Medical Tribune
9. März 2020Auf längere Sicht kann sich ein Burn-out entwickeln.

Wenn Arbeitsbedingungen und -umfeld krank machen

Im Rahmen eines Webinars von Medical Tribune ging Dr. Barbara Hochstrasser, Chefärztin, Privatklinik Meiringen, auf die medizinischen und arbeitspsychologischen Aspekte des Burn-outs ein. Häufig ist damit eine (oft nicht thematisierte) Erschöpfungsdepression verbunden, mit der sich Betroffene durch den Alltag quälen. Wenn dann noch die Arbeitssituation als unerträglich wahrgenommen wird und die kognitive Performance sowie die Funktionalität im Alltag merklich nachlassen, kommt der Punkt, wo es heisst: Rien ne va plus.

Frau präsentiert ein Webinar
MT-Archiv

Das Webinar mit Dr. Hochstrasser können Sie on demand auf unserer Webseite hier ansehen.

Sowohl arbeitsbedingte als auch individuelle Faktoren wie erhöhte Vulnerabilität und geringe Resilienz können dazu beitragen, dass es zur Arbeitsüberforderung und -überlastung kommt, begleitet von vegetativen Stress-Symptomen, bis hin zur Erschöpfung. Auf längere Sicht kann sich ein Burn-out entwickeln. Der chronifizierte Stress zieht psychische Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen nach sich, sowie ein allfälliges erhöhtes Risiko für Substanzmissbrauch. Ebenso ist das Risiko für somatische Erkrankungen wie Kreislauferkrankungen oder ein Diabetes erhöht.

Viele Faktoren legen den Grundstein fürs Ausbrennen

Dr. Hochstrasser erläuterte, dass in das arbeitspsychologische Burnout- Modell sowohl individuelle wie auch arbeitsbedingte Risikofaktoren einfliessen. Als mit der Arbeit im Zusammenhang stehende Faktoren erwähnte Sie die Arbeitsüberlastung und Wertekonflikte, in Verbindung mit Defiziten bei der Autonomie, Belohnung, Fairness, sowie fehlenden Teamgeist. Persönlichkeitsbezogene Risikofaktoren wie mangelndes Selbstwertgefühl, Bereitschaft zur Verausgabung, Perfektionsstreben, geringe Distanzierungsfähigkeit, ambivalente Bindungen, emotionsorientiertes Coping und eine depressive Vorbelastung können insbesondere bei Singles den Grundstein für ein Burn-out legen.

Bei schwerem Burn-out ist die Depression nicht weit

Unter Stress wird im ZNS vermehrt das Stresshormon Cortisol gebildet und freigesetzt. Gleichzeitig entsteht bei Chronifizierung eine erhöhte Sensitivität der Kortisolrezeptoren und eine Reduktion der Bildung von Wachstumsfaktoren im Gehirn. Damit können zentralnervöse Strukturen in Mitleidenschaft gezogen werden, die für Emotion, Lernen und Gedächtnis relevant sind, so die Expertin. Dabei stehen die beeinträchtigte Neuroplastizität, sowie eine reduzierte Neurogenese im Vordergrund. Personen, bei denen ein Burnout diagnostiziert wurde, haben wesentlich häufiger gleichzeitig eine Depression als jene ohne Burn-out: Eine Studie aus Finnland belegt die folgenden Befunde:

  • kein Burn-out: Depressionsrate von 7,4 %,
  • mildes Burn-out: Depressionsrate von 20,3 %,
  • schweres Burn-out: Depressionrate von 52,9 %

Das ist nicht weiter erstaunlich, da die Erschöpfungsdepression als Ausdruck einer chronischen Stressbelastung angesehen wird. Daher kann man ein klinisch manifestes Burn-out mit einer schweren Erschöpfungsdepression gleichsetzen. Folgende Charakteristika wurden beschrieben: ausgeprägte Erschöpfung mit verzögerter und erschwerter Remission, ausgeprägte kognitive Beeinträchtigungen, die sich als therapieresistent erweisen können, und eine langdauernd eingeschränkte Belastbarkeit.

Neben den die Stimmung betreffenden Symptomen wie Traurigkeit, Freud- und Interesselosigkeit oder fehlende Motivation spielen körperliche und kognitive Symptome bei der Depression eine massgebliche Rolle, sagte Dr. Hochstrasser. Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Magenprobleme und Erschöpfung können beispielsweise die Behandlung einer Depression komplizieren. Als besonders gravierend werden heute die kognitiven Defizite angesehen, die sich auf die Funktionalität im Beruf und im Alltag negativ auswirken.

Kognitive Symptome halten sich hartnäckig

Das Problemfeld der kognitiven Einbussen umfasst Konzentrationsschwäche, beeinträchtigte exekutive Funktionen, Unentschlossenheit, Vergesslichkeit oder auch verlangsamtes Denken. Dr. Hochstrasser veranschaulichte die Dimensionen der Kognition mit einer Grafik. Diese macht deutlich, wie schwerwiegend sich die kognitiven Einbussen auswirken können – ganz besonders im beruflichen Alltag. Oft erwiesen sich die kognitiven Symptome der Depression als hartnäckig bis therapieresistent. Solche Residualsymptome gelten als Prädiktor für ein erhöhtes Rezidivrisiko.

Die kognitiven Symptome der Depression sind mit einer beeinträchtigten Funktionalität auf verschiedenen Ebenen assoziiert: n im beruflichen Alltag kommt es zu Schwierigkeiten, die Performance aufrechtzuerhalten, begleitet von Konzentrationsschwierigkeiten n im sozialen Kontext erschwert eine erhöhte Irritabilität die Interaktionen, es kann zu sozialem Rückzug kommen, und gesellschaftliche Erwartungen können nicht (mehr) erfüllt werden n der familiäre Alltag wird als belastend empfunden und es fällt auf, dass Tätigkeiten, die Aufmerksamkeit verlangen, schwerfallen.

Funktionalität auf allen Ebenen wiederherstellen

Daher ist es das vorrangige Ziel einer modernen Depressionsbehandlung, sowohl eine anhaltende Remission der depressiven Symptomatik zu erreichen, als auch die Funktionalität auf den verschiedenen Ebenen wiederherzustellen. Darüber müssen auch belastende körperliche Symptome im Auge behalten und therapiert werden. Bei der Beurteilung der Funktionalität ist besonders auf eine Normalisierung von Gedächtnis und Konzentration zu achten. Ausserdem sollten die Patienten zum Multitasking fähig sein, planen können und eine rasche Verarbeitungsgeschwindigkeit wiedererlangen.

Eine Psychotherapie der Depression ergänzt die Pharmakotherapie, wobei sich die kognitive Verhaltenstherapie oder die interpersonelle Therapie als evidenzbasierte Verfahren anbieten. Bei den antidepressiven Medikationen ist auf eine gute Verträglichkeit zu achten, damit die für eine Remission erforderliche Dosis verabreicht werden kann. Auf die Therapie sollten affektive, körperliche und kognitive Symptome ansprechen. Im Unterschied zu verschiedenen Standard-Antidepressiva wie SSRI, SNRI oder Trizyklika zeigte sich unter Vortioxetin eine signifikante Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit vs. Placebo.

Das Webinar konnten wir dank der freundlichen Unterstützung durch Lundbeck und UniMedTec realisieren.