient von Kalzium- und Kreatinin-Clearance im Urin < 1 %).

Postoperativ erhält der Patient in der Regel Kalzium und aktives Vitamin D. Letzteres kann meist innerhalb von zwei bis vier Wochen ausgeschlichen werden. Als dauerhafte Supplementation folgen 1000 mg Kalzium und 1000 IE Vitamin D pro Tag über ein Jahr hinweg. Die Kolleginnen empfehlen, einen Vitamin-D-Mangel schon vor der Operation auszugleichen, was bei Hyperkalzämie formal kontraindiziert und daher mit dem Kranken zu besprechen ist.

Ohne OP muss der Betroffene vieles beachten

Wünscht der Patient keine Operation, empfehlen die Kolleginnen:

  • ausreichende Trinkmengen
  • (täglich mindestens 1,5 l, bei Nierensteinen 2,5–3 l)
  • eine Kalziumaufnahme von 800–1000 mg pro Tag
  • bei Mangel Vitamin-D-Gabe
  • Östrogensubstitution bei Frauen nach der Menopause
  • eventuell Raloxifen
  • Cinacalcet

Möglich ist auch die Gabe von Bisphosphaten wie Alendronat, wobei deren Einsatz sehr gezielt erfolgen muss, wie die Autorinnen schreiben. Bei Patienten mit Osteoporose und pHPT könnte Denosumab hilfreich sein.

* Technetium-99m an Methoxy-Isobutyl-Isonitril

Gollisch K, Siggelkow H. Internist 2021; 62: 496–504; doi: 10.1007/s00108-021-00996-0.