Medical Tribune
3. Juni 2019Chronisch Nierenkranken

Kampf gegen das Element aufnehmen

Rund die Hälfte der chronisch Nierenkranken entwickelt eine Hyperkaliämie, die zu Arrhythmien und schlimmstenfalls zu einer Asystolie führen kann. Beim Blick auf die Medikamentenliste stellt sich dann meist die Frage: Wichtiges Medikament ab- oder zusätzlich ansetzen?

Hyperkaliämie ist eine der häufigsten Elektrolytstörungen im Praxis­alltag. Sie wird begünstigt durch eine Koinzidenz von chronischer Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz und Diabetes mellitus sowie durch eine Reihe von Medikamenten (s. Kasten). Allerdings kann auch ein zu langer venöser Stau bei der Blutentnahme (schwierige Venenverhältnisse) zu einem falsch positiven Ergebnis führen. Deshalb ist bei einer unerwarteten Hyperkaliämie eine Kontrollentnahme ratsam.

Patienten mit vielen Medikamenten testen

Meist sind die Patienten mit Hyperkaliämie beschwerdefrei. Nur gelegentlich treten unspezifische Symptome wie Übelkeit, Diarrhö, Muskelschwäche oder Palpitationen auf. Insbesondere bei polymedizierten Patienten ist es wichtig, die Elektrolyte regelmässig zu kontrollieren. Im Fall einer Hyperkaliämie kann man dann abwägen, ob ein wichtiges Medikament abgesetzt oder die Arzneimittelnebenwirkung mit einem weiteren Medikament behandelt werden sollte.

Akute Hyperkaliämie

Sowohl das Serum-Kalium als auch die EKG-Veränderungen können bei akuter Hyperkaliämie erheblich variieren. Eine wichtige Rolle spielen dabei Begleiterkrankungen und die Geschwindigkeit des Auftretens. EKG-Veränderungen können schon bei einer geringen Hyperkaliämie auftreten und sogar bei einer schweren Erhöhung ausbleiben. Typisch für ein Hyperkaliämie-EKG sind:

  • zeltförmig erhöhte T-Welle
  • reduzierte Höhe der P-Welle
  • verlängertes P-R-Intervall
  • QRS-Verbreiterung
  • «Sinusmuster» bei sehr schweren Fällen

Zeigen sich Anzeichen für eine Hyperkaliämie im EKG, handelt es sich immer um einen Notfall, der die sofortige stationäre Einweisung des Patienten erfordert. Bei starken EKG-Veränderungen kann unter Monitor-Überwachung zur Stabilisierung des kardialen Membranpotenzials Calciumgluconat i.v. verabreicht werden. Es senkt allerdings nicht den Kalium-Spiegel. Glukose, Insulin und vernebeltes Salbutamol bewirken einen Kalium-Einstrom in die Zelle. Die Kombination beider Therapien ist effektiver als die Monotherapie und senkt den Kalium-Spiegel durchschnittlich um 1,21 mmol/l.

Anschliessend sollte die renale Kalium-Ausscheidung mittels nicht Kalium-sparender Diuretika (z.B. Thiazide) forciert werden, um das Serum-Kalium dauerhaft zu senken. Bei einer GFR < 30 ml/min/1,73m2 sind allerdings Schleifendiuretika die bessere Wahl. Exsikkierte Patienten benötigen zusätzlich eine Volumengabe (z.B. 0,9 % NaCl). Im Fall einer vitalen Gefährdung (Anurie, schwere Niereninsuffizienz) ist eine notfallmässige Hämodialyse indiziert.

Chronische Hyperkaliämie

Chronische Hyperkaliämien können bei der Einnahme eines oder mehrerer Medikamente mit potenziell Kalium-erhöhender Wirkung auftreten. Die Therapie zielt darauf ab, stationäre Aufnahmen und lebensbedrohliche Komplikationen (z.B. Arrhythmien, Asystolien) sowie Rezidive von akuten Formen zu vermeiden.

Zunächst sollte mit dem Patienten ausführlich über die Umstellung auf eine kaliumarme Ernährung (< 40 mmol/l pro Tag) gesprochen werden. Meist erhöht es die Compliance deutlich, wenn der Betroffene zugleich über mögliche lebensbedrohliche Risiken einer Hyperkaliämie aufgeklärt wird.

Nutzen oraler Kalium-Binder nicht zweifelsfrei erwiesen

Anschliessend sollte die aktuelle Medikation geprüft und der potenzielle Nutzen einer Therapie gegen die Gefahr einer möglichen Nebenwirkung gründlich abgewogen werden. Das gilt insbesondere bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz oder Herzinsuffizienz. Bei einer GFR < 30 ml/min/1,73 m2 erfordert das Neuansetzen eines AT1-Antagonisten, ACE-Hemmers oder Aldosteron­antagonisten anfangs wöchentliche Kalium-Kontrollen.

Sehr häufig werden orale Kalium-Binder wie Polystyrolsulfonate (CPS Pulver) verabreicht, deren Kalium-senkende Wirkung erst nach 1–5 Tagen eintritt. Allerdings ist die Wirksamkeit nicht zweifelsfrei erwiesen und in seltenen Fällen kann es zu potenziell letalen Darmnekrosen kommen.

Neu auf dem Markt ist der orale Kalium-Binder Patiromer, der bereits nach sieben Stunden wirkt und ein Maximum nach 48 Stunden erreicht. Einen schnellen Wirkeintritt bei einer geringen Nebenwirkungsrate zeigt das Natrium-Zirkonium-Zyklosilikat (ZS-9). Es ist in der EU (in der Schweiz jedoch nicht) inzwischen zur Behandlung erwachsener Patienten mit Hyperkaliämie zugelassen.

Medikamente mit potenziell Kalium-erhöhender Wirkung

Betablocker

Digitalis-Intoxikation

i.v. Gabe von kationischen Aminosäuren (z.B. in parenteraler Ernährungslösung)

Mannitol

Suxamethonium

ACE-Hemmer

AT1-Antagonisten

Renininhibitoren

NSAR und COX-2-Inhibitoren

Calcineurininhibitoren (CAVE: Nieren- und Herztransplantation)

Heparin

Aldosteronantagonisten

Kalium-sparende Diuretika

Trimethoprim, Pentamidin

Kochsalzersatz

Penicillin G

Blutkonserven

AkdÄ Arzneiverordnung in der Praxis 2019; 46: 59–64.