Medical Tribune
1. Feb. 2019Influenza macht anfällig für Kardiomyopathien und Infarkt

Schauen Sie Grippekranken aufs Herz!

Auf Patienten mit einer Influenza sollte man gut Acht geben. Nicht nur, weil die Grippe selbst einen schweren Verlauf nehmen kann, sondern auch weil bei den Betroffenen das akute Risiko für einen Infarkt beträchtlich ansteigt.

Eine aktuelle Auswertung kanadischer Krankenversicherungsdaten ergab, dass das Risiko für einen Myokardinfarkt bei Patienten mit laborchemisch bestätigter Influenza in der ersten Erkrankungswoche sechsfach erhöht war.1 Das lässt sich erklären: «Influenza induziert zwei Mechanismen, die für arteriosklerotische Komplikationen wichtig sind», erläuterte Professor Dr. Tobias­ Welte, Chef der Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Der Entzündungsreiz verstärkt die Blutgerinnung

Zum einen kommt es zur massiven Aktivierung von Makrophagen. Diese Zellen sind koronarständig und führen im aktivierten Zustand dazu, dass die Lipidplaques in den Herzkranzgefässen aufbrechen. Zum anderen verfügt kein anderes Virus über ein so starkes inflammatorisches Potenzial wie das Influenzavirus. Die freiwerdenden Zytokine stellen die Thrombozyten scharf und erhöhen so die Koagulabilität des Blutes.

Übrigens zeigen die kanadischen Daten, dass andere respiratorische Viren wie RSV oder Adenoviren ebenfalls das Risiko für einen Infarkt steigern, wenn auch nicht so stark, etwa um den Faktor 3. Es lohnt sich also in jedem Fall, Patienten mit Atemwegsinfekt im Auge zu behalten, auch wenn kein Influenza-Nachweis vorliegt, betonte der Kollege. Er kritisierte, dass die eigentliche Ursache für Hospitalisation und schlimmstenfalls Tod, die Influenza, meistens «untergehe». Denn auf dem Totenschein stehe «kardiovaskuläre Komplikation», und nicht Grippe.

Akutes Linksherzversagen kaum in den Griff zu kriegen

Im Frühjahr 2018 dominierten Influenza-B-Stämme das Geschehen –zu fast 100 Prozent war es der Stamm Yamagata, der damals im tetravalenten Impfstoff nicht enthalten war. In der Saison 2018/2019 ist Yamagata im tetravalenten Impfstoff dabei. Influenza-B-Viren verfügen anders als A-Viren über einen Invasionsmechanismus für Kardiomyozyten und können selbst bei jungen gesunden Menschen schwere akute Kardiomyo­pathien auslösen.

«Jeder dritte Patient, den wir im letzten Jahr mit Influenza auf der Intensivstation behandeln mussten, hatte ein akutes Linksherzversagen», berichtete Prof. Welte. Sie waren schwer zu therapieren, denn auch eine extrakorporale Membranoxygenierung verbesserte in vielen Fällen die Herzfunktion nicht.
Bei Patienten mit akuter Atem­wegs­infektion – nicht nur Influenza – sollten Sie unbedingt die Herzfrequenz dokumentieren, riet der Kollege. Ein deutlicher Anstieg des Ruhepulses spricht für eine kardiale Beteiligung. Dann ist körperliche Schonung angesagt inklusive Sportverbot, bis sich der Ruhepuls wieder normalisiert!

«Wir wissen aus skandinavischen Daten, dass Patienten, die sich zu früh wieder belasten, hochgefährdet sind für den Sekundenherztod», betonte der Präsident der European Respiratory Society. In Schweden, wo Orientierungsläufe Volkssport sind, wird dieser als typisches Phänomen in den Wintermonaten gehäuft beobachtet.

RNA-Duplikation des Virus wird blockiert

Für die Therapie verfügbar ist weiterhin der Neuraminidasehemmer Oseltamivir. Dessen Einsetzbarkeit krankt jedoch daran, dass er nur bei sehr früher Gabe binnen zwei Tagen nach Symptombeginn hilft. Als Beispiel für ein neues Wirkprinzip stellte Prof. Welte Baloxavir vor, das in den USA bereits zugelassen und in Europa zur Zulassung eingereicht ist. Diese Substanz blockiert die RNA-Duplikation des Virus. Sie senkt so die Viruslast schneller und effektiver als Oseltamivir, was die Krankheitsdauer um 1,5 bis 2 Tage verkürzt.2

Das Problem der Studie: Da Oseltamivir als Vergleich diente, mussten die Patienten binnen 1,5 Tagen nach Symptombeginn mit der Einnahme beginnen – «wir wissen deshalb nicht, wie Baloxavir wirkt, wenn die Behandlung später einsetzt», so Prof. Welte. Entsprechende Studien laufen in dieser Saison.

Kortison bei Influenza fatal

Es ist üblich, COPD-Patienten einen Kortisonstoss zu verpassen, wenn sie eine schwere Atemwegssymptomatik entwickeln. Liegt allerdings eine Influenza vor, kann sich das fatal auswirken. In einer aktuellen Auswertung ging die Kortisongabe bei allen Subgruppen von Grippepatienten mit einer erhöhten Mortalität einher, besonders aber bei COPD als Grunderkrankung.* Für die Praxis heisst das: Wahrscheinlichkeit einer Influenza abschätzen und im Zweifelsfall aufs Kortison verzichten.

Prof. Welte forderte Konsequenzen: «Wir brauchen bessere Influenzaschnelltests zu vernünftigen Preisen.» Die derzeit verwendeten Tests haben eine Sensitivität und Spezifität von etwa 80 %. Es gibt bessere Tests, aber die sind vergleichsweise teuer (ca. 150 Euro pro Patient).

*    Moreno G et al. Intensive Care Med 2018; 44: 1470-1482

Schwangere schützen

«Schwangere haben das höchste Risiko für eine schwere Influenzainfektion», betonte Prof. Welte. Dafür gibt es einen Grund. Die Schwangerschaft shiftet das Immunsystem von Th1 zu Th2 – übrigens auch ein Grund, weshalb Asthma sich in der Schwangerschaft dramatisch verschlechtern kann. Th1-Lymphozyten übernehmen einen essenziellen Anteil der Grippeabwehr.

Die Influenzaimpfung ist übrigens die einzige Impfung, die schon im ersten Trimenon erlaubt ist. «Sie schützen nicht nur die Schwangere selbst, sondern auch den Säugling, der in den ersten Monaten von den Antikörpern seiner Mutter lebt», so der Pneumologe.

Quellen:

  1. Kwong JC et al., N Engl J Med 2018; 378: 345-353
  2. Hayden FG et al., N Engl J Med 2018; 379: 913-923
  3. 15. Pneumologie-Update-Seminar