Medical Tribune
13. Apr. 2018

Gefässbruch auf dem Volksfest

Auf dem Fest geriet ein junger, betrunkener Mann in eine Rauferei, Schläge auf den Kopf erhielt er dabei jedoch nicht. Dies berichteten seine Freunde, die ihn in die Klinik gebracht hatten. Die Sache schien also klar – die Hand hatte er sich beim Zuschlagen beschädigt und der Alkohol hatte das Bewusstsein getrübt. So kann man sich täuschen!
Im Gesicht fanden sich tatsächlich keine Prellmarken. Mit weiten Pupillen und erhaltener Reaktion auf Schmerzreize schaffte der 26-Jährige auf der Glasgow Coma Scale (GCS) gerade mal 10 Punkte. Was tun? Die Regel lautet: Bei einem GCS-Wert < 15 sollte man innerhalb von zwei Stunden nach einem Trauma ein CT durchführen. Die 10 Punkte wären bei dem Patienten zwar durch den Alkoholspiegel von immerhin 2,5 Promille hinreichend erklärt. Doch die Ärzte wollten auf Nummer sicher gehen. Das Nativ-CT war unauffällig. Auch das Handgelenk-Röntgen ergab keine knöcherne Verletzung.
Der junge Mann wurde über Nacht zur Beobachtung aufgenommen. Kurz vor seiner angedachten Entlassung am nächsten Morgen stellten sich aphasieähnliche Symp­tome ein. Er erinnerte sich nicht mehr an die Namen seiner Freunde. Das war nun doch suspekt, zumal der Alkoholeinfluss inzwischen abgeklungen sein musste. Der Neurologe bestätigte eine motorische Aphasie und diagnostizierte eine Anisokorie (linke Pupille kleiner als die rechte) sowie einen pathologischen Armhalteversuch mit Pronationstendenz rechts. Ausserdem war eine leichte motorische Parese rechts zu beobachten.
Aufgrund dessen bestand der Verdacht auf ein Durchblutungsproblem. Um die Gefässe darzustellen, führte man eine MR-Angio­grafie durch und wurde fündig: Der Mann hatte einen Mediainfarkt links, ausgelöst durch die Ruptur eines Aneurysmas, das im Gefolge einer traumatisch bedingten Dissektion der Arteria carotis interna links entstanden war. Vermutlich löste ein Schlag an den Hals die Ruptur aus. Der Patient kam auf die Stroke Unit.

Spontane Arteriendissektion durch stumpfe Gewalt

Aneurysmen, die sich im Rahmen einer spontanen Dissektion ausbilden, sind tückisch. Denn sie nehmen im weiteren Verlauf gerne an Grösse zu und sind extrem rupturgefährdet, erklärte Dr. Helfried­ Meissner­, Klinik für Gefässchirurgie, Gefässmedizin und Transplantationschirurgie, Klinikum Stuttgart.
Nicht nur die Halsschlagader, sondern auch grosse Gefässe im aortalen Stromgebiet können bei stumpfer Gewalteinwirkung, unter Umständen auch bei starkem Pressen, spontane Dissektionen entwickeln. Während im ersten Fall der Hirninfarkt droht, sind es im anderen Extremitäten- bzw. Organ­ischämien. Doch diese Dissektionen heilen häufig spontan aus. Keinesfalls darf man deshalb bei einer Extremitätenischämie zu frühzeitig amputieren.
Die Therapie spontaner Dissektionen ist immer eine individuelle interdisziplinäre Entscheidung. Der Einsatz von Heparin oder gar Lyse wird kontrovers beurteilt. Wenn bei einer Karotisdissektion neurologische Symptome bestehen, kann man eine selektive Katheterlyse erwägen. Oder mittels digitaler Subtraktionsangiografie eine Aspirationsthromb­ektomie vornehmen und eventuell einen Stent einbauen. Moderne Stents für die hirnzuführenden Gefässe dichten mit ihrem engmaschigen Netzwerk sehr gut ab und sind so flexibel, dass sie jede Bewegung mitmachen.

53. Ärztekongress der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg